Tichys Einblick
Seit 70 Jahren auf der Leinwand

Don Camillo und Peppone – immer noch aktuell

Im März jährte sich die Premiere des Klassikers "Don Camillo und Peppone" zum 70. Mal. Darüber, warum die Dorfgemeinschaft von Brescello für uns bis heute ein lehrsames Beispiel ist – und was man über Giovanni Guareschi, den Schöpfer der Serie, wissen sollte.

IMAGO / teutopress

Selten haben zwei Schauspieler zwei fiktiven Persönlichkeiten so viel Leben eingehaucht. Als am 15. März 1952 zum ersten Mal die Verfilmung von „Don Camillo und Peppone“ auf der Leinwand flimmerte, hatten die Geschichten im Nachkriegsitalien bereits einen hohen Bekanntheitsgrad. Dass sie auch internationale Erfolge verzeichnen würde, galt außerhalb des italienisch-französischen Sprachraums eigentlich als unwahrscheinlich. Doch gerade im deutschsprachigen Raum erfreuen sich der Originalfilm und seine Nachfolger bis heute einer großen Beliebtheit.

Verantwortlich dürften dafür nicht zuletzt die beiden Interpreten Fernandel und Gino Cervi sein. Sie haben der Interpretation der Charaktere bis heute ihren Stempel aufgedrückt. Dynamik und Chemie der beiden Hauptdarsteller überzeugen bis heute von der ersten bis zur letzten Minute. Wie groß der Respekt der beiden Schauspieler voreinander war, zeigt sich an einem Beispiel. Als Fernandel bei den Dreharbeiten zum sechsten – nie vollendeten – Don-Camillo-Film starb, weigerte sich Cervi, den Dreh ohne seinen Partner fortzuführen.

Der Schöpfer fremdelte mit Fernandel

Giovannino Guareschi, der Schöpfer der Geschichten dem kleinen Dorf in der Po-Ebene, hatte sich dagegen zeitlebens nicht so recht mit der Besetzung anfreunden können. Das betraf weniger Cervi denn Fernandel. In seinen Karikaturen, die zusammen mit den Geschichten in seiner Zeitung „Candido“ oder im Buchformat erschienen, tritt uns Don Camillo deutlich größer, beleibter und kräftiger entgegen. Diesem Priester sieht man an, dass er im Zweifel einen riesigen Tisch anheben – oder eine ganze Meute von Kommunisten verprügeln kann, je nach Ausgangslage.

Don Camillo und Peppone sind heute weltberühmt. Sie haben ihren Erfinder zu einem der meistverkauften italienischen Autoren der Nachkriegszeit gemacht. 70 Jahre nach der Premiere sind die Filme in Deutschland immer noch beliebt, ihr Schöpfer dagegen nahezu unbekannt. Dass Guareschi mehr als nur ein naives Märchen erzählt hat, sondern zeitlebens ein erfolgreicher Publizist, Journalist und Kommentator blieb, der den Ruf eines bissigen Karikaturisten und Reaktionärs hatte, ist nördlich der Alpen kaum bekannt.

Dass die Geschichten bis heute so beliebt sind, führt sich nicht zuletzt auf ihre Aktualität zurück. Das mag zuerst verwundern: ist doch das Milieu der unruhigen Nachkriegszeit, ihrer politischen Verwerfungen oder gar die Stellung der Kommunisten und der katholischen Kirche heute eine gänzlich andere. Dies wäre jedoch zu eng gedacht. Denn Guareschi hat sich als Katholik nicht auf einen Zeitrahmen festgelegt, sondern auf Fragen, die ihre Gültigkeit nicht verlieren: etwa die, ob im Alltag Pragmatismus oder Ideologie, das Gewissen oder die Politik, tradierte Werte oder Zeitgeist, der Mittel zum Zweck oder das christliche Gebot wichtiger sind. Obwohl die heutige europäische Gesellschaft ihre Verbindung zum Christentum größtenteils aufgegeben hat, leben doch die Kernideale als Vorstellungen weiter fort.

