Tichys Einblick
Glosse

Keine anderen Sorgen? Die FDP will im Bundestag nicht neben der AfD sitzen

Unter FDP-Abgeordneten geht eine große Sorge um. Sie will im neuen Bundestag nicht mehr neben der AfD platziert werden. Vielleicht darf sie ja bald bei den Grünen auf dem Schoß sitzen.

FDP-MdB Wieland Schinnenburg spricht im Mai 2020 seine AfD-Nachbarn im Bundestag an.

IMAGO / Future Image

Deutschland hat gewiss große Probleme. Doch nicht die Energieunsicherheit, die Gasknappheit, die Inflation sind so schwerwiegend, dass sie es mit der politischen Gesäßgeographie des wahrlich nicht zu kleinen Bundestags aufnehmen können.

Die neueste deutsche Massenorgansiation bilden die Mitglieder des Bundestages. Und dort findet zur Stunde die Gigantomachie Deutschlands, eine Art Superwrestling der Volksvertreter statt: Es geht um Sein oder Nichtsein. Nichts, aber auch gar nichts kann es mit der Dramatik dieses Kampfes aufnehmen. Für die FDP geht es um die schlichte Existenz: Sie will nicht mehr neben der AfD sitzen. Der stellvertretende FDP-Fraktionschef Stephan Thomae, dem jedes erdenkliche Mitleid in Deutschland gelten darf, beschrieb die schlimmen Angriffe, die FDP-Abgeordnete von ihren AfD-Kollegen erfahren, mit den Worten: „Da wird man zudem in Gespräche verwickelt, die man gar nicht führen will.“ Oh Gott, wie schlimm, wie sittenwidrig, da wird doch tatsächlich am hellen Tag, vor aller Augen ein Parlamentarier von einem anderen in ein Gespräch verwickelt. Sodom und Gomorrha. Und das in einem Schweigekloster, das der Bundestag ist. Oder gilt inzwischen eine kommunikative Omertá: Wer mit den Falschen redet, wird moralisch als Parlamentarier erledigt. Schließlich ginge es um Symbolik, wie Thomae weiß.

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Und da hat der stellvertretende Fraktionsvorsitzende vollkommen recht, die FDP gehört längst nicht mehr auf den Platz Mitte-rechts im Parlament. Sie sehnt sich nach einem kuschligen Platz im linken Spektrum, am liebsten und am besten auf dem Schoß der Grünen. Da gehört sie auch hin. Eine Partei der Mitte ist die FDP nur noch, wenn die Mitte links ist. Doch wenn die Mitte links ist, was ist dann rechts? Auch aus diesen Gründen, um eine Kursbestimmung und um eine nette Verortung durch die allzeit strafenden Medien zu ermöglichen, die man, wie sich einst die Griechen ihren Göttern gegenüber bemühten, günstig stimmen muss, ist der sicherste Platz, den ein FDP-Funktionär finden kann, auf dem Schoß seines grünen Genossen. Tja, wenn wir sitzen Seit‘ an Seit‘ und die alten Lieder singen.

Wer sich erdreistet, diesen Konflikt als Petitesse abzutun, sollte sich der dramatischen Szenen in der Schulzeit erinnern, wenn man vom Lehrer verdonnert wurde, neben einem Mitschüler zu sitzen, neben dem man partout und in tausend kalten Wintern nicht sitzen wollte.

Strukturell linke Mehrheit
In der CDU revoltiert es ein wenig, aber nicht zu laut
Der gesinnungsethisch zart besaitete Stephan Thomae petzte dann auch gleich, dass die FDP immer brav eine Partei der Mitte gewesen sei, während sich die CDU/CSU rechts von der Mitte zeigen würde. Soll doch die blöde CDU neben der ekligen AfD sitzen! So sieht man es jedenfalls in der FDP. Nur, es drängt auch die CDU/CSU nach links. Überhaupt wollen sowohl FDP als auch CDU/CSU mittig sein, was eigentlich dasselbe ist wie links, seitdem die Mitte mit den Grünen identifiziert wird.

Und da alle „demokratischen Parteien“ links sein wollen, bleibt der rechte Platz leer. Und die Mitte? Die gibt es nicht mehr, es gibt nur noch linke oder rechte Plätze. Daraus werden die künftigen Kämpfe in der Gesellschaft erwachsen, und sie werden immer heftiger ausfallen, um so unver-mitte-lter sie sind.

Die FDP muss aufpassen, dass aus dem Spiel „Mein rechter, rechter Platz ist leer“ nicht die „Reise nach Jerusalem“ wird, in deren Verlauf sie plötzlich vor besetzten Stühlen steht, weil sie den noch freien Platz zu spät erkannt hat.

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