Tichys Einblick
Achtung Glosse!

Der französische Präsident und die deutsche Leberwurst

Bei der Ankunft der französischen und der deutschen Delegation in Kiew bietet sich ein vielsagendes Bild. Macron macht auf Staatsmann, Scholz auf Handwerker vom Dienst.

Während sich Draghi und Macron nach dem Treffen im Wagon wieder ankleideten, blieb Scholz gewohnt hemdsärmelig.

IMAGO / ZUMA Press

Der vermutlich wichtigste gebührenbezahlte Beitrag zur deutsch-französischen Verständigung ist das Format „Karambolage“ auf Arte. An Objekten und Bildern wird dem Zuschauer exemplarisch der Unterschied zwischen Mentalität, Sprache und Geschichte vorgeführt, um ein größeres Verständnis für die andere Kultur zu entwickeln. Die Ankunft des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron und des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz sind so ein lebendes Bild, das die grundsätzlichen Unterschiede enthüllt – auf deutscher Seite jedoch auch zu einem gewissen Grad eine bemerkenswerte Peinlichkeit.

Die französische Nation hat bessere Tage gesehen. Sie hat aber zumindest in der Öffentlichkeit ihren Willen zur Selbstinszenierung bewahrt: ob beim Nationalfeiertag oder bei Auftritten im Ausland. Die französische Delegation in der Ukraine ist demnach sofort erkennbar. Eine Gruppe aus Anzugträgern, voran Macron, flankiert von einem Adlatus in einer Gendarm-von-Saint-Tropez-Gedächtnisuniform.

Man mag Letzteres belächeln, aber es macht den Charme eines Landes aus, sich selbst unverkennbar zu präsentieren. Es ist zumindest ein formelles Bekenntnis zu einer Identität, die vielleicht nicht mehr gelebt wird, aber die außenpolitischen Spielregeln abbildet, demnach man nicht nur Repräsentant, sondern das Land selbst ist. Das Reich ist dort, wo der Kaiser reist.

Dagegen ist die deutsche Delegation vor allem an einer Sache erkennbar: nämlich, dass sie als solche nicht zu erkennen ist. Scholz tritt in kurzem Hemd und Jeans auf. Nichts hebt hervor, dass es sich zumindest de jure um das mächtigste Regierungsoberhaupt der EU-Länder handelt. Sein kahler Kopf schaut aus dunkler Kleidung hervor und betont gewisse Proportionen, die ein Staatsmann sonst zu verdecken trachtet. Man muss dem ukrainischen Botschafter Andrej Melnyk zustimmen: In diesem Aufzug erinnert Scholz tatsächlich an eine wandelnde Leberwurst.

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Scholz trägt etwas in der Hand. Eine Aktentasche? Oder ist er der seit 7 Uhr erwartete Handwerker, der sich endlich um das verstopfte Rohr in der Küche kümmert, und darin sein Arbeitsgerät verwahrt? Repräsentiert Scholz damit die alte deutsche Handwerkertugend? Ein Kanzler, der sich in sozialdemokratischer Tradition mit der Arbeiterschaft solidarisiert? Den Interpretationen sind keine Grenzen gesetzt.

Der Kanzler ist nicht allein. Doch auch die anderen Anwesenden wirken weder professionell noch als das, was man erwarten würde. Der Kontrast zum französischen Pendant verschärft sich. Im Hintergrund sehen wir einen bärtigen Mann mit Sonnenbrille, Bart, Jeans und gestreiftem Hemd. Ein bloßer Bahnsteiggast? Teil der Delegation? Scholzens bisher unbekannter Cousin Fred? Wir wissen es nicht. Die deutsche Gesandtschaft ist so hemdsärmelig und bodenständig, dass sie sich mit dem restlichen Bahnhofsvolk vermischt.

Man mag Macron Eitelkeit vorwerfen, doch der Vorwurf geht fehl, wenn man als Regierungschef in der Fremde auch immer für ein Land und seinen Zustand steht. Scholzens neudeutsches Laissez-faire mag daheim den Genossen und den Puritanern imponieren, im Ausland ist er wie bei Geschäftsterminen unangebracht. In dem Aufzug könnte man die deutschen Vertreter mit einer Touristenfamilie aus Bottrop oder Herne verwechseln (keine Beleidigung tatsächlicher Familien aus Bottrop oder Herne intendiert). Auch ein Trailer zu einer trashigen Familienkomödie auf RTL („Familie Putzlowski in der Ukraine“), in welcher der ehemalige Klempnermeister und Frührentner Herbert mit dem Bundeskanzler verwechselt wird, wäre durchaus denkbar.

Wie schon auf Twitter festgestellt: Wie soll Scholz denn schwere Waffen liefern, wenn er offenbar nicht einmal was zum Anziehen hat?

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