Tichys Einblick
Achtung, Glosse

Wölfe mögen sich bitte an Ruhezeiten halten

Glosse: „Homo homini lupus“, der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Nicht immer braucht es Kriege, um zu sehen, dass dieser Satz wahr ist. Oft reichen schon Urteile des Oberverwaltungsgerichts Münster. Wenn naiver Artenschutz auf lebensfremde Juristen trifft, hat der gesunde Menschenverstand Pause. So dürfen Hirtenhunde nicht Wache halten, wenn der Wolf naht.

IMAGO

Wohl nirgendwo geht es ihnen so gut wie in Deutschland. Sie dürfen nicht nur kommen, nein, sie sollen kommen, und zwar möglichst zahlreich: Mit viel Geld wird dafür gesorgt, dass möglichst viele von ihnen kommen. Wenn sie dann da sind, werden sie vom grünen Zeitgeist enthusiastisch empfangen. Sie dürfen sich alles erlauben. Wenn sie sich daneben benehmen, werden sie nicht zur Rechenschaft gezogen.

Die Rede ist, natürlich, von den Wölfen.

Die Fellträger mögen gerne Blut, da ähneln sie Vampiren. Dracula steht bei uns allerdings nicht unter Naturschutz, Isegrim hingegen schon. Vielleicht deshalb gibt es schon seit längerem keine bekannten Bissopfer von Vampiren, während die Zahl der von Wölfen im arttypischen Dauerjagdtrieb gerissenen und zerfleischten Weidetiere auch bei uns sprunghaft steigt.

Es trifft Schafe, Ziegen und zwischendurch auch schon mal eine bemitleidenswerte Milchkuh. Die, blutüberströmt und qualvoll verendet, entdeckt dann morgens der hocherfreute Bauer. Und Lupus ist geschäftstüchtig, er erschließt sich konsequent neue Zielgruppen: Im Wald von Altmark in Sachsen-Anhalt hat ein Wolf gerade eben erst einen Terrier verfolgt, angegriffen und getötet.

Selbst der Leiter des zuständigen Bundesforstbetriebs kann seine Sorge nicht verbergen: „Ein solcher Unfall hat sich bisher auf unseren Forstflächen nicht ereignet“, ringt Rainer Aumann sichtlich um Fassung.

„Herdenschutz“ ist ein grünes Zauberwort. Der herrschende Mainstream hat einige solcher magischen Begriffe: „Sondervermögen“ zum Beispiel (wenn es darum geht, dass die Staatskasse geplündert ist), oder „Fachkräftezuwanderung“ (wenn es darum geht, dass das Land den Flüchtlingsstrom nicht mehr bewältigen kann).

So ein Zauberwort funktioniert in einer politischen Debatte wie ein Joker beim Rommé. In unserem Beispiel: Wann immer es darum geht, dass landwirtschaftliche Nutztiere nun doch schon irgendwie vor Wölfen geschützt werden sollten, ruft irgendein Grüner „Herdenschutz“. Damit ist dann gemeint, dass man die Beutetiere – für Bauern schlicht deren Existenzgrundlage – ja auch anders behüten kann.

Als wichtigste Maßnahmen des „Herdenschutzes“ nennt der Naturschutzbund Deutschland (NABU) auf seiner Internetseite: Elektrozäune und Herdenschutzhunde. Solche Zäune sind sehr teuer, aber das soll uns hier nicht weiter aufhalten. Uns geht es um die Herdenschutzhunde. Die sind, nun ja, eben Hunde. Und Hunde bellen.

Es betritt die Bühne: das Oberverwaltungsgericht Münster.

Denn in das Gebiet, in dem eine nordrhein-westfälische Bäuerin auf ihrem Hof Tiere züchtet, sind mittlerweile so viele Wölfe eingewandert, dass es offiziell als Wolfsgebiet ausgewiesen wurde. Die Bedrohung für die Nutztiere der hauptberuflichen Landwirtin ist evident und akut. Die Frau hat dann viel in Elektrozäune und in sieben Herdenschutzhunde investiert. Letztere haben manchmal, artgerecht und nicht wirklich verwunderlich, gebellt.

Das allerdings hat einem Nachbarn nicht gefallen. Man kennt diese Sorte: gebürtige Städter, wohlhabend geworden, die nicht selten aus Statusgründen aufs Land ziehen – von dem sie eine bestenfalls naive, meist aber völlig wirklichkeitsfremde Vorstellung haben. Am neuen Wohnort angekommen, klagen sie dann gegen alles, was das Land zum Land macht: läutende Kirchenglocken, riechende Gülledünger – oder eben bellende Hunde.

Das OVG Münster hat in dem Fall sein Urteil gesprochen, das man so zusammenfassen könnte: Die Richter haben den Schuss nicht gehört.

Denn das OVG ist auf die aparte Idee gekommen, Ruhezeiten für den Herdenschutz zu definieren. In der Mittags- und Nachtruhe dürfen die Herdenschutzhunde der betroffenen Bäuerin nicht mehr draußen die Herde schützen, sondern müssen irgendwo drinnen eingesperrt werden. Im Einzelfall gilt das auch außerhalb der Ruhezeiten, nämlich „bei unzumutbarem Gebell“.

Das Interesse des Nachbarn an einem Landleben ohne Hundegebell sei wichtiger als das Interesse der Landwirtin, ihre Nutztiere zu schützen, finden die Richter. Es ist nicht bekannt, ob sich die Wölfe an die Ruhezeiten halten wollen. Die Raubtiere sind im Wesentlichen dämmerungs- und nachtaktiv: Sie jagen also genau zu den Zeiten, in denen die Herdenschutzhunde jetzt grundsätzlich wegsperrt werden müssen.

