Tichys Einblick
"Wie geschwächt ist Angela Merkel?"

Anne Will: Rangehen! Machen! Mit Schwung! VdL außer Rand und Band

Da haben wir den Damen und Herren mit der Wahl ja ordentlich einen eingeschenkt. Sie können es immer noch nicht fassen. Nur der Zweckoptimismus einer Ursula von der Leyen ist durch nichts zu erschüttern.

Screenprint: ARD/Anne Will

Vor drei Tagen ist Ursula von der Leyen in Frankreich gewesen, (falls es jemanden interessiert) und, oh la la, dieser Macron, was für ein Mann, zieht sie unwahrscheinlich an. Dieser Wuchs, diese Kraft, weckt in ihr die Leidenschaft! Vielleicht, dachten wir während der Will-Show immer wieder, schickt Merkel ihre Parteikollegin deswegen so häufig in die Shows, um zu zeigen: Da habt ihr mit mir noch richtig Glück gehabt.

Zu Beginn stellte Will nebenbei fest: Niemand von uns schaut haltungsfrei auf die Dinge. Will sagen: Jeder Politiker, jeder Moderator, jeder Journalist und jeder Experte führt eine Agenda im Gepäck und dient einem Herrn, dessen Sprache er spricht. Ach was! hätte Loriot dazu gesagt. Also schauen wir uns die Herrschaften an. Carsten Schneider, gelernter Bankkaufmann, studiert danach „Public Policy“ und landet (zwangsläufig?) bei der SPD. Viviane Reding, Luxemburgerin – als EU-Parlamentarierin und irgendwas bei der Bertelsmann-Stiftung bestens versorgt – , will, dass Deutschland die Spendierhosen nicht verschließt, und die abtrünnigen Ost-Europäer mit „starker Hand“ zur Räson bringt. Dazu ist sie Ursula von der Leyens beste Freundin und schätzt offensichtlich denselben Friseur. Wolfgang Merkel ist wie seine Namensvetterin Angela im Herzen Sozialdemokrat, aber wie sie nicht in dieser Partei. Dafür aber in der SPD-Grundwertekommission. Und Bernd Ulrich ist Polit-Chef bei der Zeit. Seinetwegen kann hier endlich mal unser Lieblingssatz untergerbacht werden, der sich häufig bei den Zeit-Leser-Kommentaren findet: „Entfernt. Bitte formulieren Sie Kritik sachlich und differenziert. Danke, die Redaktion“.

Ulrich war mal in Funktion bei den entrückten Grünen, daher vielleicht sein Hang, die augenblickliche Situation – wir haben gewählt, jetzt gucken CDU/CSU/SPD und Grüne blöd aus der Wäsche – in gesamthistorische Zusammenhänge zu stellen. Wir befinden uns nämlich, findet der Nicht-Historiker, an einer Zeitenwende: „500 Jahre westliche Dominanz und 100 Jahre amerikanische Dominanz gehen zu Ende, das führt zur historischen Verunsicherung.“ Weil die Sendung vollkommen belanglos dahinplätscherte, haben wir Zeit für einen Faktencheck. Fangen wir mit der amerikanischen Dominanz an: Die basiert seit 1918 auf ihrer Rolle als Finanzhegemon (die militärischen Erfolge reißen einen jetzt nicht vom Hocker), und bis heute regiert der Dollar die Welt, von den Handelszentren Schanghai oder Frankfurt, von den Taxifahrern in Kairo bis zu den Prostitutka in Russland. Bislang ist jeder Versuch, diese Dominanz abzuschütteln, gescheitert.

Niedergang der Volksparteien
Entstehung einer neuen Politik- und Parteien-Landschaft
In “die 500 Jahre westlicher Dominanz“ ist so viel hineingepackt, dass man schon ein Proseminar bräuchte, um das überhaupt zu definieren. Militärisch hat „der Westen“ nie zusammengearbeitet, sondern hauptsächlich gegeneinander (Religionskriege, Kolonien, Revolution, Napoleon, WK 2; vor der Dominanz der USA war schlicht die britische). Die neue Weltordnung etwa in Arabien, von dem so oft die Rede geht, ist da lediglich ein Kollateralschaden. Man könnte sogar, im Gegenteil zur steilen Ulrich-These die Auffassung vertreten, dass der Traum von der einen Welt mit Demokratie und Menschenrechten bis in den letzten Winkel Anatoliens oder Lesotos ein Beleg für die noch recht lebendige „westliche Dominanz“ ist – außerhalb des Westens wird Anderes geträumt. Aber, wie gesagt, jeder folgt einer Agenda, und die von Ulrich ist wahrscheinlich der Gedanke einer westlichen Kollektivschuld, für die mit Geldtransfers und „Flüchtlings“aufnahme Buße getan werden soll.

Vielleicht hat er aber auch nur so dahergequatscht, wie bei dem Satz: „Die Probleme der Welt kamen bei uns an durch die Flüchtlinge.“ Die Immigranten (darunter verschwindend wenieg Flüchtlinge) kamen in dieser Zahl bei uns an durch Merkel, wäre die korrekte Analyse, aber wir schwenken kurz auf das Thema: „Mächtig ohnmächtig – wie geschwächt ist Angela Merkel?“ Ziemlich, sagt Merkel von der SPD-Grundwertekommission, es geht zu Ende, findet Ulrich, hoffentlich nicht, jammert Viviane. Probleme? Welche Probleme? Als Merkel antrat hatten wir Massenarbeitslosigkeit, und heute ist alles bestens, jubelt von der Leyen (auf dem Papier, Madame, durch Statistikfälschung).

„Aus tiefster Überzeugung“ sagt UvdL alles, was sie sagt. An die Probleme „rangehen! Machen! Mit Schwung!“ Und wir dachten, die Zeit der „Tschakka! Du schaffst es!“-Plattitüden-Verkäufer sei vorbei. Jamaika hätte für „Nachhaltigkeit“ stehen können, hat sie wohl einer Bertelsmann-Broschüre entnommen, nun besprüht sie notgedrungen den jungen Sozialisten Carsten mit ihrem spröden Charme. Aber auch dieses Speed-Dating bleibt chancenlos.

Apropos Besprühen. Christian („ja, so isser, der Schmidt“) wurde noch wegen Glyphosat beschimpft. Partei für Vögel und Insekten nahm natürlich Ulrich von der Vögelschredderpartei Die Grünen. „Die deutsche Natur geht weiter den Bach runter!“ rief er aus. (Zitat KGE?) Wohl lange nicht mehr in derselben unterwegs gewesen, Wandersmann? Die Blumen blühen nicht mehr und Bienen fliegen nicht mehr, weil der Winter Einzug hielt, wollen wir ihm noch hinterherrufen.

Vielsagend war der Einspieler einer Rede von Ursula vor dem Bundestag, wo sie in tiefster Überzeugung von sich gab „Deutschland steht für Verlässlichkeit, meine Damen und Herren!“ Die Damen und Herren spielten mit dem Handy (Wolfgang, tu was!), schwätzten oder lasen. Keiner klatschte.


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