Tichys Einblick
KI-Satiriker im TE-Porträt:

Mein Kaffee mit Snicklink: Ein Gespräch über Satire, Glaube und den KI-Gott

Willy „Snicklink“ Kramer ist einer breiten Internetgemeinde als Schöpfer zahlloser KI-gestützter Satirevideos bekannt. Im persönlichen Gespräch offenbart er sich als der Gegenentwurf einer „Krawallschachtel“: reflektiert, differenziert und voller Empathie für das Glückseligkeitsstreben seiner Mitmenschen.

Snicklink

Wir hatten uns am Freitagvormittag in Berlin verabredet, im Café am Neuen See. Da ich selbst Berlin normalerweise meide wie die Pest, überließ ich die Wahl der Örtlichkeit meinem Gesprächspartner, der das Café kannte und schätzte. Ums Eck der spanischen Botschaft betrat ich das hübsch gelegene und adrett gestaltete Café. Trotz der frühen Stunde waren fast alle Tische besetzt, hauptsächlich von Studenten oder jenen, die es gerne geblieben wären. „Müssen die nicht arbeiten?“, fragte ich mich, bevor ich mich plötzlich erinnerte, soeben selbst auch dieses Lokal betreten zu haben und mir folglich die Frage damit beantwortete, dass die Gäste vielleicht alle jemanden interviewen. Oder interviewt werden, was in einem hippen Szene-Café Berlins womöglich noch wahrscheinlicher wäre.

Während ich noch ganz kurz über das Szenario, dass dieses Café eine Art offenes Büro für Influencer bei ihrer PR-Arbeit sein könnte, nachdachte, erkannte ich auch schon meinen Gesprächspartner auf einer Bank sitzend: Willy Kramer, seinen Fans im Internet bekannt unter dem Namen „Snicklink“, was wiederum eine Verkürzung von „Snickers für Linkshänder“ ist, erscheint als in sich ruhender Frühvierziger, freundlich, aber nicht anbiedernd. Die meisten kennen und schätzen ihn für seinen satirischen Humor, speziell für seine KI-gestützten Parodien deutscher Regierungsmitglieder. Doch ist er alles andere als eine „Krawallschachtel“, jener Terminus, mit dem Harald Schmidt einst Jan Böhmermann klassifizierte.

Ich setzte mich, bestellte einen Kaffee und noch bevor ich mein Aufnahmegerät einschalten konnte, befanden wir uns schon inmitten einer Grundsatzdiskussion über die Frage, ob die Bewusstseinsbildung künstlicher Intelligenz ein unvermeidliches Resultat der stetig wachsenden Kapazitäten der KI sein wird, oder ob dieser Funke eine separate, neue Qualität darstellen würde, für die es bislang keine wirklichen Anzeichen gibt. Jedenfalls verloren wir keine Zeit mit unnötigem Smalltalk und ich dachte mir, dass solche Gespräche hier wohl nicht an jedem Tisch geführt würden. Oder gerade doch? Was, wenn alle Influencer Berlins just in diesem Moment einem Onlinemedium ihre Einschätzung zur KI anvertrauten? Es war nicht auszuschließen.

Bevor ich jedoch alle Perlen Snicklinks durch meine Tagträumerei verpasste, startete ich schnell die Aufnahme und begann dann doch mit etwas Smalltalk, obwohl ich mit Willy wirklich über Basketball reden wollte. Ich erzählte, dass der Sohn von LeBron James unlängst einen Herzanfall erlitten hatte und Gerüchte über die Ursache (Stichwort Impfschäden) mal wieder die Runde machten. „Der Frust über die Kernprobleme, die die Leute so beschäftigen, liegt nicht unbedingt an den Problemen selbst, sondern an der Tatsache, dass man nicht offen darüber reden kann, ohne gleich zum Staatsfeind zu werden,“ analysierte Snicklink die Situation. Zum Basketball kamen wir danach nicht mehr.