Brescello ist ein Sehnsuchtsort

Zudem ist die „Kleine Welt“ ein Sehnsuchtsort. Nicht, weil sie utopisch ist. Brescello – im Original: Boscaccio – hat ganz reale Probleme. Neben dem alltäglichen Gezänk sind dies Flutkatastrophen, Armut, Hunger, fehlende Bildung, gesellschaftsspaltende politische Auseinandersetzungen, Schlägerbanden, Mord und Totschlag. Brescello ist also alles andere als ein Idyll. Dennoch hat der Ort mit seinem kommunistischen Bürgermeister und dem traditionellen Dorfpfarrer eine ungeheure Anziehungskraft.

Denn Brescello haftet das Versprechen an, dass trotz aller Streitereien zuletzt nur eine Dorfgemeinschaft besteht. Es ist ähnlich wie die Kirche ein von Stürmen bedrängtes Boot, das immer wieder zu kippen droht, aber dem die sichere Ankunft verheißen ist. Peppone ist nicht der Teufel und zeigt häufig genug, dass ihm das Wohl des Dorfes mehr gilt als die Doktrin; und Don Camillo wird häufig genug vom Herrn zurechtgewiesen für sein Fehlverhalten. Alle sind auf ihre Weise Sünder, die aber ihr Leben durch rechte Taten heiligen können.

Das berühmte Kreuz in Brescello. [IMAGO / Wilhelm Mierendorf]

IMAGO / Wilhelm Mierendorf

Insbesondere im letzten Band, der wegen Fernandels Ableben nicht vollendet wurde, zeigt sich dabei, dass auch der Konflikt innerhalb der sicher geglaubten Institutionen nicht gottgegeben ist. Don Camillos letzter Rivale ist nicht Peppone, sondern ein Theologe neuen Typs, der die Kirche auf den „neuen“ Kurs des Zweiten Vatikanischen Konzils bringen will, die Leute mit seinem Moralismus aus der Messe vergrault und zugleich jeder neuen Mode hinterherrennt. Zur selben Zeit schlägt sich Peppone mit den Neuerungen in der eigenen Partei herum. die akademisch gebildeten Apotheker mit ihrer Maoistenzelle sind dem Bauernsohn und Mechaniker fremder als der reaktionäre Dorfpfarrer, mit dem er in der Partisanenzeit gegen die Faschisten kämpfte. Guareschi hat damit das Gefühl vieler Altlinker schon in den späten Sechzigerjahren vorweggenommen. Zur Anmerkung: diese beiden Lebenswege für seine Hauptfiguren hat Guareschi im Epochenjahr 1968 aufgeschrieben.

Don Camillo wie Peppone verbindet zudem ein Patriotismus, der sich nach außen durch die Bejahung der Demokratie legitimiert, in seltenen Momenten jedoch eine zutiefst royalistische Gesinnung erahnen lässt; bei Peppone ist die Szene ikonisch, in der sein klerikaler Rivale bei der Wahlkampfrede die „Leggenda del Piave“ abspielt, und der Kommunistenführer in den jugendlichen Eifer eines königstreuen Weltkriegsveteranen zurückfällt.

Signora Cristina: Die Stimme Guareschis

Was nicht nur komisch anmutet, sondern natürlich auch komisch sein soll, hat jedoch einen melancholisch-wahren Kern. Guareschi war ein Reaktionär – und das schon zu seiner Zeit. Mit der Lehrerin Signora Cristina hat er seinen eigenen Ansichten ein Denkmal gesetzt. Die alte Dame hat keine Scheu, ihre einstigen Schüler auf die Schulbank abzukommandieren, mit dem Rohrstock zu drohen oder den Bürgermeister aus ihrer Wohnung wie einen ungezogenen Schuljungen zu vertreiben. Zugleich gehört sie zu den letzten Anhängern eines längst vergangenen Regimes.

