Tichys Einblick
"Sexismus-Debatte - Ändert sich jetzt etwas?"

Anne Will – Sexismus und so weiter und so fort

Auf der Anklagebank bei Anne Will: Die Männer und der Sexismus. Ankläger: eine Aktivistin und der alte Gerhart Baum. Verteidigung: Verona Pooth. Plus zwei Zeuginnen.

Screenprint: ARD/Anne Will

Zur Ablenkung von den wahren Problemen unserer dysfunktionalen Republik eignet sich kein Thema so gut wie Sexismus. Schon alleine deswegen, weil ein jeder darunter etwas völlig anderes verstehen will. Die gerade nach oben ausschlagende mediale Aufregungskurve verdanken wir einigen Sittenstrolchen in Kalifornien, die den Vorteil haben, dass sie jeder kennen will. Hollywood und Sex – das war in vergangenen Zeiten die Garantie für verlegerischen Reichtum. Nur hat das mit der sogenannten Sexismus-Debatte nicht viel zu tun, das Schmierentheater stellt nur die Kulisse dar.

Vor dieser Kulisse treiben die einen ihre knallharte politische Agenda voran, andere verarbeiten ihr Einzelschicksal, wieder andere sind nützliche Idioten der ersten Gruppe. Die Sexismus-Diskussion, wenn es eine solche denn überhaupt gibt, ist dabei so von Sprech-Tabus durchdrungen wie die sogenannte Flüchtlingsdebatte. Und sie hat etwas mit dem Alter zu tun, mit der Zeit, in der ein Diskutant aufgewachsen ist.

Von daher ist es keineswegs der Unhöflichkeit, sondern der Notwendigkeit geschuldet, dass wir (59) das Alter der Diskutanten in Klammern dazusetzen. Die Künstleragentin Heike Melba Fendel ist eine Mittfünfzigerin mit Lockenkopf und einer rauchigen Stimme (Erkältung!). Verona Pooth (49) könnte man in drei Worten so vorstellen: Feldbusch. Bohlen. Blubb. Die eher unauffällige Laura Himmelreich (34) ist Chefin des Online-Magazins „Vice“, dessen DNA als „immer noch Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll“ beschrieben wird. Laura Himmelreich ist einer breiten Öffentlichkeit allerdings eher dadurch bekannt geworden, dass sie einen #Aufschrei inszenierte, indem sie ein Jahr nach einer Nacht an einer Hotelbar, den damaligen FDP-Spitzenkandidaten Rainer Brüderle als Verbalerotiker entlarvte („Sie können ein Dirndl auch ausfüllen“) und damit politisch vernichtete. Die Diplompädagogin Ursula Scheele (63) sitzt im Vorstand vom „Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe – Frauen gegen Gewalt“ und erinnert ein wenig an Woody Allen, ist nur nicht so witzig. Und dann wollen wir noch den größten Frauenversteher der ganzen FDP, Gerhart Baum (85) vorstellen. Der wohl die täglichen Unterleibswitze seiner politischen und journalistischen Männerwelt in vielen Jahrzehnten altersmilde vergessen hat.

Hollywood. No Business like Showbusiness.

Laura Himmelreich freute sich, dass es mächtigen Männern nun an den Kragen geht, und sie zitierte eine dieser komischen Umfragen (Bertelsmann?), nach denen 55% der Frauen über Belästigungen klagen (wie gesagt, nicht von „Männern“ in Anführungszeichen, die spielten in dem Gespräch keine Rolle). Künstleragentin Heike Elba Fendel sieht eher ein „Comme il faut“ am Werke, sich plötzlich zu beklagen. Viele Stars sprängen da auf den Zug auf, wohl auch, „weil PR Strategen denen das raten“. #metoo sei auch Zeitgeist. Das lässt Ursula Scheele natürlich nicht durchgehen: Nein, nein. Sie sieht Sexismus überall sein schmutziges Haupt erheben. „Und unsere Kultur lässt Sexismus durchgehen.“ Verona brachte hier zum ersten Mal die Sache auf den richtigen Punkt: „Warum wird der Weinstein-Fall gerade jetzt publik? Wer zieht da die Fäden? Das finde ich viel interessanter.“

Anne Will will dann mit einem Blick auf Veronas üppige Oberweite noch wissen, wie sie das immer geschafft habe, das „Gucken ja, anfassen nein“. Die antwortet mit ihrer berühmten wie entwaffnenden Naivität: Wenn ich auf der Terrasse eines Cafes in der Stadt einen Erdbeerkuchen esse, darf mir den doch keiner wegnehmen, mit dem Argument, den hätte ich halt zuhause essen sollen. Nein, sagte Verona Pooth, sie habe keine seelischen Schäden aus ihrem Frauenleben zu verzeichnen.