KI-Optimierung, die ein wenig nach Sozialismus klingt

Denn vom Frust über die eingeschränkte Meinungsfreiheit landeten wir schon bei der Politikverdrossenheit im Allgemeinen. Willy Kramer scheut sich dabei nicht, die KI in Lösungsversuchen mitzudenken. Wenn er gerade keine satirischen Videos über Habeck bei Maischberger macht, denkt er äußerst intensiv über die anstehenden gesellschaftlichen Veränderungen durch die Entwicklung der KI nach. So glaubt er, dass die Demokratie, wie wir sie noch haben, schon bald „algorithmisiert und optimiert“ werden könnte.

„Letztlich leben wir in einer Zeit, in der alles eine neue Form kriegt“, so Kramer, „und warum sollte das eigentlich wichtigste Thema, mit dem sich alle befassen, nicht auch mal einen Wandel erleben? Nicht nur eine neue Partei, die ganz klassisch organisiert ist, sondern Mikroparteien, ganz krasse Nischenverbände, die im Prinzip keine repräsentative Demokratie mehr benötigen. Stattdessen werden einfach Daten gesammelt über Bedürfnisse, die dann irgendwie an einer zentralen Stelle verarbeitet werden.“ Für einen Moment hält er inne und gibt dann selbst zu, das höre „sich auch ein wenig sozialistisch an“. Letztendlich stellt sich ihm die Frage, ob es Bereiche gibt, in denen eine neutrale KI bessere Entscheidungen für die Gesellschaft treffen könne als der Mensch, der ja oftmals auch fehlerhaft und von Eigeninteressen und Lastern getrieben ist.

Während man an dieser Stelle schon augenrollend Salonkommunismus wittern könnte, täuscht man sich bei Snicklink aber. Kramer bekennt sich zu freiheitlichen Prinzipien und lässt ein libertäres Weltbild durchschimmern, doch will er sich dadurch keine Scheuklappen auferlegen oder in Schubladen stecken lassen. Solche Meinungsverschiedenheiten muss eine freiheitliche Gesellschaft aushalten können.

Ich entgegnete ihm, dass die KI bislang ja alles andere als neutral sei, worauf er antwortete, dass Neutralität nicht unbedingt ein Ziel an sich sein müsse, entscheidend seien vor allem die Eingaben und die Vorgaben der KI. Als optimierendes System könnte die KI einen großen Vorteil gegenüber Politikern und Parteien haben, die meist von Eigeninteressen getrieben sind, nämlich die Fähigkeit eines solchen Systems, zu einer „höheren Glückseligkeit im Staat zu führen“.

Glückseligkeit, Glaube und Spiritualität sind Themenbereiche, die man zwar nicht unbedingt von einem Internet-Memelord erwarten würde, die Willy Kramer aber sehr beschäftigen, so viel wird im Laufe unseres Gesprächs deutlich. Neben seinen satirischen Unterhaltungsformaten produziert er ab und an auch nachdenklichere Videos, in denen er zu gesellschaftspolitischen Fragen Stellung bezieht, oder auch einfach seinen Zusehern ein wenig Mut zusprechen möchte. Zuspruch aus einer spezifischen politischen Nische ist dabei sekundär, lieber bietet er seinem jüngeren Publikum einen konstruktiven Prozess zum Umgang mit Herausforderungen der Gegenwart, anstatt fest definierte Antworten.

Von Ersatzmythen, den Verlockungen des Transhumanismus und den Gefahren des Fatalismus

Das Gespräch mit Willy Kramer ging in dieser Tonart weiter. Ich warnte, dass der Einsatz von KI wie er es skizzierte, ein zweischneidiges Schwert sei und an dystopische Modelle erinnere, wie man sie aus der Agenda 2030 oder den Smart City Agenden kennt, in denen die postdemokratische Gesellschaft ausgerufen wird. „Wenn man mit dem Begriff hausieren geht, dann muss man das auch erfüllen und da liegt das Problem, dass wir an bestimmten Punkten keine demokratischen Prozesse haben, wo es eigentlich nötig wäre, und stattdessen andere als undemokratisch diffamieren, obwohl man selbst die Anforderungen nicht erfüllt,“ so Kramer. Das Problem sei aber nicht eindeutig festzumachen, viele Begriffe würden einfach angenommen, da die wenigsten Menschen sich mit diesen Fragen befassen. „Sie sind passiv, sie sind eingespannt“, sagte Snicklink, „alle 4 Jahre mal aktiv zu werden und was anzukreuzen, was keine Rolle spielt“, könne nicht die Lösung sein.

