Tichys Einblick
Wahlkampf bei der ARD

Anne Will gibt es noch und mit ihr eine Sendung ohne Neuigkeiten

Bei Anne Will belauern sich CDU (Ziemiak), SPD (Kühnert) und Grüne (Özdemir) und taktieren. Ziemiak versucht gegen ein drohendes Links-Bündnis zu polarisieren, Kühnert wiegelt ab und Özdemir erteilt der Linkspartei eine klare Absage.

Screenprint: ARD/Anne Will

Deutschlands müder Teil der TV-Nation hat sie wieder. Nach zehnwöchiger Pause erschien gestern Abend – sichtlich erholt – Anne Will wieder auf der Mattscheibe. 10 Wochen Pause – so viel Urlaub gibt es nur bei der ARD. Das Thema ist, wie kann es anders sein, der Bundestagswahlkampf, dazu Spitzenvertreter der Parteien mit Ambitionen auf das Kanzleramt als Gäste. Verstärkung auf der journalistischen Seite hatte Will sich von zwei Kolleginnen von Spiegel und Zeit mit in die Runde geholt, der Urlaub reicht wohl immer noch nicht – und da saßen sie nun: der streiterprobte SPD-Linke Kevin Kühnert, CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak und der früh und ohne Erfolg gealterte Grünen-Veteran Cem Özdemir.

Özdemir gegen Die Linke allein zu Haus

Wenn es nach Sympathiepunkten ginge, wäre der Grüne mit seinem Schmusekurs des ewigen Schwiegersohnkandidaten wohl als Sieger des Abends hervorgegangen. Mit seiner Emotionalität und seiner klaren Absage an ein Bündnis mit der Linkspartei wirkte er ebenso überzeugend, wie mit seinem Bekenntnis zu westlichen Werten, der Nato und der Bundeswehr. Anne Will freilich genügte das nicht und sie hakte immer wieder nach, denn nur mit der Linken sei ja eine rot-dunkelrot-grüne Koalition möglich. Sichtlich verärgert reagierte Özdemir: „Wenn die Linke ihr gesamtes Programm umschreibt, müsste man neu bewerten. Damit ist wohl aber nicht zu rechnen.“ Im übrigen ist er mit dieser Haltung ziemlich alleine und war deshalb der wohl Bemitleidenswerteste in der Runde, musste er doch immer wieder die Kandidatin Baerbock verteidigen. Die will sehr wohl mit Links koalieren, wen schert schon Özdemir.

Schmusekätzchen schnurrt
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Nicht minder schwierig, wenn auch aus anderen Gründen, war die Lage für CDU-General Ziemiak. In der CDU haben die miserablen Umfragewerte nach einem Moment der Schockstarre eine Explosion der Verzweiflung ausgelöst. Ziemiak kündigte für den Endspurt des Wahlkampfes einen harten Konfrontationskurs an. Deutschland dürfe nicht nach Links kippen. Rot-Rot-Grün sei die Wunschvorstellung, was immer Özdemir hier auch sage. Anne Will stellte die einzige jetzt zwingende Frage. „Aber Herr Ziemiak, Sie verantworten doch den Wahlkampf – warum jetzt diese Wendung?“ Was sollte er da bloß sagen? Jeder in der Union weiß, dass jeder Slogan, jedes Plakat, jede Äußerung von der Chefin Merkel abgesegnet werden muss. Nicht selten wird dabei noch mal weichgespült. Laschet, Merkel treu ergeben, bleibt nur die Ausführung. Asymmetrischer Wahlkampf, bloß nicht polarisieren, bloß keine Ideologie, war bisher in allen Wahlkämpfen Merkels die Devise. Entsprechend langweilig und nichtssagend sind die Plakate. Jetzt soll das Ruder bei voller Fahrt herumgerissen werden. Dass Paul Ziemiak das kann, bewies er mit scharfen Tönen gegen Ende der Sendung. Man hätte ihn eben nur lassen müssen. Kreide gefressen hatte hingegen der sonst immer polemisch-kämpferische SPD-Linke Kevin Kühnert. Jetzt, wo es so gut läuft, bloß keinen Fehler machen, den Ball flachhalten, wie es der Kandidat Scholz vormacht. Die bürgerliche Maske fällt früh genug, mag sich der Jung-Star der Genossen gedacht haben. Keine Ausbrüche, keine emotionalen Attacken und überwiegend ruhig. So ist das wohl, wenn man Wahlkampf machen will gegen die selbst verantworteten letzten 16 Jahre.

Die erholte Gastgeberin Anne Will musste sich gestern nicht allzu sehr bemühen. Die Runde war zu kontrolliert, als dass es irgendwelcher Lenkung auch nur bedurfte. Unverkennbar natürlich ihre Sympathien für das linke Lager. Ein besonders schöner Moment der Sendung war, als sie Ziemiaks Beschwörung einer Links-Regierung entgegenhielt, dass die Kanzlerin die extrem linke SPD-Vorsitzende Esken sogar möge, worauf dieser nur ein „Das stimmt nicht“ über die Lippen brachte.

Vergeudung von Sendezeit, da nichts Neues. Insgesamt gesehen bot die gestrige „Will“ ein gutes Spiegelbild der derzeitigen Gefechtslage im Wahlkampf und zugleich eine Vorahnung auf vielleicht doch noch interessante vier Wochen Endspurt.

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