Ihre letzte Bitte, sie mit der alten Königsflagge zu bestatten, die 80 Jahre lang Italiens Nationalflagge war, entsprach kurz nach dem Krieg einem Skandal. Italien hatte 1946 den König und seine Familie ins Exil schicken. Heutzutage spricht man nur von der Sprengkraft der Kommunismus-Kritik der Filme, nicht jedoch davon, dass auch dies eine politisch höchst pikante Frage war. Guareschi provoziert als Royalist den modernen demokratischen Konsens. Wenn Signora Cristina auf Don Camillos Einwand, der König sei durch ein Referendum abgewählt worden, kühl widerspricht, dass ein König nicht abgewählt werden könne, dann ist das eine Wortmeldung des Autors. Und ebenso vielsagend ist, dass es Peppone ist, der dafür sorgt, dass seine alte Lehrerin die Flagge bekommt, die sie sich gewünscht hat – gegen den Willen seiner Genossen und sogar der Opposition.

Obwohl die Filme auch stets ihres demokratischen Erziehungswertes wegen gelobt und rezipiert wurden, sind sie damit das Gegenteil. Es gibt weitaus größere und höhere Güter als die Demokratie. Guareschi macht sie deutlich. Der Kommunistenführer hebelt die Verfassung aus, und argumentiert, ihm sei der letzte Wille der Toten wichtiger als der der Lebenden (!). Für seine Familie nimmt Peppone immer wieder Einschnitte hin. Die Liebe zur Heimat, zu dem kleinen Dorf am großen Fluss, ist bindender als der Eid auf Regeln. Der Gehorsam gegenüber Gott übertrifft die Gesetze des Menschen. Es sind diese ewigen Wahrheiten, die über der Politik stehen.

Ein reaktionärer Wert: Freiheit

Und dann gibt es noch einen reaktionären Wert, nämlich den, der am häufigsten missverstanden wird: Freiheit. Nicht so sehr die entgrenzte Freiheit der Freiheit wegen, denn vielmehr die Freiheit, sich zu entscheiden, zwischen Gut und Böse, zwischen Wahrheit und Lüge. Der Reaktionär gehorcht nicht aus Automatismus der Autorität. Es ist vielmehr der Kommunist, der seiner Partei blind gehorchen muss. Während die Partei immer Recht hat, muss der Christ hinterfragen, ob er der Sünde nachgibt oder sich gegen sie stellt. Und wenn die ganze Welt gegen einen ist.

Guareschi hat in seinem eigenen Leben immer wieder deutlich gemacht, was Freiheit bedeutet. Als Italien 1943 von Deutschland besetzt wird, entscheidet er sich dagegen, in die Reihen der Italienischen Sozialrepublik überzutreten, die im Norden des Landes als Marionettenregierung fortbestand. Das Angebot der Faschisten, weiter als Journalist zu arbeiten und auf ihrer Seite zu kämpfen, lehnt er ab: Ein Italiener schießt nicht auf andere Italiener. Er geht freiwillig ins Lager – als Militärinternierter, für die keine internationalen Bestimmungen gelten. Zwei Jahre fristet er in den Lagern Deutschlands und Polens ein erbärmliches Dasein, sieht Kameraden vor seinen Augen sterben. Doch selbst in dieser finstersten Zeit seines Lebens – der stämmige Emilianer magert in dieser Zeit komplett ab – bastelt er noch an Weihnachten eine Krippe aus Pappe und Postkarten.