Deutschland ist das einzige Land der Welt, in dem die Wölfe Tränen lachen, statt zu heulen.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Münsteraner Richter Urteile fällen, die nicht von dieser Welt sind. Vor kurzem sollten sie entscheiden, wie ein Jäger den Schlüssel zu seinem Waffenschrank aufbewahren muss. Da sind sie auf den spannenden Gedanken verfallen, eine logische Endlosschleife zu erschaffen: Der Schlüsselschrank, in dem ein Schlüssel für einen Waffenschrank aufbewahrt werden darf, muss nun genauso sicher sein wie der Waffenschrank selbst.

Geht es nach dem OVG Münster, braucht nun also jeder Jäger nicht nur einen Waffenschrank, sondern für den Schlüssel dazu noch einen weiteren Waffenschrank. Und für den Schlüssel dazu dann wieder einen, und so weiter. Das ist kein Witz, das meinen die Richter wirklich so.

Der einzige Ausweg aus dem Dilemma ist ein Waffenschrank mit Zahlenschloss. Die Dinger sind freilich viel teurer, und nach dem Urteil werden sie sicher im Preis weiter steigen.

Wenn naiver Artenschutz auf lebensfremde Juristen trifft, hat der gesunde Menschenverstand Pause.

In der ideologischen Kunstwelt grün-linker Stadtmenschen sind Wölfe etwas zu groß geratene Kuscheltiere und ungefähr so akut vom Aussterben bedroht wie Pandabären. Beides ist, um es höflich zu sagen, nicht vollständig korrekt.

Zum einen ist der „böse Wolf“ nicht umsonst eine so wichtige Figur in Europas Kulturgeschichte:

• „Rotkäppchen und der Wolf“ (von den Gebrüdern Grimm aus Frankreich übernommen),
• „Der Wolf und die sieben Geißlein“ (von den Gebrüdern Grimm aus dem Elsass übernommen),
• „Der Wolf und die drei Schweinchen“ (England),
• „Peter und der Wolf“ (Russland).

Erzählungen vom guten Wolf fehlen in unserem Märchenschatz genauso wie Geschichten von der gütigen Stiefmutter oder vom doofen Fuchs. Aus gutem Grund (Achtung, der folgende Satz könnte naturferne Metropolenkinder jetzt verstören):

Wölfe sind gefährliche Raubtiere, vor denen sich die Menschen zurecht fürchten – schon immer und bis heute: Im US-Kinohit „The Wolf of Wall Street“ von 2013 ist die Hauptfigur ein skrupelloser Börsenmakler, der seine Konkurrenten buchstäblich zerfleischt. Der Film heißt natürlich nicht zufällig so.

Zum anderen ist das Tier keineswegs vom Aussterben bedroht, sondern entwickelt sich zunehmend zu einer Plage. Von den geschätzt 170.000 Exemplaren weltweit lebt jedes zehnte (!) auf dem – ja vergleichsweise kleinen – europäischen Kontinent. Und da ist Russland noch gar nicht erfasst, weil Moskau andere Sorgen hat, als die Wolfspopulationen regelmäßig durchzuzählen.

Das hindert die Raubtier-Lobby bei uns nicht daran, sehr viel Steuergeld für die abstrusesten Projekte in die Hand zu nehmen. Die werden absehbar fast immer ein Totalreinfall und fahren gegen die Wand – wie gerade in diesen Tagen der sogenannte „Wolfskrankenwagen“.

Kurzer Rückblick: 2017 präsentierte die Region Hannover stolz ein neues Spezialfahrzeug.

Mit dem sollten Wölfe, die bei Autounfällen verletzt wurden, schnell und sicher zur nächstgelegenen Tierklinik gebracht werden. Die Ausstattung war beeindruckend: wildtiersichere Innenwände, ein gepolstertes Transportbrett mit fellschonenden Fixiergurten, Stabschlingen und Netze zum Einfangen der Tiere, Bissschutzhandschuhe, ein Maulkorb – und sogar eine Heizdecke für den Wolf (kein Scherz).

Wer – wie ich – schon mal in Afrika und Südostasien in der Entwicklungshilfe gearbeitet hat, der weiß: Es gibt viele Regionen auf der Welt, wo die Fahrzeuge für den Krankentransport von menschlichen Patienten nicht annähernd so luxuriös ausgestattet sind.

Der Wolfsanhänger war eine Sonderanfertigung, kostete damals 11.000.- Euro und hatte – siehe oben – wirklich alles. Nur eines hatte er nie: Patienten.

Schon damals hatten Förster und Jäger darauf hingewiesen, dass einfach keine Fälle von Wölfen bekannt sind, die bei Zusammenstößen mit Autos nur so leicht verletzt werden, dass sie irgendwie überlebensfähig wären. Die Tiere, die in derartige Vorfälle verwickelt sind, verenden praktisch immer sofort am Unfallort. Aber die Erfinder des „Wolfskrankenwagens“ setzten sich durch, die Idee war doch so schön. Man kennt das ja.

Inzwischen hat sich der Wind gedreht. Von 2017 bis 2022 gab es in der Region Hannover insgesamt sowieso nur zwölf Verkehrsunfälle mit Wölfen. In allen Fällen erlagen die Tiere – wie von Anfang an vorhergesagt – schnell ihren Verletzungen. Der Wolfskrankenwagen kam seit seiner Einführung vor sechs Jahren kein einziges Mal zum Einsatz.

Jetzt ist das Projekt still und leise beendet worden. Der Anhänger wird nun im Rahmen der Tierseuchenbekämpfung genutzt: zum Transport von Wildschweinkadavern.

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