Tichys Einblick
Da und doch nichts gelernt

„Sind Ossis auch nur Migranten?“

Der SPIEGEL verrennt sich immer weiter. Jetzt sind auch die Ossis Migranten - und wissen es nur noch nicht. Gut, dass der SPIEGEL es ihnen jetzt erklärt. Eine Glosse von Alexander Wallasch.

© PATRICK HERTZOG/AFP/Getty Images

Ferda Ataman ist neue Kolumnistin bei Spiegel Online. Dort erfüllt sie gleich auf doppelte Weise die Quote: zum einen als Frau, zum anderen als Deutsche mit türkischem Hintergrund. Geboren wurde sie in Stuttgart. Möglicherweise sind ihre Vorfahren als Gastarbeiter hergekommen, um mit Zeitarbeitsvertrag bei Mercedes zu werken, wir wissen es nicht. Ist aber auch egal. Viel interessanter ist, dass die Journalistin hier geboren wurde, deutsche Kindergärten und Schulen besucht, hier womöglich studiert hat und doch so wenig weiß, sich so wenig interessiert hat für das Land und seine Einwohner, in das die zugewanderten Eltern sie hineingeboren haben.

Kann man Ossis nicht integrieren?

In ihrer Kolumne fragt Ataman unter dem Schlagwort „Diskriminierung“: „Sind Ossis auch nur Migranten?“ Ihre einleitenden Worte:

„Dass du nicht richtig deutsch bist, erkennst du daran, dass deine Integrationsfähigkeit infrage gestellt wird, wenn du einen Fehler machst. Ossis und Migranten haben deshalb viel gemein. Tun wir uns zusammen!“

Die Frage ist ja nicht dumm. Die Herablassung gegenüber vielen Ostdeutschen war lange mit Händen zu greifen. Aber dann hört es auch auf. Denn vielfach empfanden es die Deutschen aus dem Osten schwer, sich in Multikultiland zu integrieren. Bei Gerda Ataman war es wohl umgekehrt:

Dass Ferda Ataman sich selbst für nicht richtig deutsch hält, kann ihr niemand verdenken. Wenn in ihrem Elternhaus mutmaßlich eine türkische Kultur samt Sprache und Erinnerungen gepflegt wurde, dann darf man das ambivalent nennen. Der Spagat zwischen zwei Welten als Bereicherung? Kann sein, ist aber leider selten ein Automatismus. Will die Kolumnistin sich mit Getöse zwischen die Augsteins und Fleischhauers drängen, die Platzhirsche mit maximalem Tamtam wegsemmeln? Sehr anstrengend, sowas wird meist laut, aber nicht klug. Will Ataman hier mit einem satirischen Böhmermann-Trommelwirbel ihren Einstand geben? Es ist nicht zweifelsfrei erkennbar. Nehmen wir Ataman mal beim Wort: „Sind Ossis auch nur Migranten?“ Nun ist es für Einheimische, die hier seit vielen Generationen wohnen, tatsächlich recht einfach, den Unsinn hinter so einer Frage zu verstehen.

Ataman beschreibt nur ihr Nichtverstehen

Ataman beschreibt nur ihr Nichtverstehen. Ihr fehlen nicht nur die Erzählungen der Generationen, fehlen jene über Krieg, Teilung, Mauerbau. Über getrennte Familien, Besuche der alten Tante, die reisen durfte, über die heiße Tasse Kaffee am Grenzübergang Marienborn, getrunken mit zittrigen Händen, die Ostpakete, wo die Zitronen heimlich in ein paar Seiten Bravo gewickelt wurden neben der Westjeans, fehlen die Erzählungen über die hübsche Metalleisenbahn und die Räuchermännchen samt Räucherkerzen, die an Weihnachten aus der DDR mit einem Stück Baumkuchen zurückkamen – nein, von all dem kann Ataman aus eigenem Erleben nichts wissen. Ihre Familie hat keine deutsche Geschichte, keine Verwandten in der DDR oder umgekehrt, keine Kriegserinnerungen, keine Vertreibungserinnerungen. Gelebte deutsche Geschichte war bei den Atamans tatsächlich immer die Geschichte der anderen. Aber dafür können die anderen, können die Deutschen nichts.

