Tichys Einblick
Harald Schmidt in Stuttgart

»Schon wieder zehn Rubine nach elf Diamanten?«

In seiner neuen Bühnenshow im Stuttgarter Theater ist Harald Schmidt ganz der Alte: launig, »zynisch und menschenverachtend« – und dabei einfach er selbst. Sein Publikum fängt er immer noch wie im Spiel ein und führt es auf sicheren Wegen in politisch nicht immer korrekte Gewässer.

© Schauspiel Stuttgart/ Björn Klein

Der Rezensent ist nach Stuttgart angereist wie zu einer Pilgerfahrt. Seit mehr als zwanzig Jahren hat er die Geschicke des deutschen Humor-Heroen Harald Schmidt verfolgt, von den Anfängen bei »Schmidteinander« über die stürmischen Höhen bei Sat.1 bis zu den Ausläufern, als die Show bei verschiedenen anderen Sendern ein Asyl fand.

Stuttgart zeigt sich als überaus menschliches Pflaster: Rücksichtsvolle Menschen mit Manieren haufenweise, welche Wohltat. Allerdings kommt man in der Landeshauptstadt nach bald neun Jahren Kretschmann durcheinander, man sagt »rechts« und zeigt links, so dreimal geschehen, als der Ortsunkundige nach dem Weg fragte. Vermutlich ist es die kognitive Dissonanz: Kretschmann müsste als Grüner eigentlich »links« sein, verkörpert aber zugleich das, was man im konservativen Ländle von einem Landesvater erwartet, also das Gegenteil von Links.

Nun, es geht ins Staatstheater, den modernen Nachbarbau der sanierungsbedürftigen Gründerzeit-Oper. Das Foyer ist schon belebt, das Publikum bringt sich bei Bier und Sekt langsam in Stimmung. Einlass ist erst spät, man wartet schon vor den Saaltüren, als wäre freie Platzwahl. Neben mir kommt ein Herr mit graumeliertem Bart und Ultrakurzhaarschnitt zu sitzen, den zu Zeiten von Schmidts Late-Night-Show wohl unfehlbar die Kamera eingefangen hätte, launig kommentiert von der Stimme des Meisters: »Und heute auch hier… Pep Guardiola!« Auf der anderen Seite ein lesbisches Business-Pärchen, das Schmidts Witze über Bettina Böttinger offenbar nicht übel genommen hat. Das Stuttgarter Bürgertum gibt sich ein Stelldichein, von der arbeitenden Mitte bis zur Kulturbourgeoisie. Aber direkt vor dem Auftritt klingt es weniger nach soigniertem Theaterabend als nach aufgeregter Schulaula.

Erster Lacher des Abends: »Guten Abend, liebe Dritte«

Der Vorhang geht auf. Es spielt die Big Band des Albert-Einstein-Gymnasiums Böblingen. Kurz darauf schwebt der Meister buchstäblich in einer Art Sicherheitsschaukel ein, wippt mit den Füßen im Takt. Ein nervöses Zwinkern erinnert da an seine eigenen Schulaula-Anfänge, die er einst schonungslos in seiner Show offenlegte. Der erste Stand-up-Comedian Deutschlands gab einst bei Sat.1 zu, Ticks gehabt zu haben, von denen er sich durch die eigene Show-Karriere sozusagen heroisch selbsttherapierte (Video bei Minute 33:00). Schmidt landet, zeigt mit zwei Dieter-Thomas-Heck-Fingern auf die Band und präsentiert sie mit der altgewohnten Heck-Stimme. Die Standards sitzen noch.

Dann die launige Begrüßung: »Guten Abend, meine Herren, guten Abend, liebe Damen, guten Abend, liebe Dritte.« Das ist der erste Lacher des Abends. Im nächsten Moment ist es so, als liefe die tägliche Show immer noch. Schmidt spult seine Late-Night-Routine ab. Er zeigt, dass er es noch kann, aus dem Stand und ohne tägliche Übung. Diese launig kommentierende, oft »zynisch und menschenverachtend« wirkende Figur (so Schmidt über Schmidt mit gespielter Empörung), das ist einfach er selbst. Im Grunde ist das Ganze aber wohlaustariert zwischen dem Spott über die Missgeschicke der Oberen Zehntausend und einer Art Mitgefühl für die Verstoßenen der neuen Zeit. Relativ neu sind dabei pantomimische Rätsel wie das Porträt des um Jahrzehnte gealterten Harvey Weinstein mit Rollator. Später trifft es Jan Hofer mit verschleppter Grippe in der »Tagesschau«. Schmidt macht ihn nach und sieht dabei etwa so aus wie Ottfried Fischer normalerweise: »Habe ich live gesehen, lange nicht mehr so gelacht.«

Greta? »Man kennt sie halt …«

An diesem Abend gibt es keinen politischen Gast – wie zuletzt Kretschmann, den Schmidt in der Oktober-Show als Schwaben und Grünen von Welt hofierte. Dafür gab’s als Sidekick den jungen Gitarristen der Schul-Big-Band, Joost Hinrichs, gebürtig aus Hildesheim, daher das »astreine Deutsch«, wie der schwäbisch sozialisierte Entertainer bemerkt. Joost wird von Schmidt als »sehr streng, sehr klar« beschrieben. Ein bisschen scheint er den strebsamen Elftklässler, der jetzt schon weiß, dass er Grundschullehrer werden will, zu bewundern. Mit den Schülern diskutiert Schmidt über unser Bildungssystem, fragt Deutsch-Themen und Mathe-Kenntnisse ab. Dabei zeigt sich ein gewisser Überdruss der Schüler an der Beliebigkeit der Unterrichtsgestaltung.

