Tichys Einblick
Tipp für Feinschmecker

Zwischen Touristentrubel und Familieneinkäufen: Frankfurts Kleinmarkthalle

Die Fressgass ist tot, lang lebe die Kleinmarkthalle! Frankfurts wahres kulinarisches Herz hat gleich mehrere Traditionsadressen, wo Einheimische wie Touristen auf ihre Kosten kommen. Traditionelle Spezialitäten stehen hier im Wettbewerb mit internationalem Ethno-Food. Von Georg Etscheit und aufgegessen.info

IMAGO / Jürgen Ritter

Gäbe es die Frankfurter Kleinmarkthalle nicht, müsste man sie erfinden. Gelegen mitten im Stadtzentrum unweit des Frankfurter Römers und der vorbildlich wieder aufgebauten Altstadt am Römerberg, wird hier alles geboten, was das Herz des Feinschmeckers erfreut. Darunter immer noch viel autochthon Hessisches, wobei Ethno-Food auch in der Kleinmarkthalle unübersehbar auf dem Vormarsch ist.

Seit die zuletzt als „Ramadan“-Meile bekannt gewordene Fressgass zwischen Hauptwache und Alter Oper ihrem Namen nicht mehr gerecht wird, weil Traditionsadressen wie Feinkost Plöger oder die Bäckerei Lochner schon lange geschlossen haben, ist die Kleinmarkthalle in der Mainmetropole eines der letzten Refugien für Menschen, die frische, hochwertige Lebensmittel in großer Vielfalt suchen.

Und natürlich auch für Touristen, die die Markthalle vor allem an Samstagen bevölkern, nicht zuletzt, um sich hier ambulant zu verpflegen, etwa am Stand der Metzgerei Gref-Völsing, seit 1894 in fünfter Generation familiengeführt, und weithin bekannt für ihre Rindswurst und natürlich die Original Frankfurter Würstchen mit leichtem Rauchgeschmack.

Eine weitere Frankfurter Spezialität, die berühmte Grüne Soße aus mindestens sieben unterschiedlichen Kräutern, gibt’s etwa bei Feinkost Treulieb. Jetzt im Frühling ist diese wunderbar leichte Speise das vegetarische pièce de résistance. Wer sie einmal in Vollendung genossen hat, wird nicht von ihr lassen können.

Im Rhein-Main-Gebiet und natürlich auch in der Kleinmarkthalle kann man fast das ganze Jahr über die in Papier eingewickelte Kräutermischung kaufen. Kein Händler wird es verübeln, wenn man sich vor dem Kauf den Inhalt zeigen lässt – ob sich an den Blättern noch keine welken Stellen zeigen und das drin ist, was hineingehört, nämlich Petersilie, Schnittlauch, Kerbel, Borretsch, Pimpinelle (oder Pimpernelle), Sauerampfer und Kresse. Niemals Dill!

Diese Mischung muss immer möglichst fein gehackt werden, um ihr Aroma optimal entfalten zu können. Gemäß dem Rezept einer der bekanntesten Sachsenhäuser Ebbelwoi-Wirtschaften „Daheim im Lorsbacher Tal“ gehören in eine echte Grüne Soße neben dem obligatorischen Grünzeug noch feingehackte Cornichons und hartgekochte Eier. Die verbindende Soße besteht aus Schmand, Joghurt, Senf, Salz, Zucker, Pfeffer, Zitronensaft und dem Abrieb einer halben Zitrone, was noch mehr frühlingshafte Frische verspricht. Vor dem Servieren sollte die Soße gut durchziehen, dazu gibt es klassischerweise fest kochende Pellkartoffeln oder Salzkartoffeln. Zusammen mit Spargel und/oder einem panierten Schnitzel wird sogar ein echter Hauptgang daraus.

Zurück in die Markthalle: Bei den gesprächigen Damen von Michel’s traditioneller Feinkost findet man oberhessische Aale Wurst, eine Art deutsche Salami und besonders gut, wenn sie lange gereift und sehr hart geworden ist. Außerdem Vogelsberger Kartoffelwurst, eine mit Kartoffel gestreckte Rohwurst-Rarität aus dem markanten Vulkangebirgsstock in Mittelhessen. Insgesamt bieten in der Markthalle mehr als 60 Händler auf engem Raum ihre Waren feil, Gedränge ist programmiert.

Kenner weichen auf den ersten Stock aus: Auf einer Galerie sitzend, kann man hier in das Gewusel auf dem Hallenboden hinabblicken. Auch finden sich hier einige Metzger, die Wild, manchmal sogar Kaninchen anbieten – was man im Erdgeschoss nicht so oft findet. Wer Fisch sucht, steigt in das Untergeschoss herab: Hier kann man sich eine Forelle im Becken aussuchen und vor Ort präparieren lassen.

Ende des 19. Jahrhunderts errichtet, wurde die Halle im Stil der Neurenaissance im zweiten Weltkrieg, wie die gesamte Frankfurter Innenstadt, von Bomben zerstört. Wiederaufgebaut im nüchternen Stil der Nachkriegszeit wird sie heute von Touristikern „als gelungenes Konzept zwischen traditioneller Marktatmosphäre und modernem Schmelztiegel internationaler Spezialitäten“ gepriesen. Ende dieses Jahres sollen Sanierungsarbeiten beginnen, auch die Halle muss modernisiert werden um aktuellen Brandschutz-, Hygiene- und Sicherheitsbestimmungen gerecht zu werden. Das soll 2028 im laufenden Betrieb geschehen – 2035 ist also mit einem tatsächlichen Abschluss der Arbeiten zu rechnen.

Bleibt zu hoffen, dass die Traditionssparte nicht noch weiter erodiert. Denn was Frankfurts speziellen Charme ausmacht, ist der zuweilen recht harte Kontrast zwischen glitzernder, himmelwärts strebender Moderne und alter oder wiedererstandener Fachwerk-Heimeligkeit. Wer sich nach letzterem sehnt, wird zehn Minuten weit entfernt in der „Neuen Altstadt“ fündig: Ein Quartier erst zehn Jahre alt, das anhand mittelalterlicher Grundstückspläne wiederaufgebaut wurde. Altmodisch ohne kitschig zu sein, modern, aber doch heimelig ist es einen Verdauungsspaziergang wert.


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