#metoo

Das findet Ursula Scheele natürlich großartig, die Aufmerksamkeit ist gut fürs Geschäft. Und sie sagt ganz offen, wohin ihre Reise geht: „Jede Frau kann für sich entscheiden, was sie als sexistisch empfindet und ‚wir’ müssen akzeptieren, dass Frauen das dann so sehen.“ Einspruch! Wir wollen jetzt unsere Akten zum Fall Gina-Lisa nicht wieder hervorkramen, aber Heikos „Nein heißt Nein“-Gesetz sollte doch wohl reichen. Aber wie gesagt, geschickt mischte Ursula Scheele Sex, Sexismus, Belästigung, Vergewaltigung in ihren großen Agitationstopf, aus dem Gerhart Baum freudig aß. Er ereiferte sich über „Alltagssexismus“, „Rollenüberlegenheit des Mannes“, forderte Frauen an die Macht (der Alte hat gut reden), will „Frauen stärken“ und einen allgemeinen „Mentalitätswechsel“.

Wieder ließ Verona Pooth die Seifenblasen platzen: Sexistische Verhaltensweisen gäbe es „auch andersrum“, wenn Frauen Praktikanten benutzen. Oder in der Schwulenszene. Sie könne nicht begreifen, dass Kevin Spacey sich nicht daran erinnern könne, ein Kind missbraucht zu haben. Da spricht sie ihn gleich schuldig. Heike Melba Fendel will trotzdem nicht die künstlerische Leistung Spaceys darüber schmälern, und ließ wissen, wir müssten kein schlechtes Gewissen haben, wenn wir Kevin Spacey-Filme gut finden.

Nochmal Brüderle

Dank ihres Aufschreis 2013 glaubt Laura Himmelreich, „sind wir weiter. Wir wissen, dass wir Sexismus haben“. Die Richterin und Henkerin des Rainer Brüderle weiß durchaus, dass Brüderle sich nur des Altmodischseins schuldig gemacht hat. „Der wollte witzig sein und charmant, der wollte nichts von mir“, kommentiert die Chefin eines Sex & Drugs & Rock´n Roll-Portals lakonisch. „Ich wollte deutlich machen, der ist nicht geeignet für unsere moderne Zeit.“ Soziale Todesstrafe. Auch bei ihrem damaligen Arbeitgeber „Stern“ fühlte sie sich nicht richtig wohl. „Wenn die Kollegen getrunken hatten, … das war ich nicht gewohnt.“

Heike Melba Fendel wollte das alte Täter-Opfer-Schema beim Sexismus nicht akzeptieren. „Da müssen wir auch über Sex reden und die Stereoptype vom ‚ewig fordernden Mann’ und der ‚ewig zögernden Frau’…“ „Nein, nein, nein!“, fuhr Ursula Scheele dazwischen, „das hat nichts mit Sex zu tun“. Und sie empfahl der Nachbarin, den Mund zu halten („Schonen Sie sich.“). „Alle sind betroffen. Sexismus hat nur mit Macht zu tun, nicht mit Sex“. Das Patriarchat! „Gewalt ist, was andere mit mir machen, was ich nicht will.“ Wie die GEZ? „Zu Ihnen, Herr Brüderle“, verhaspelte sich Ursula Scheele, und Baum predigte dasselbe wie vorher. Was ihn dann aber nicht vor der Frage schützte: „Warum haben Sie die Altherrenwitze von Brüderle nie öffentlich gemacht, Herr Baum?“ Ups. Stammel, Stammel, Stotter, Stotter. „Wir haben das für einen Generalangriff auf die FDP gehalten. Was soll ich da bereuen?“ Alter schützt vor Torheit nicht.

Ursula Scheele forderte dann „eindeutige Aussagen gegen Sexismus“ in der Jamaika-Präambel und mehr Geld für Stiftungen wie die ihre, damit sie die Gerichte aufklären kann. Heike Elba Fendel bemerkte zum Schluss, solche Debatten verunsicherten die Männer, und Verunsicherung sei schon mal ein guter Anfang. Und der alte Baum freute sich über die Feminismus-Auswüchse in den USA, wo jeder Mann bei Verdacht sogleich entlassen würde. Es blieb Verona Pooth überlassen, ihm die Frage hinterherzuschieben: „Besteht da nicht die Gefahr, dass das ausgenutzt wird?“

Epilog

Was ist denn nun Sexismus? Wikipedia bietet uns hierzu quasi die verquaste Weltsicht von Ursula Scheele als Endlostext (als habe sie den Sermon selber verfasst). Wir zitieren ausschnittweise: „Sexismus ist eine breite Palette von Einzelphänomenen unbewusster oder bewusster Diskriminierung auf der Basis des Geschlechts. Es gibt traditionellen oder offenen Sexismus.“ Und last but not least: „Moderner Sexismus wird nicht offen gezeigt, sondern tabuisiert und versteckt. Er zeigt sich indirekt durch die Leugnung von Diskriminierung und die Ablehnung von Maßnahmen, die darauf abzielen, Ungleichheit von Frauen und Männern abzubauen. Als Neosexismus wird der Konflikt zwischen egalitären Werten und negativen Emotionen gegenüber Frauen (Misogynie) bezeichnet.“ Na denn, gute Nacht!