Tichys Einblick
ARD-Kommentator fordert Neuwahlen

Journalisten verlassen die sinkende Ampel

Klingt komisch, ist aber so: In den „Tagesthemen“ werden die Grünen scharf kritisiert, und es wird das Ende der Regierung gefordert. Der publizistische Arm des grün-roten Mainstream-Kartells orientiert sich langsam um. Für die Koalition heißt das: Das Ende ist nah.

Screenprint ARD / Tagesthemen

„Es ist vorbei. Bye, bye Juni-Mond“: Das hat einst der notorisch linksradikale Rio Reiser geträllert, und der kannte die deutsche Ampel ja noch gar nicht.

Dass der rot-grün-gelben Bundesregierung – völlig selbstverschuldet – das Geld ausgegangen ist, wissen wir inzwischen. Dass SPD, Grünen und FDP die Anhänger in Scharen weglaufen, ist nun auch mehr als offensichtlich.

Dass der Ampel jetzt aber sogar der Staatsfunk von der Fahne geht, ist neu.

Thomas Berbner leitet die riesige aktuelle Fernsehredaktion des riesigen Norddeutschen Rundfunks (NDR). Der Mann ist also nicht irgendwer im öffentlich-rechtlichen Biotop, sondern er hockt da ziemlich weit oben in der Nahrungskette.

In den „Tagesthemen“ hat Berbner gerade einen Kommentar gesprochen. Das tun die ARD-Granden häufig und gerne, damit das Volk vor den Fernsehern auch weiß, was es zu denken hat. Der „Tagesthemen“-Kommentar ist eine Art publizistischer Tagesbefehl.

Berbner hat dabei nun getan, was bis vor kurzem im „Ersten“ völlig undenkbar schien: Er hat unverhohlen das Ende dieser Koalition und Neuwahlen gefordert.

Man reibt sich die Augen und traut seinen Ohren nicht: Ein führender ARD-Mann watscht im wichtigsten Kommentar des deutschen Fernsehens vor allem die Grünen ab. „Völlig unrealistisch“ seien deren Pläne. Und: „Die Mehrheit der Wähler will eine neue Regierung.“

Ein echter Doppel-Wumms – aber ganz anders, als Olaf Scholz sich das vorgestellt hatte.

Schon vor ein paar Wochen war Julia Ruhs vom ebenfalls riesigen Bayerischen Rundfunk (BR) in dieselbe Richtung vorgeprescht. Ebenfalls in einem „Tagesthemen“-Kommentar hatte die junge Journalistin Regierungspläne für mehr Abschiebungen von Flüchtlingen gelobt und die Grünen kritisiert. Dafür fiel dann zwar erwartbar die linke Blase – einschließlich der unvermeidlichen ZDF-Hardlinerin Nicole Diekmann – über sie her. Insgesamt bekam Frau Ruhs aber viel Zuspruch.

Und jetzt also: Thomas Berbner. Abteilungsleiter beim NDR wird niemand, der nicht vorher den Grundkurs „Überleben in großen Organisationen“ erfolgreich absolviert hat. Berbner weiß, wie man erst die Nase und dann sein Fähnchen in den Wind hängt. Menschen wie er sind eine Art seismografisches Frühwarnsystem für kommende politische Verschiebungen.

Erst vor anderthalb Jahr hat Berbner (Sie ahnen es: in einem „Tagesthemen“-Kommentar) ein Loblied auf den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten und CDU-Linksausleger Daniel Günther gesungen: Der habe sein Bundesland „mit Augenmaß und klarer Kommunikation“ durch die Corona-Pandemie gesteuert, jubelte Berbner unmittelbar nach Günthers Wahlsieg. Er sei ein „ruhiger, besonnener Problemlöser“ und „ausgleichender Moderator“.

Der Publizist Walter von Rossum hat dem NDR-Mann einmal „eine Mischung aus Verschlagenheit und leidenschaftlichem Konformismus“ vorgeworfen. Wenn Berbner sich jetzt so öffentlich und so massiv von der Ampel – vor allem von den Grünen – distanziert, dann ist das ein klares Zeichen dafür, dass der Wind sich dreht.

Ohne Geld kann die Ampel noch einige Zeit überleben. Es finden sich immer irgendwelche Buchungstricks, um neue Schulden aufzunehmen. Außerdem kann man zur Not ja jederzeit die Steuern erhöhen. Auch mit unterirdischen Umfragewerten kann die Ampel überleben. Die nächsten Bundestagswahlen sind erst 2025, bis dahin kann viel passieren.

Ohne ARD und ZDF hingegen kann die Ampel kaum überleben. Denn ohne gesellschaftlichen Rückhalt – den Rot-Grün-Gelb bekanntlich nicht hat – braucht es zumindest einen funktionierenden Propaganda-Apparat, der verhindert, dass die Stimmung ungebremst kippt.

Offenbar orientieren sich die ersten Journalisten dieses Apparates jetzt um. Dabei wird die SPD auffällig geschont – man ahnt wohl, dass die Sozialdemokraten auch in einer kommenden Regierung mitmischen dürften. Ins Fadenkreuz sind die Grünen geraten, für sie setzt es Haue. Die Zeichen der Zeit stehen auf Große Koalition, zumindest im „Ersten“.

Für die Ampel heißt das: Es ist vorbei. Bye, bye Juni-Mond.

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