Und wiederum ließ sich Willy Kramer nicht in eine, egal welche Schublade stecken. Agenden wie die Agenda 2030 und die Agenda 21 lehnte er zwar prinzipiell ab, räumte aber ein, dass manchmal auch „gute Punkte drin“ seien, die von seiner prinzipiellen Ablehnung nicht überstimmt werden sollten. „Die bringen mich dann in Zwist mit mir selber, weil ich denke, ‚Mist, bist Du jetzt ein latenter Transhumanist, so ein latenter machtgieriger Gockel?‘ Das bin ich natürlich nicht, es ist aber vielleicht auch Teil ihrer Strategie, dass sie nicht nur mit Blödsinn ankommen, sondern teilweise mit sehr guten, oder gut getarnten Punkten, die vielleicht einen anderen Zweck haben sollen, die aber eine gewisse Seriosität und Innovation vermitteln.“

Nach einem Ausflug in den Transhumanismus und zu Yuval Noah Harari, dessen Einsichten Kramer für missverstanden hält, kehren wir zurück zu den Themen, die gemeinsam vielleicht das Zentrum von Snicklinks Überlegungen formen: Glauben und KI. Denn in einem seiner Videos hatte er prognostiziert, dass die KI sich – im besten Fall – zu einer Art neuer Gottheit entwickeln würde, die ein dringend benötigtes Vakuum füllen könnte. Frei von individueller Vorteilsnahme könnte diese KI-Gottheit den Menschen dabei helfen, ihr Leben zu optimieren. Aber ist das überhaupt erstrebenswert, fragte ich? Ist die Stärke des Menschen nicht eben seine Imperfektion, seine Anpassungsfähigkeit?

„Wir können von allem ein bisschen was und wir nehmen uns sehr ernst“, fasste Kramer seine Sicht auf den Menschen – ohne dabei zu zwinkern – augenzwinkernd zusammen. „Ich glaube das ist eine gute Kernfrage, die auch oft in der Politik und den Medien vernachlässigt wird. Was ist ein gutes Leben? Natürlich hat ein jeder das Recht, das für sich vollkommen unterschiedlich zu definieren, aber ich glaube, dass es einige Kernpunkte gibt, über die wir uns als Menschen einig sind. Ich denke, für jemanden wie mich, der sich als sehr freiheitsliebend, aber auch sehr menschenliebend betrachtet, sagt der Staat, das System und die Wirtschaftsform, nichts darüber aus, wie ich mich als Mensch entwickle. Als Mensch bin ich verantwortlich, erstmal mein Potenzial zu finden, den meisten ist das ja gar nicht bewusst, die sind einfach nur frustriert, wohnen auf der Couch beim Psychiater, heulen sich aus und brauchen ein Jahr, um überhaupt drauf zu kommen, was mit ihnen nicht stimmt. Und vielleicht stimmt ja auch alles mit ihnen und die Gesellschaft ist krank? Ich bin also für mich verantwortlich und da gibt es Mittel und Wege dahin zu kommen, z.B. durch Religion, durch Meditation, durch Interaktion mit Menschen, durch Reisen usw.  … es gibt tausende Wege.

Wenn aber das System die Freiheit diese Wege zu gehen blockiert, dann ist das schlecht und da gilt dann, in einer perfekten Welt, die von einer KI – sagen wir mal nicht kontrolliert, aber optimiert wird – dass ein Mensch dahingehend gefördert wird, dass er eine Stunde am Tag ohne Leistung, ohne Druck verbringt. ‚Geh eine Stunde in den Wald‘, das ist genauso wichtig wie wählen, wie Steuern zahlen, usw. Wir reden hier seit Jahrzehnten von Umsatzsteuererhöhung und Migrantenquoten, aber eigentlich fehlt den Menschen Zeit mit sich selbst, um zu ihrem göttlichen, zu ihrem spirituellen Wesen zu kommen, damit sie das Ganze ganz anders bewerten können und Glück finden. Es geht gar nicht nur darum, Daten zu sammeln und Verordnungen zu machen, sondern in unserem Sinne etwas zu optimieren. Wär doch geil, wenn eine Merkel sich mal hingestellt hätte und gesagt hätte: Anderes Thema Leute: ‚Kümmert ihr euch eigentlich um euch selbst? Seid ihr mal mit euch selber?‘ Unvorstellbar. Aber sollte ein Staatsoberhaupt nicht auch daran interessiert sein, dass die Leute glücklich sind?“