Mai 1954: Giovannino Guareschi trifft Vorbereitungen auf seinem Hof, bevor er seine einjährige Haftstrafe antritt. [IMAGO / ZUMA/Keystone]

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Auch nach dem Krieg stemmt sich Guareschi gegen die Widerstände. Zurück in seiner Heimat hilft er den Christdemokraten gegen die Kommunisten und ist an der Wahlkampagne als Publizist beteiligt. Die Kommunisten verachten ihn, der linke Kulturbetrieb schreibt seine Bücher runter, verwehrt ihm Preise und Anerkennung in den Folgejahren. Doch auch mit den Christdemokraten bricht er, als deren Parteiverfilzung und Korruption offensichtlich ist. Weil er im „Candido“ sich mit dem Präsidenten Luigi Einaudi und dem Ministerpräsidenten Alcide De Gasperi anlegt und karikiert, muss der unbeugsame Journalist zweimal ins Gefängnis.

»Ich bin ein Reaktionär, aber nicht der fortschrittliche, der zu den Höhlenmenschen zurückwill«

Guareschi sah sich selbst in der Tradition jener politischen Rechten, die auf Gott, König und Heimat schwor, und blinden Fortschrittswillen, Kollektivismus, Konsumkultur und Zeitgeist skeptisch beäugte. In seinem Brief an einen Nachkommen findet sich die Passage:

»Wenn du eines Tages auf dem Marmorgrab deines Vaters die Inschrift findest „Er war ein rechtschaffener Mann“ – dann lösch es und schreib „Er war ein Reaktionär“. Lass nicht zu, dass das Andenken an deinen Vater verleumdet wird.«

Zugleich stellt Guareschi den Unterschied zwischen einem normalen und einem gefährlichen Reaktionär klar:

»Ich bin ein Reaktionär, mein lieber Nachkomme, weil ich mich gegen den Fortschritt stelle und weil ich die Dinge der Vergangenheit wiederbeleben will. Aber nur ein relativer Reaktionär, weil der echte, der tückische Reaktionär, jemand ist, der im Namen des Fortschritts und der sozialen Gleichheit bis in das barbarische Zeitalter der Höhlenmenschen zurückwill, und so eine Masse fortschrittlicher, aber unzivilisierter Unmenschen beherrschen kann.«

Schon 1949 sagte Guareschi die Krankheiten des Westens voraus

Guareschi beklagt bereits 1949 den Tod von Poesie und Märchen, die Zerstörung von Kindheit und Scham, das Ende von Diskretion und Eigeninitiative, die Angleichung der Geschmäcker und Geschlechter, die allesamt auf den Fortschrittswahn zurückzuführen seien, die sich am Wunsch nach Gleichheit und der Dekonstruktion aller schönen Dinge orientiere. Diese Dekonstruktion offenbare aber in Wirklichkeit, wie hässlich und schmutzig der Mensch sei. Wie Höhlenmenschen suche man daher im tausendjährigen Staub, weil man sein spirituelles und kulturelles Gedächtnis verloren habe – und damit das, was Zivilisation ausmacht.

Die „kleine Welt“ des Don Camillo ist deshalb trotz der Melancholie des letzten Bandes ein Gegenbild zur im Zeitgeist verfließenden Gesellschaft. Der Priester und der Bürgermeister retten ihr Dorf, weil sie begreifen, was wichtig ist und immer gilt, und das, was im Zeitstrom keine Bedeutung hat. Es existiert ein Konsens, ja, eine Staatsräson, die die Existenz und das Wohlergehen des Dorfes über Einzelbedürfnisse stellt. Es gibt Parteiungen, aber keine unüberwindbare Spaltung. Die Gemeinschaft hat ungeschriebene Regeln, die mehr wert sind als geschriebenes Papier.

Das als naiv abzutun, zeugt vom geringen Verständnis der Kritiker für Kontinuität und Bestand von Gemeinschaften. Hier gehen machiavellistisches Staatsverständnis und die Kraft des Mythischen als Ausgangspunkt der Gruppenidentität Hand in Hand. In Wirklichkeit zeigt Guareschi auf, wie eine Gesellschaft die Stürme der Zeit früher überlebt hat und heute überleben kann. Das leere Grab ist das Kernstück – und der Messias nicht nur im Gespräch mit Don Camillo präsent.

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