Tichys Einblick
Glosse

Der „Spiegel“, das „Zigeunerschnitzel“ und andere Probleme

Beim Spiegel kümmert man sich um die wirklich wichtigen Fragen. Vor allem dieser: Hat der WDR ein Rassismus-Problem? Und wenn ja, wie kommt man ihm bei? Lenin weiß Rat.

"Der Spiegel", Verlagsgebäude in Hamburg

imago images / Jürgen Ritter

Großes geschieht im Land der Vielen, doch hat es Unentschuldbares zur Voraussetzung, dessen Enthüllung niemandem erspart werden darf. Gottseidank haben wir unter uns ein unerschrockenes Recherchemagazin, dass diesen Skandal gewohnt aktivistisch aufdeckte. Mitten in Deutschland im Jahr 2021 zeigte sich etwas, das nun nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, etwas, das uns ins Gedächtnis ruft, wie weit der lange Arm der Rassisten in die öffentlich-rechtlichen Sender reicht.

Rettung kommt jedoch vom Spiegel und seinem wachsamen Medienredakteur Christian Buß, der mit investigativem Mut das schlimmste Komplott gegen unsere Demokratie seit dem Jahr 1949 aufdeckt hat. Man stelle sich das einmal vor: In der WDR Talkshow „Die letzte Instanz“ haben „ausschließlich weiße Medienschaffende“ darüber diskutiert, ob man Wörter wie das „Zigeunerschnitzel“ noch benutzen darf. Dieser heimtückische Anschlag auf die „Gesellschaft der Vielen“ ist nicht einmal dem Kontrollrat der Neuen Deutschen Medienmacher, nicht einem ihrer Vielen Medienmacher oder Medienschaffenden, deren Namen mir vor lauter Empörung gerade jetzt nicht einfallen. Doch beim Spiegel brennt noch Licht, denn Christian Buß, der schläft noch nicht. 

Mit großem Mut stellt sich der wackere Mann höchst komplizierten Problemen. Denn es stellt sich die Frage, wer diese Weißen beim WDR waren? Kulturschaffende schaffen Kultur, Kunstschaffende Kunst, aber was schaffen Medienschaffende? Medien? Saßen also Ruppert Murdoch und Hubert Burda in der Talkshow des WDR? 

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Noch weitaus schwieriger gestaltet sich die Frage nach dem so harmlos scheinenden „Zigeunerschnitzel“. So gesehen hätten also in der Talkshow keine Medienschaffenden sitzen dürfen, sondern Restaurantschaffende oder Küchenschaffende und über die Frage des Zigeunerschnitzels debattieren müssen, vielleicht noch ergänzt durch Dudenschaffende oder Wörterbuchschaffende, denn es handelt ich um Zubereitung und Wortgebrauch gleichermaßen. Ein etymologisierender Wörterbuchschaffender hätte den wachsamen Spiegelnden oder Artikelschaffenden oder Redaktionsschaffenden Buß aufklären können, dass jenes in dessen Ohren so übelklingende Wort sich aus dem Wort Zigeuner und aus dem Wort Schnitzel zusammensetzt. Das Wort Zigeuner besitzt eine alte, aber eben unklare Herkunft. Laut dem Kühne wird es als Sammelbezeichnung seit dem 15. Jahrhundert in Deutschland verwendet, – Kluge, Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Zigeuner: Als Stammesbezeichnung bezeugt seit dem 15. Jh. (vorher Tatar u.ä.). Entlehnt aus it. Zingaro, ung. Czigany.“ Der WDR sollte also, um den fauxpas wettzumachen, in einer Talkrunde mit Küchenschaffenden of Color der Frage nachgehen, ob der Begriff Tartar, für eine Zubereitungsart von rohem Rindfleisch, die eine Vorstellung davon vermittelt, was die Tataren auf ihrem Weg nach Westen und Norden mit ihren Gegnern anstellten, noch benutzt werden darf, denn er unterstellt jenem Volk eine etwas barbarische Umgangsweise, die aus postkolonialer Sicht doch letztlich alleinige Schuld des Westens und des Nordens war.

Das etymologische Wörterbuch des Deutschen listet auf, dass die Bezeichnung Zigeuner in allen süd- und osteuropäischen Sprachen vorkommt. Sicher könnte man jetzt eine Diskussion darüber initiieren, dass Zigeuner nicht die Selbstbezeichnung der Sinti und Roma sei, doch das trifft auf alle Völker zu, denn das Slawische „Nemecki“ ist auch nicht die Selbstbezeichnung der Deutschen – und sehr positiv ist es übrigens auch nicht, genau genommen sogar diskriminierend, denn Nemecki heißt übersetzt eben nicht Deutsch, sondern bezeichnet die, die ohne Zunge sind, im Sinne von ohne Sprache, also die Sprachlosen. Es könnte allerdings sein, dass ich den wachsamen Buß nur missverstanden habe: Vielleicht stößt er sich nicht an dem Begriff Zigeuner, sondern am Schnitzel, denn als Fleischscheibe stellt das Schnitzel nur eine Reduktionsform des ganzen Tieres da, verleugnet das Schweineschnitzel das Schwein als ganzes und reduziert es auf dieses kleine, knochenlose Stück, ja auf seine Funktion, gegessen zu werden.

