Tichys Einblick
Achtung Satire!

Wenn Nürnberg zur Hitze-Todeszone erklärt wird

Warum Lebensgefahr in Franken herrscht. Eigentlich überall in Deutschland. Und weshalb das genau genommen etwas Gutes bedeutet.

IMAGO / Michael Weber

Die Sonne lacht zurzeit über Deutschland, und damit auch über Nürnberg einschließlich seiner Stadtverwaltung. Die kündigt nämlich laut Nachrichtenportal Nordbayern  „Temperaturen über 30 Grad“ an, und bereitet die Einwohner schon einmal auf das Schlimmste vor: „Sommerhitze erreicht Franken: Stadt Nürnberg warnt vor ‚akuter Lebensgefahr‘.“ 

Screenshot / Nordbayern.de

Die akute unterscheidet sich von der unakuten Lebensgefahr bekanntlich dadurch, dass man gleich stirbt, nicht erst später wie alle anderen auch. Weiter berichtet das Portal: 

„Im Rahmen einer Pressemeldung der Stadt hat das Nürnberger Gesundheitsamt darauf hingewiesen, dass voraussichtlich bereits in dieser Woche Temperaturen erreicht werden, die die Gesundheit gefährden können. ‚Schon bei 26 Grad Celsius reagiert der Körper mit vermehrtem Schwitzen und Kreislaufstörungen‘, heißt es in der Nachricht aus dem Rathaus.“

Wer die Todeszone Nürnberg nicht sofort mit den Füßen voran verlässt, weiß dank der städtischen Warnbotschaft wenigstens, woher die Flüssigkeitsansammlungen in Nacken und Achselhöhlen stammen. Und hoffentlich bucht der eine oder andere Franke wenigstens seinen Urlaub von Hurghada nach Hammerfest um. 

„Eine Rückkehr zur Normalität wird es nicht geben“, meinte vor einiger Zeit ein Tagesthemen-Kommentator. Und er lag damit richtig, wie nur ein ARD-Medienschaffender richtig liegen kann. Früher in der Vergangenheit, als die Bürger beim Stichwort „junge Frau aus Schweden“ an Ingmar-Bergman-Filme dachten, galt Wärme im Sommer noch nicht als Vorstufe zur Apokalypse, sondern als gute Voraussetzung, um den Tag am See zu verbringen. Wer an 30-Grad-Tagen arbeiten musste, grämte sich, holte sich aber wenigstens zwischendurch ein Eis und abends ein kühles Bier. 

Das war einmal so. Das kommt nie wieder. Vermutlich werden Medienschaffende auch bald nachweisen, dass sich die Leute einfach nur falsch erinnern. 

Der Thunberg-Satz „ich will, dass ihr in Panik geratet“ gehört zu den erfolgreichsten Anweisungen überhaupt, jedenfalls in einem großen Teil der Medien – und neuerdings eben auch in der Stadtverwaltung. Wer Wetter einfach nur als Wetter deutet, lebt garantiert außerhalb dieser beiden Bereiche. Und wahrscheinlich schon viel zu lange. Denn wir müssen weit zurückgehen, um uns an Meldungen wie „die nächsten Tage schönes sommerliches Wetter“ zu erinnern. Im vergangenen Jahr jedenfalls schlagzeilte die Hessische Niedersächsische Allgemeine (HNA) um etwa die gleiche Zeit, am 12. Juni: „Hitzewelle rollt auf Deutschland zu – tropische Temperaturen auch in der Nacht erwartet“. Denn: „Die Temperaturen liegen im Norden von Deutschland am Sonntag um die 20 Grad und schon ab Montag sollen die Temperaturen wieder steigen, eine regelrechte Hitzewelle rollt auf Deutschland zu.“ 

Das Portal Der Westen sondermeldete ebenfalls 2021: „Wetter in NRW: Achtung! Unerträgliche Tropenhitze im Anmarsch“. Übrigens rollen unentwegt Wellen, marschiert ein Wetter an oder ein, und wenn es im Winter kalt wird – auch das kommt vor – dann handelt es sich um eine „Russenpeitsche“ (BILD). Eine stilistische Ähnlichkeit mit Frontmeldungen von ganz früher lässt sich kaum übersehen. Apropos Russenpeitsche: „Neue, irre Prognose: Kälte-Schock im Dezember?“, schockte der Berliner Kurier im Winter 2021 seine Leser. 

Viele Wetter-Apps warnen heute tatsächlich vor „extremer Kälte“, sobald die Temperaturen unter minus fünf Grad fallen. Falls nicht gerade Sommerwärme und Winterkälte über Deutschland rollen, gehen Sintflutregen und/oder Monsterorkane über das Land in einer Weise hinweg, dass die Behörden eigentlich nicht nur die eigenen Bürger warnen müssten, sondern auch alle Touristen und Migranten: „Betreten verboten, Lebensgefahr“. Und das an mindestens 360 Tagen im Jahr.  

„Wann wird es wieder richtig Sommer?“, sang früher einmal Rudi Carrell unverantwortlicherweise, „ein Sommer, wie er früher einmal war?“ Mit Strandbad, Liegewiese, kühlem Getränk und allgemeiner Freude über Temperaturen oberhalb von 25 Grad, selbst bei Redakteuren und Stadtverwaltern? Dumme Frage: gar nicht mehr. Und Herbst, damit das klar ist, ist auch nicht mehr die Zeit der bunten Blätter, sondern die des nächsten Killervirus.

Ab minus 10 Grad im Winter, hervorgerufen durch Jetstream-Veränderungen am Nordpol, wie ein Klimaexperte im Fernsehen aufklären wird, frieren dann wieder die Weichen der Züge fest, in deren Wagen ab 26 Sommergrad das Klima ausfällt. 

Wenigstens dort.

Gut, Dauerhysterie ist nicht jedermanns und -frau Sache. Manche behaupten, sie könnten das Panikgetröte nicht mehr ertragen. Dabei übersehen sie eine viel wichtigere Erkenntnis, die weit, weit über die Todeszone Franken reicht: Nach Stalingrad marschiert dieses Volk garantiert nicht mehr. Nach Tobruk auch nicht. Selbst mit Elektro-Tiger.

Zählt das etwa nichts?

Und jetzt das Wetter.

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