Diese Lücke, dieses Bedürfnis, so meinte ich, würde aber heutzutage von den zahlreichen Ersatzmythen aufgegriffen, die danach streben, das spirituelle Vakuum unserer Gesellschaft zu füllen, was offensichtlich Wasser auf die Mühlen Snicklinks war.

„Sie sind dabei auch sehr erfolgreich, weil sie genau an diese archaischen Rezeptoren anknüpfen, die wir haben, denn wir wollen Teil eines größeren Ganzen sein, einer Vision, einer Geschichte, eines Weges. Dahinter steht aber etwas vollends Unspirituelles. Es sind ganz einfache Ideologien, die aber romantisiert und mit religiösem Eifer, Jüngern, Symbolik, Tempeln und einem Heilsversprechen angereichert werden. Es gibt auch eine klare Abgrenzung zwischen Himmel und Hölle, gut und böse, heilig und nicht heilig, und so weiter. So eine Ersatzreligion kann aber nur fruchten, weil die Leute extrem weit weg vom Glauben sind, von der Kraft, die der Glaube in welcher Form auch immer mit sich bringt, nämlich das Runterstufen von sich selbst im Dienste einer höheren Sache, ob nun Gott oder der Gemeinschaft. Die Kirche hat auch ihren Teil dazu beigetragen, dass es so weit kommen konnte, da es irgendwann auch viel um Ego, Macht und Geld ging und vom Glauben, der Botschaft abgetrennt war. Ich glaube aber, dass da irgendwann so eine menschliche Kraft aktiviert wird, die das reparieren möchte, abseits einer großen Agenda und Persönlichkeiten, sondern die wir dann als Kollektiv spüren. Es geht um die Einsicht, dass da etwas kaputt gegangen ist, und den Willen, das wieder gemeinschaftlich zu reparieren.“

Diese Einsicht bestimmt auch Kramers Arbeit als Satiriker. „Selbst wenn meine Kunst, oder was auch immer ich da mache, mit dystopischen Lagen überlagert ist, möchte ich immer einen Kern von Optimismus und Besonderheit dazugeben. Es ist auch eine Form von Glauben, aber eben nicht ‚ich bin austauschbar‘, ‚ich bin schlecht‘, ‚ich habe Privilegien‘, ‚ich bin ein nichts‘, ‚eigentlich sollte ich tot sein‘. Es gibt einen stark ausgeprägten Fatalismus bei der Jugend, die Ansicht, es lohne nicht mehr Kinder in die Welt zu setzen, alle werden sterben, alles ist schlecht. Ich meine, was für eine respektlose Behandlung des Göttlichen ist das eigentlich? Dass man so in die Zukunft blickt, ist schlecht, das ist nicht gut!“

Von Süßstoff, geplantem Scheitern und der Goldgrube Satire

Wir bestellten noch jeweils einen Kaffee, Snicklink einen entkoffeinierten mit Süßstoff. Mittlerweile goss es in Strömen. Die kurze Pause brachte Willy Kramer aber nicht aus dem Konzept. „Früher brauchten die Leute Gründungsmythen, Entstehungsmythen. All das fanden sie in der Religion. Wie sieht dein Tag aus? Was isst du? An welchem Tag sollst du ruhen? Wer sagt das, wenn nicht die Religion? TikTok, Telegram, deine Freunde? Aber es gibt keinen zentralen Kanon mehr, weshalb die Menschen auch so krass unterschiedlich geworden sind. Das hat auch seine gute Seite, führt aber auch zu einem Gefühl riesiger Spaltung. Wie kannst du das annehmen? Wie kannst du das nur glauben? Das ist doch offensichtlich krank, und so weiter. All das haben wir jetzt, weil wir keinen Kanon mehr haben.“

Angesichts dieser kulturkritischen Aussagen fragte ich Kramer, ob er denkt, dass die heutigen Ersatzreligionen das Potenzial haben, um dieses Bedürfnis wieder zu erfüllen, oder ob die gegenwärtige Zuspitzung womöglich zu einem ideologischen Polsprung führen könnte, nach dem sich zumindest die westliche Welt wieder neu ordnet.