Ist letzteres gemeint, lautet die Frage, ob im Schnitzel der Knochen diskriminiert wird. Wikipedia teilt uns zum Zigeunerschnitzel mit: „Das Bestimmungswort ‚Zigeuner-‘ erfährt im deutschen Sprachgebrauch zunehmende Ablehnung. Zumindest bis zur Jahrtausendwende hat diese jedoch der Verwendung als Wortbestandteil in Musik (Zigeunermusik), Gastronomie (À la zingara) wie Lebensmittelindustrie (Zigeunersauce) keinen Abbruch getan. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass in der Kochkunst, der Küchensprache und in Kochrezepten beim Bestimmungswort nicht die Ethnie, sondern die intensive Verwendung von Paprika als Zutat ausschlaggebend ist. Mit ‚à la zingara‘ wird eine Garniturform, die Zubereitung oder die Verwendung wesentlicher Zutaten bezeichnet. Als Alternativbezeichnung für das Gericht wurden bislang Paprikaschnitzel – was in der kulinarischen Fachsprache aber bereits ein anderes Grundrezept bezeichnet – oder Balkanschnitzel in die öffentliche Diskussion getragen. An dieser Stelle entgehen wir, wenn wir verantwortungsbewusst sind, nicht der Entscheidung, ob wir die Begriffe: Wiener Schnitzel, Münchner Schnitzel, Piccata milanese, Berliner Schnitzel, Pariser Schnitzel, Hamburger Schnitzel, Holsteiner Schnitzel, Jägerschnitzel, Zigeunerschnitzel, Frankfurter Schnitzel, Schnitzel Hawaii verwenden, und warten diesbezüglich vertrauensvoll auf die nächste Talkshow des WDR. 

Entwarnung kann leider noch nicht gegeben werden, denn die Diskussion über das Zigeunerschnitzel der Medienschaffenden without Color stellt bei weitem nicht die schlimmste Verfehlung dar, die der wachsame Hamburger aufklärte. In einer Karnevalszene, die im Februar 2021 ausgestrahlt wurde und die aus dem Jahr 2010 stammt, trat Désirée Nick als Pharaonin verkleidet auf, „flankiert von zwei schwarz angemalten weißen Männern“. 

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Doch zur Aufklärung des Sachverhalts muss ermittelt werden: Fühlten sich die beiden schwarz angemalten Männer in der Zeit, in der sie of color waren, auch of color? Da nicht mehr der alte weiße Grundsatz des alten weißen Philosophen René Descartes gilt: Cogito ergo sum (ich denke, also bin ich), sondern der Grundsatz der Vielen: Sentio, ergo sum (ich fühle, also bin ich), wäre es diskriminierend, den beiden Männern die Gesichtsbemalung zu verbieten, wenn in diesem Augenblick die beiden Männer sich of color – in diesem Fall schwarz oder color of black – fühlten. Wenn die beiden Männer sich in dem Moment schwarz fühlten, als sie schwarz angemalt waren, besaßen sie jedes Recht dazu, schwarz zu sein. An dieser Stelle kommt auf den wachsamen Redaktionierenden noch sehr viel investigative Arbeit zu. Doch ich sehe voller Vertrauen auf den Fleiß und das Verantwortungsbewusstsein des Spiegelschaffenden. 

Bevor jedoch die Frage, wie sich die beiden Männer damals fühlten, nicht geklärt ist, und da hat Christian Buß recht, wird man die Frage weiter diskutieren müssen, also nicht abschließen können, „ob der WDR ein Rassismusproblem hat“, doch „so kann man mit Sicherheit sagen, dass er ein Kontrollproblem hat.“ Schon der Genosse Lenin hat in seiner ungewöhnlich tiefsinnigen Art unermüdlich hervorgehoben, dass Vertrauen gut, aber Kontrolle besser sei. Dowerjai, no prowerjai, wie wir russisch Gebildeten gern sagen: Vertraue, aber prüfe nach. 

Nun haben bedauerlicherweise schon seit längerem so bewährte Kontrollorgane wie die Tscheka oder der MGB oder die GPU oder das Ministerium für Staatssicherheit die Arbeit eingestellt und Orwells Miniwahr ist bis jetzt noch eine literarische Erfindung, obwohl für eine Gründung überall in Deutschland hoffnungsvolle Ansätze auszumachen sind. Bereits der Genosse Stalin hat im „Kurzen Lehrgang der KPdSU (B)“ instruktiv gezeigt, wie man mit der Geschichte, mit Archiven und Archivalien umgeht. So ließ er auf den Fotos Lenins Weggefährten, nachdem er sie mit großer Gründlichkeit verschwinden und töten ließ, konsequenterweise wegretuschieren, bis nur noch er übrigblieb. 

Der Vorstoß des in Hamburg wachsam auf Wacht stehenden Kontrollschaffenden ist bereits von einem verdienten Erfolg gekrönt, denn eine WDR-Pressesprachschaffende hat schon eingewilligt, darüber nachzudenken, „die Kontrollmechanismen auszuweiten.“ So dürfte in nicht allzu ferner Zukunft der Säuberung des Archivs nichts mehr im Wege stehen. So hat der Spiegelschaffende doch ein schönes Ergebnis erzielt, indem er die Gründung eines dezentralen Miniwahrs angeregt und angestoßen hat. Damit geht Deutschland der Welt wahrlich voran. 

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