Tichys Einblick
Verleihungsurkunde für Bundesverdienstkreuz

Bundespräsident cancelt das Wort „Volk“

Die Verdienstorden der Bundesrepublik wurden an deutsche Staatsangehörige bisher „in Anerkennung der um Volk und Staat erworbenen besonderen Verdienste“ verliehen. Ab März soll es in den vom Bundespräsidenten unterschriebenen Urkunden statt „um Volk und Staat“ heißen: „um die Bundesrepublik Deutschland“. Das Volk wird gestrichen, der „Staat“ beim vollen Namen genannt.

IMAGO / Fotostand
Wer heute das Wort „Volk“ in politischen Reden oder Schriften häufig verwendet, wird für den Verfassungsschutz zum „Verdachtsfall“ – sofern er das deutsche Volk meint. Das „Schweizer Volk“, eine landesübliche Formulierung, bleibt unbeanstandet, ebenso das „ukrainische Volk“ (Preisträger 2023 des Internationalen Karlspreises der Stadt Aachen), ganz zu schweigen vom „American people“ bzw. „people of the United States“, zu dem es bei Google mehr als 100 Millionen Einträge gibt.

Was stört die in Deutschland herrschende politische Meinung am (deutschen) „Volk“? Das Wort – heißt es – sei nicht mehr „zeitgemäß“, „völkisch“, „völkisch-nationalistisch“, „rechts(extrem)“, kurz: nazi. Dass der Begriff „Volk“, verstanden als rassisch-biologische Abstammungsgemeinschaft, zum Kern der nationalsozialistischen Ideologie gehörte, ist keine neue Erkenntnis, sondern war auch schon 1949 bekannt, und nicht nur abstrakt, sondern – vier Jahre nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Deutschland – auch aus persönlicher Lebenserfahrung. Trotzdem wurde in der Präambel des damals beschlossenen Grundgesetzes das „Deutsche Volk“ als Verfassungsgeber genannt, und der Amtseid des Bundespräsidenten im Artikel 56 so formuliert: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen […] werde.“

Als Verfassungsbegriff bezeichnet „Volk“ die Gesamtheit der Staatsbürger eines Landes, das Staatsvolk, also eine politische Willens- und Rechtsgemeinschaft. Diese Bedeutung war 1989/90 den Deutschen in der DDR durchaus geläufig, als sie mit dem Slogan „Wir sind ein Volk“ die Wiedervereinigung forderten.

Sprachgeschichtlich ist die Bedeutung Staatsvolk bzw. (politische) Nation für „Volk“ relativ neu: Sie entstand Ende des 18. Jahrhunderts im Zuge der Französischen Revolution und ergänzte die alte Hauptbedeutung (Volk = eine durch gemeinsame Abstammung, Kultur und Geschichte verbundene Menschengruppe) um eine staatlich-politische Komponente. Dieser politische Volksbegriff setzte sich aber in Deutschland erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch. Warum?

Die Deutschen bildeten bis weit in das 19. Jahrhundert keine Staatsnation (es gab keinen gesamtdeutschen Staat), sondern eine „Kulturnation“, verbunden durch gemeinsame Sprache, Geschichte und kulturelle Praxis (Literatur, Universitäten, Theater). Die Gründung des Deutschen Reiches 1871 erfolgte „von oben“, als Fürstenbund mit dem König von Preußen als Oberhaupt, der den Titel „Deutscher Kaiser“ führte. Das „Volk“ wurde zwar durch den Reichstag vertreten, war aber nicht Verfassungsgeber und Souverän. Erst nach dem Ende des Kaiserreiches, in der Verfassung der Weimarer Republik von 1919, tritt das Volk als politischer Hauptakteur auf: „Das Deutsche Volk […], hat sich diese Verfassung gegeben“, heißt es einleitend. An diese demokratische Tradition des Volksbegriffes knüpfte – nach der rassistischen Reduktion im Nationalsozialismus – das Grundgesetz 1949 an.

Nun soll das (deutsche) „Volk“ – immerhin der Verfassungsgeber – still und leise aus den Verleihungsurkunden für Verdienstorden verschwinden. Das entspricht einer politischen Agenda, für die „Menschheitsfragen“ im Mittelpunkt stehen: Deutschland ist dabei nur ein Bevölkerungsstandort mit 84 Millionen Menschen, sozusagen „Menschland“, und ein deutsches Volk als politischer Akteur nicht vorgesehen.

Diese politische Reduktion der Deutschen auf „Menschen in Deutschland“ lässt sich allerdings (noch) nicht offen fordern. Man bereinigt deshalb zunächst die deutsche Sprache und zieht Wörter wie „Deutsche“, „Volk“, „Vaterland“ aus dem politischen Verkehr. Wer sie dennoch verwendet, gerät unter Nazi-Verdacht, und zwar umso stärker, je länger der wirkliche Nationalsozialismus zurückliegt (inzwischen 77 Jahre).

Abschließende Frage: Wann ist „unser Land“ so weit, dass der Bundespräsident als Amtseid „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle der Menschen in Deutschland widmen werde“ sagen kann?

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