In Religion haben sie an dem Tag einen Film gesehen. Schmidt: »Das Leben des Bryan?« – »Nein, Comedian Harmonists.« – Den Katholiken Schmidt schaudert es, lachend ruft er aus: »Natürlich, Matthäus, Lukas, Johannes… Was ist denn das für eine Religion? Glaubt ihr an den Papst?« – »Nein, das ist evangelischer Religionsunterricht.« Na gut. Schmidt fragt: »Was sagt ihr zu Greta Thunberg?« Joost, mit leicht wegwerfender Geste: »Man kennt sie halt …« Das beruhigt den Gastgeber gewissermaßen. Seine Erklärung für das Phänomen: »Die Eltern tun sich ein bisschen schwer am ersten Arbeitsmarkt, also beamen sie die Tochter auf Klimaschutz.«

Das Albert-Einstein-Gymnasium ist übrigens musisch ausgerichtet. Logisch, bei dem Namenspatron. Auf der Website hat Schmidt gelesen: »Imagination is more important than knowledge.« Der Comedian plädiert für Phantasie und ereifert sich: »Auch die Nazis haben gesagt: 2+2=4! Warum nicht 5? Damit kommt man auch durch – mit dem, was das Amt so monatlich zahlt.« Erstes Hoho-Gelächter im Publikum. Mit dem eigenen Reichtum kokettiert Schmidt dagegen: »Ich habe nicht die schlechten Zeiten vergessen, als ich Business fliegen musste.«

Kevin Kühnert allein zuhause… etwa in Hemden aus Bangladesh?

Dann kommt die Politik an die Reihe. Wo kommen Kevin Kühnerts Hemden her? Vielleicht aus einer fensterlosen Garage in Bangladesh. Das ist zwar eine durchaus genaue Beobachtung, denn die Hemden sehen eher nach H&M als nach Peek & Cloppenburg aus, wäre aber schlecht für die SPD, die durch den drohenden Skandal einen ›Spitzengenossen‹ mehr einbüßen könnte. Aber wäre es so schade darum? Schmidt scheint es nicht zu glauben. Der letzte Kanzler ohne abgeschlossene Berufsausbildung, wer war das noch… Schmidt, Kohl, Schröder, alle hatten einen ordentlichen Beruf. Nur dieser Postkartenmaler aus Braunau am Inn nicht so recht. Auf das aufbrandende Gelächter reagiert Schmidt pseudo-panisch mit der umgehenden Bitte, das nicht sofort rauszutwittern: »Schmidt vergleicht Kühnert mit Hitler!«

Saskia Esken porträtiert Schmidt als keifende Landeselternbeiratstante (wie zuerst von TE berichtet), »mit diesen karierten Hosen und den kecken, roten Elternbeiratsschuhen«. Man kenne diese Funktionärinnen, immer im Stress, platzen sie in die Weihnachtsfeier hinein, auf dem Graubrot kauend: »Ich hatte noch ’ne Sitzung in Stuttgart.« Zu AKK fällt ihm vor allem der Akzent respektive ein phonetisches Problem ein: »Ftreichhölzer«. Zitat vom CDU-Parteitag (hier sinngemäß wiedergegeben): »Wir dürfen nicht die Brandftifter sein. Aber auch nicht die Biedermänner, die ihnen die Ftreichhölzer reichen.«

Prosecco schnorrende Mütter am Kindergeburtstag

Daneben scheint der Familienvater durch, der Patchwork-Familien nur vom Hörensagen kennt, dafür aber Kindergeburtstagsprobleme aus nächster Nähe. Die Allergien der Kleinen werden immer schlimmer: »Nein, in der Erdbeertorte ist kein Schweinefleisch, Muhammad.« Mütter, die beim Abholen Prosecco erwarten. Schmidt wünscht sich das eher wie den Agententausch an der Glienicker Brücke: »Nimm ihn!« (Man kann sich vorstellen, wie er solche Meinungen im persönlichen Kontakt wieder weglächelt: »War doch nicht so gemeint. Du doch nicht!«) Zum Gitarrensolo von Sidekick Joost geht Schmidt in den peinlichen Papa-Ausdruckstanz… Ja, klar, auch eine Auswirkung von Selbstverwirklichung im Alter und Achtsamkeitstraining: »Früher habe ich den Espresso einfach getrunken. Heute graut mir, wenn ich daran denke.«

Zum Abschluss noch ein selbstbezügliches Impromptu des Bühnenstars. Schmidt blickt auf die Uhr: »Oh, schon wieder zehn Rubine nach elf Diamanten.« Ein Zitat nach dem grandiosen Liberace, der dem Publikum in dem Moment gern noch die mit Edelsteinen besetzten Finger zeigte. Hier ist Schmidt zu Hause, auf der großen Bühne. Und die steht jetzt eben im heimatlichen Stuttgart, und nirgendwo anders mehr.

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