Wenn Ataman also über die Wiedervereinigung sprechen will, dann darf sie auch über den türkischen Gemüsehändler sprechen, der an der Straße stand, zusammen mit den Einheimischen, und noch etwas sorgenvoller schaute, als die Trabbi-Kolonnen in den Westen einfuhren um ihre einhundert Mark Begrüßungsgeld abzuholen. Aus „Wir sind das Volk“ wurde „Wir sind ein Volk“. Warum? Weil wir eines sind. Weil es so einfach ist. Und weil es von kaum einem Deutschen in Frage gestellt wurde. Die Wiedervereinigung war mehr als nur westdeutsche Staatsräson, sie war jahrzehntelanges Begehren Vieler auf beiden Seiten des Minengürtels.

Die Sorgen der Türken

Und bei aller Kraft und Ausdauer, bei allem finanziellen Aufwand, die der Westdeutsche dafür verwendet hat, seine türkisch-muslimischen Gastarbeiter, die hier bleiben wollten, bei ihren Integrationsbemühungen zu helfen, ihnen die Hand zu reichen, sie willkommen zu heißen: bei der Widervereinigung waren diese Migranten türkischer Herkunft für den Moment außen vor. Außen vor, wenn es darum ging, einen lange gehegten Traum eines durch Mauer und Stacheldraht getrennten Volkes wahr werden zu lassen. Der eingewanderte Türke und seine Nachkommen waren für einen kurzen Moment deutscher Geschichte uninteressant. Ja, so etwas soll vorgekommen sein. Und niemand meinte das böse. Im Gegenteil: Er wurde zum Mitfeiern eingeladen, als das Feuerwerk das Brandenburger Tor erleuchtete und sich die ganze Welt mit Deutschland freute. Aber vielleicht ist das die Bruchstelle, die jetzt deutlich wird, wenn Fußballmillionäre türkischer Herkunft Erdogan als ihren Präsidenten feiern. Sie fühlten und fühlen sich vom Vereinigungsrummel ausgeschlossen und zogen ihre innere Konsequenz. Dem könnte man nachgehen.

Ataman aber schreibt nur: „Tatsächlich war die Ankunft der deutschen Zuwanderer aus der DDR damals für einige Miesmacher kein Grund zur Freude, sondern eine Invasion von arbeitsscheuen Wirtschaftsasylanten.“

Erkennen sie den Fehler? Nein, die Ostdeutschen mussten nicht zuwandern, sie haben im Gegenteil die neuen Bundesländer mit in das neue größere Deutschland eingebracht. Miesmachersprüche musste man sich vom Türken seines Vertrauens anhören, die Sorge hatten, nun nicht mehr die alleinig verhätschelten Sorgenkinder der Westdeutschen sein zu dürfen.

Jene, die noch in dritter Generation zusätzliche Schularbeitenhilfe und Unterstützung einforderten, weil Mutti zwar schon putzen ging, um die Haushaltskasse aufzubessern, ansonsten aber kaum ein Wort deutsch sprechen konnte und wollte. Ataman schreibt: „Auch Ossis mussten sich jahrelang im Fernsehen von besorgten Bürgern beleidigen und beschimpfen lassen. Da standen sie den Flüchtlingen von heute in nichts nach. Aber dieser Teil der Geschichte wird beim Rückblick auf die Wiedervereinigung gern ausgeblendet.“

In welchem Deutschland hat Ataman damals gelebt? Was war da los in Stuttgart? In der türkischen Community? Welche Fernsehsender wurden über SAT-Schüssel empfangen? Aber eigentlich steckt ja die ganze Botschaft schon im Wort „Wiedervereinigung“. Mit Syrern, Türken, Afrikanern können wir uns nicht wiedervereinigen. Warum auch? Weil es keine Gemeinsamkeiten gibt. Hier ein Wollen – dort ein irgendwie müssen. So einfach. Die Gemeinsamkeit für Menschen, die sich integrieren wollen, liegt in der deutschen Kultur, in nichts sonst. Nachgereicht sind neue Impulse, die gerne kommen können, wenn die Basics verstanden wurden, aber erst dann.