„Ich glaube, das sollte man annehmen. Ich glaube, dass Kampagnen von mächtigen Instanzen nicht ohne Grund ins Leere laufen. Die Menschen, die scheinbar unendliche finanzielle Mittel haben, um ideologische Dinge zu forcieren, egal ob medial oder gesellschaftlich, scheitern nicht einfach grundlos. Man merkt auch, wie die große Verwirrung den Menschen zusetzt, egal wie schlau, basiert oder spirituell du bist, das macht was mit dir, wenn du spürst, dass die Dinge keinen Regeln mehr folgen. Ich denke auch, dass es sich um ein globales Werkzeug handelt, um – was auch immer – voranzutreiben. Das ist wie bei einer Vorstellung, bei der der Hauptkünstler erstmal eine Stunde lang die Vorband die Menge anheizen lässt. All die Einschränkungen, ‚du darfst hier nicht mehr hingehen‘, ‚du darfst nicht mehr heizen‘ … das wird die Menschen verzweifeln lassen. Die wenigen, die dann noch klar ticken, werden dann erleben, wie die nächste Stufe eingeleitet wird, wenn es nicht mehr ein Zirkus ist. Denn jetzt ist alles noch Zirkus. Die Vorband spielt seit ungefähr 2014/2015 und macht die Bühne bereit für den Hauptact. Und ich frage mich gerade, ob ich heute noch Süßstoff kriege.“

Wir kamen aufs Gewicht zu sprechen. Als Väter Anfang 40 mussten wir beide schon längst körperliche Konzessionen machen. Das erklärte Ziel lautet für uns unter der magischen Grenze 100 zu bleiben, denn darüber fühle man sich „nicht mehr greifbar als Mensch“, so Kramer. Doch die Liebe zum Essen bleibt, solange es keine Würmer sind. „Vielleicht gibt es ja auch irgendeinen Sternekoch, der die Würmer so geil macht, dass alle sagen: ‚Sorry, ich brauch kein Filet Mignon mehr‘.“ Letztlich erbarmte sich die Bedienung und er bekam dann doch noch seinen Süßstoff.

So landeten wir endlich bei dem, wofür Kramer bekannt, geliebt und gefürchtet ist: „Ich finde es rein kreativ gesehen, als Internet-Memer, der ich ja nach wie vor bin, eine total spannende Zeit. Ich kriege immer wieder den Satz zu hören: Satiriker kommen gar nicht mehr hinterher, weil die Realität ja zur Satire geworden ist. Das war sie aber vielleicht schon immer und das ist alles nur Benzin für meine Kreation. Es ist auch eine Therapie, denn die beste Art für mich diese Dinge zu verarbeiten ist, wenn mir noch 10000 Leute sagen: ‚Danke, du hast mir den Tag versüßt, so ertrage ich den Wahnsinn besser‘. Ich mache mir natürlich auch ernsthafte Gedanken über das Ganze, aber kreativ gesehen ist das momentan eine Goldgrube. Alles ist sehr verdichtet, es ist ein krasses Spektakel.“

Wenn Deepfakes zur Wahrheitsfindung beitragen 

Als Satiriker hat Snicklink natürlich auch zum Status quo des Humors eine ausgeprägte Meinung. Satiriker wie Volker Pispers fehlen, Lisa Eckhart entspricht zwar nicht seinem Geschmack, ist aber immerhin etwas Neues. Seine eigenen Idole, die ihn inspirieren, findet er nur in der Vergangenheit.

