Wenig ist schlimmer, als einen lebenden Literaten an einem toten zu messen. Aber manchmal muss es sein, auch wenn eine Freundschaft darüber in die Brüche gehen könnte. »Nationale Pyromanie« ist ein Beitrag überschrieben, in dem es heißt: »Man wird zwischen der alten deutschen Tradition der ‚Sonnwendfeuer‘ und der unbezwinglich scheinenden Neigung der modernen Deutschen, bei jeder Gelegenheit irgendwelche Brände zu stiften – wirkliche oder metaphorische – eines Tages einen wissenschaftlich fundierten Zusammenhang finden.« Der Beitrag ist im »Pariser Tageblatt« am 8. September 1934 erschienen; der Autor ist Joseph Roth, einer der großen Meister der deutschen Sprache. Roth hat den großen Weltbrand vorweggenommen, weil er den Reichstagsbrand verstanden hatte. Er hat gelitten an dieser Ahnung und sich mit Absinth systematisch in den Tod gesoffen.
Wolfgang Herles, der heute 70 wird, trinkt nicht. So ganz hat er die »Nationale Pyromanie« der Deutschen auch nicht entschlüsselt; auch wenn sein Buch »Die neurotische Nation«, eine Geschichte der Bundesrepublik, einen wesentlichen Beitrag geleistet hat: »Man muss wahrlich kein Psychologe sein, um Störungen im kollektiven Verhalten der Deutschen zu erkennen. Ihre Stimmung neigt zu abrupten Schwankungen… Mal übernehmen sie sich im Jubel ihrer Willkommenskultur, mal stürzen sie sich in eine Energiewende, ohne die Konsequenzen zu bedenken. Und statt die Herausforderungen im demokratischen Streit auszutragen, grenzen sie moralisierend aus, was dem herrschenden Meinungsmainstream widerspricht. Wenngleich traditionell unfähig zum Umsturz oder auch nur zu durchgreifender Reform, steigern sich die Deutschen mal in maßlose Verdrossenheit über Politik und Parteien, mal besingen sie die Großartigkeit ihrer Kanzlerin«, schreibt er dort.
Schweife ich ab? Stimmt. Herles hat auch eine Liebe in der Vergangenheit, und da wir Heutigen ja bekanntlich alles ein paar Dimensionen kleiner erleben, ist seine große Liebe das kleine Bonn. Er war dort Starjournalist, Hauptredaktionsleiter Innenpolitik, zuständig für die Konzeption und Moderation der Politmagazine »Bonn direkt« und »Was nun, …?«.
Von 1987 bis 1991 war Herles Leiter des ZDF-Studios in Bonn. Dort wurde er abgesäbelt; er war zu kritisch gegenüber Helmut Kohl; die schwarzen Seilschaften hatten schon damals den Sender fest im Griff. Als er dann in einer Diskussion über den Umzug nach Berlin für Bonn Partei ergriffen hat, war das sein Karriereende. Wer glaubt, das falsche Wort zur rechten Zeit sei nur im Jahrtausend von Twitter ein Todesurteil, der irrt. Mord durch Halbsätze ist Merkmal der politischen Öffentlichkeit, exekutiert durch verlogene »Freundeskreise«, in denen so fragwürdige Trolle wie Ruprecht Polenz gedeihen wie sonst nur Maden im Speck.
Das also ist der Bruch im Leben des Stars Wolfgang Herles. Bonn statt Berlin. Heute lebt er in Berlin-Mitte, buchstäblich im Herzen des Schwarzen Sterns. Man geht, auch das muss gesagt sein, ehe sich hier die Jammerei Bahn bricht, man geht heute weit kultivierter mit Opponenten um als zur Zeit Joseph Roths, dessen einziges Nahrungsmittel auch deshalb Absinth war, weil für nichts anderes Geld übrig blieb. Wolfgang Herles lebt angenehm von der Apanage des ZDF, wir alle leben in glücklichen Zeiten und sollten deshalb genau auf die ganz finsteren schauen, um sie abzuwehren und nicht wiederkehren zu lassen. In »Die Gefallsüchtigen« hat er die Analyse der geistigen Verfassung von ARD und ZDF abgeliefert; sie hat nichts bewirkt. Der Eifer, den Mächtigen gefallen zu wollen, tropft nicht nur aus Kleber & Slomka.
Wolfgang Herles ist oft gut-, aber auch häufig übellaunig. Glück schreibt Bastei-Romane, aber keine Literatur. Er explodiert, und zwar mit mehr TNT als viele jüngere Kollegen jemals abwerfen könnten. Er leidet. Häufig wütet er. Rücksichtslos. Als Verantwortlicher würde ich ihm dann gelegentlich gerne den Stolte machen, den Intendanten, der ihn degradierte. Noch heute leidet Stolte an dieser Entscheidung; aber Herles verzeiht nicht. Unbedingtheit ist eine seiner Qualitäten. Dann lasst ihn wüten, sollen andere Freundschaften zerbrechen.
»Das merkwürdige Schicksal des österreichischen Stationschefs Adam Fallmerayer verdient, ohne Zweifel, aufgezeichnet und festgehalten zu werden. Er verlor sein Leben, das, nebenbei gesagt, niemals ein glänzendes – und vielleicht nicht einmal ein dauernd zufriedenes – geworden wäre, auf eine verblüffende Weise. Nach allem, was Menschen voneinander wissen können, wäre es unmöglich gewesen, Fallmerayer ein ungewöhnliches Geschick vorauszusagen. Dennoch erreichte es ihn, es ergriff ihn – und er selbst schien sich ihm sogar mit einer gewissen Wollust auszuliefern.«
So beginnt „Stationschef Fallmerayer“. Wolfgang Herles liefert sich dem Essen, der Oper, dem Schreiben und dem Zorn mit einer jungen Wollust aus. Das muss man einfach aushalten.
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