Hass gegen sich selbst auch bei den Türken

Die Kolumnistin erzählt, dass die Mehrheit der Ostdeutschen Muslime als Bedrohung bezeichnen. Darüber wundert sie sich nun deshalb, weil doch viele Ostdeutsche nach der Wiedervereinigung erfahren hätte, wie sich „Hass gegen einen selbst anfühlt.“ Das ist so abseitig, erfahrungstechnisch und historisch so falsch und dämlich, dass man sich fragen muss, wo das herkommt. Ist es der ängstliche Hass reflektiert aus einer türkischen Community, in der Frau Ataman sich aufgehalten hat oder noch aufhält? Damit täte sie ganz sicher vielen Türken unrecht. Denn die sind mehrheitlich im Westen geblieben, so wie die Ostdeutschen mehrheitlich in den neuen Bundesländern geblieben sind.

Aber Ataman geht noch weiter in ihrer Fantasie-Geschichtsstunde: Die Ostdeutschen wären dankbar für die Zuwanderung, weil sie nun endlich Neuankömmlinge gefunden hätten, nach denen sie treten könnten: Das sei „das ersehnte Upgrade.“ Und die Kolumnistin fragt ihre Leser: „Könnte die Ostdeutschenfeindlichkeit von damals die Radikalisierung mancher Ossis befeuert haben?“ Ist das nicht verrückt? Niemand bestreitet Schwierigkeiten. Selbst innerhalb eines Volkes, wenn man 40 Jahre lang in unterschiedlichen Systemen aufwachsen musste. Aber von einer „Ostdeutschenfeindlichkeit“ kann nur eine Deutsche sprechen, die in einem dritten System aufgewachsen ist: Der Parallelgesellschaft innerhalb irgendeiner selbstgefälligen anpassungsunwilligen türkischen Community.

Frau Ataman hat sich diese kruden Thesen allerdings nicht alleine ausgedacht.

Vor wenigen Tagen hatte Naika Foroutan, Professorin für Integrationsfragen, erwähnt, dass das „Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung“ untersucht werde, „ob Ostdeutsche ähnliche Diskriminierungen erleben wie Muslime.“ Nun ist Fortoutan offensichtlich nicht ganz so verbildet, wie Ataman, wenn sie immerhin differenziert, wo Ataman noch von ostdeutschen Flüchtlingen fabulierte: „Migranten haben ihr Land verlassen, Ostdeutsche wurden von ihrem Land verlassen.“ Irgendwie nachvollziehbarer werden die Gedankengänge von Frau Ataman dadurch leider  trotzdem nicht.

Ataman wünscht sich eine Art Querfront zwischen Zuwanderern, Migranten und Deutschen der neuen Bundesländern: „Die Teutonen aus dem Deutschland der aufgehenden Sonne und die Muslime sind eine Schicksalsgemeinschaft.“ Unfreiwillig komisch wird es, wenn Ataman als Beleg für die Diskriminierung der Deutschen in den neuen Bundesländern eine angebliche Abwehrhaltung der Westdeutschen gegenüber der hohen AfD-Wählerschaft in den neuen Bundesländern anführt: „Rassismus? Nicht deutsch. Bitte zurück in die Zone.“ Ist das so ein Böhmermann-Blödel-Ding made by Ataman? Wie lustig will das sein? Noch lustiger, wenn sich die Kolumnistin schließlich komplett verheddert, wenn sie meint, das wäre doch Quatsch, denn im Westen gäbe es doch numerisch viel mehr AfD-Wähler. Also doch ein Deutschland, dann nämlich, wenn es dieses böse AfD-Deutschland sein soll?

Schluss der Kolumne von Ferda Ataman: „Sollen sich doch die Wessis integrieren.“ Aber in was, möchte man da gerne wissen? In irgendein ominöses Neues Deutschland Made by Migranten und finanziert by the Rest of the Doof-Deutschen? Das könnte allerdings noch ein langer mühsamer Weg werden. Oder einfach eine Denksackgasse.