„Tatsächlich bin ich ja auch sehr provokativ, auch bewusst, aber ich glaube, das ist nicht nur eine Wahl der Stilmittel, denn in einer extremen Welt kann man gar nicht mehr ohne eine gewisse Grenzüberschreitung irgendeinen Punkt machen. Außer man macht eine Sache jetzt wirklich wegen der Ästhetik, wie Musik, oder auch klassische Kunst. Alle anderen verbinden ihre Kunst jetzt mit irgendeiner Message. Alles ist hochpolitisch geworden. Man muss da immer aufpassen, wie weit man geht. Zwar erfährt man dann Zuspruch, es wird dann aber auch schon bald brenzlig. Die Leute wollen Ehrlichkeit und Authentizität, wie weit man damit geht, muss jeder für sich selbst entscheiden. Ansonsten herrscht aber viel Konformität vor, die sich hinter äußerlichen Gags versteckt.“

So kamen wir über die Kunstfreiheit nochmal auf die KI und ihre Rolle für Kramers Arbeit als Satiriker zu sprechen. „Leider sehe ich das zuhauf“, sagte Kramer, „dass die Leute durch die Realität leiden, sie sind am Limit. Das sah man bereits in der Pandemie und es geht weiter. Die Psychiatrien sind voll, auch viele junge Leute leiden existenziell und man kann sich nur fragen, was man tut, um das nicht zu verstärken. Ich biete etwas, von dem ich weiß, das wird irritieren. Dann würde ich die Frage stellen, ob das real ist, oder nicht. Für mich ist das eine Katharsis, ich will, dass Leute dadurch an das Wahrhaftige kommen. Es ist ganz lustig, durch die Deepfakes wird die Fakeness der Realität gefaket, und durch das doppelte Fake hoffe ich auf Wahrheit.

Das führt dazu, dass Menschen die Realität stärker hinterfragen. Zumindest einmal das Konzept von Wahrheit überhaupt zu analysieren und zu hinterfragen, das ist doch schon mal ein geiles Ding, anstatt sich darüber aufzuregen, dass jemand ein komisches Profilbild hat. Denn der Vorwurf, man würde damit zu mehr Manipulation in der Zukunft beitragen, greift nicht. Medienhäuser und Regierungen arbeiten bereits seit Jahrzehnten, ja seit Jahrhunderten im Prinzip mit Fälschungen. Ich bin da nur ein kleines Rad im System und kann nur versuchen, mit denselben Mitteln ohne Budget zu arbeiten.“

Der Morgen schritt fort und wurde zum Mittag. Influencer-Gäste gingen, neue Influencer-Gäste kamen. Wir saßen mit Willy Kramer noch zwei weitere Stunden zusammen und unterhielten uns über den KI-Gott und die Welt. Seine Zukunftsvisionen für eine Welt voller KI, in der die künstliche Intelligenz die Art und Weise, wie wir arbeiten werden, verändern wird, mag nicht jedermann gefallen. Auch wenn es sich dabei vorerst nur um Prognosen handelt, die sich nicht zwingend bewahrheiten müssen, so sind die von ihm skizzierten Möglichkeiten nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Ob in einigen Jahren tatsächlich jedermann seine eigenen Filme auf Knopfdruck von einer KI erzeugen lassen wird, oder ob es zu einer Gegenbewegung, oder gar einem Kollaps dieses Systems kommt: Willy Kramer ist ein inspirierender und offener Gesprächspartner, mit einem Herz für seine Mitmenschen und einem scharfen Sinn für Satire. Snicklink mag nicht der Satiriker sein, den wir verdienen, aber der, den wir brauchen.

Wir verabschieden uns, bevor wir uns auf den Heimweg zu unseren Familien machen. Ich muss noch einen Artikel schreiben, und freue mich, endlich wieder raus aus Berlin zu kommen. Willy Kramer hatte bereits eine Idee für ein Video von einem Alien bei Markus Lanz. Auf das mittlerweile erschienene Video kommentierte jemand bei YouTube: „Vielen Dank, Snicklink, für Deine grandiose Arbeit. Nur so hält man den täglichen Irrsinn noch aus.“ Kleine Gesten menschlicher Verbundenheit, Lebenselixier für selbst den bissigsten Satiriker mit einem weichen Kern.

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