Tichys Einblick
Unheilvolles Business der „Barmherzigkeit“

Wie man Afrika wirklich helfen kann

Siebzehn Jahre war der deutsche Diplomat Volker Seitz auf Posten in Afrika, zuletzt als Botschafter in Kamerun. Er hat die Auswirkungen der Entwicklungspolitik und Finanzierungshilfen vor Ort genau beobachten können und plädiert für einen radikalen Paradigmenwechsel.

Mario Tama/Getty Images

Haben die seit 1960 nach Afrika geflossenen zwei Billionen Dollar Entwicklungshilfe etwas gebracht? Nein, nicht viel. Das ist die vielfach belegte Überzeugung eines Mannes, der Afrika bestens kennt, weil er dort 17 Jahre lang, zuletzt als Botschafter in Kamerun, tätig war: Volker Seitz. Als Sachbuchautor hat er nun die aktualisierte und erweiterte Neuausgabe seines Buches, ursprünglich erstmals 2009 erschienen, herausgebracht. Der Titel ist Diagnose und Ausblick zugleich: „Afrika wird armregiert oder Wie man Afrika wirklich helfen kann.“

Ein „unheilvolles Business der Barmherzigkeit“ seien die jahrzehntelangen finanziellen Zuwendungen in Richtung Afrika gewesen. Sie hätten nichts dazu beigetragen, die verheerenden wirtschaftlichen Verhältnisse in Afrika nachhaltig zu verbessern. Diese auf den ersten Blick ungewöhnlich heftigen Aussagen finden sich bereits im Klappentext des Buches. Heftige Aussagen? Nein, ehrliche!

Denn: Afrika ist reich an Rohstoffen, an nutzbaren Böden, an Wasserkraft. Afrika ist aber auch reich an Menschen, und gerade dieser Reichtum ist – neben politischen Problemen – eines der Hauptprobleme Afrikas. Es leben dort aktuell 1,3 Milliarden Menschen, das ist das Zehnfache der Bevölkerung Afrikas vor einem Jahrhundert. Afrikas Bevölkerung explodiert. Die UN prognostiziert, dass sich die Bevölkerung Afrikas bis 2050 auf 2,5 Milliarden und bis 2100 auf fast 4,5 Milliarden erhöhen wird. In anderen Zahlen ausgedrückt: Afrika wächst jährlich um 40 Millionen Menschen, monatlich um 3,3 Millionen, wöchentlich um 770.000 und täglich um 110.000.  Die Folgen sind bekannt: Kriege, Völkermorde, Hunger, Elend, Kriminalität, Umweltverschmutzung, Fluchtbewegungen Richtung Europa.

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Seitz greift all dies auf. Er schont niemanden, und das macht sein Buch zu einer Lektüre, die aufklärt und zugleich wütend macht. Ein größenwahnsinniges Helfersyndrom ist Seitz’ Sache nicht, denn – das kann man bei ihm deutlich herauslesen – es erstickt durch humanitaristische Gesinnung jeden Rest an Realitätssinn. Vor allem legt Seitz den ausgeuferten Komplex der Entwicklungshilfe auf den Seziertisch und untersucht ihn auf 300 Seiten sorgfältig.

Geld sei immer eher zu viel als zu wenig dagewesen, schreibt er. Den Grund sieht Seitz darin, dass die Zuwendungen zu selten Hilfe zur Selbsthilfe geworden und, dass Gelder in Länder geflossen seien, die diese Gelder nicht brauchten. Etwa Angola, ein Land, das reich an Öl ist. Vor allem sieht Seitz kleptokratische Herrscher am Werk. Man könne davon ausgehen, dass 40 Prozent der Staatseinnahmen der Korruption zum Opfer fallen. Wörtlich schreibt Seitz: „Die afrikanischen Eliten sind Weltmeister im Champagnertrinken, ihre Autokorsos zeichnen sich durch eine erstaunliche Mercedesdichte aus …“ Aber sie sind schnell bei der Hand, wenn man ihnen auf die Schliche kommt, dann kontern sie mit dem Totschlagargument „Rassismus.“

Gefördert wird dieses System dadurch, dass viele Milliarden als „Budgethilfe“ in afrikanische Länder gingen, quasi als zweckfreie Einspeisung in die Etats der Länder. Oft werden dann Abermillionen für Waffenkäufe statt für Bildung und Gesundheit ausgegeben. Oder für aufgeblähte Regierungsapparate. Zugleich wird die Bevölkerung armgehalten, weil sonst die Gelder von außen versiegen.

„Bombastische Helferindustrien“

Riesige Probleme sieht Seitz in den intransparenten Strukturen der „Helferindustrie“, die Katastrophen-Marketing betreiben würden und selber davon profitierten. Ärgerlich sei zudem deren endloser „bombastischer“ Konferenz– und Reisezirkus. Seitz nimmt die UNO nicht aus: „Längst ist die UNO ein Teil des Entwicklungsproblems.“ Die UNO betreibe nämlich ABM-Maßnahmen für 23 UNO-Spezialorganisationen: UNDP, UNICEF, UNHCR, WHO, UNCTAD, UNIDO, UNIDI, UNEP, UNOPS, UNESCO, UNIEM, ILO, FAO, WFP usw. An einer transparenten Evaluation sei man nicht interessiert, so Seitz, weil man sonst zur Kenntnis nehmen müsste, dass meist nur eines von fünf Projekten nach dem Ende der Hilfe überlebt. Zugleich hält man die Höhe der Ausgaben für Entwicklungshilfe bereits für einen Beweis von Erfolg. Nicht aber deren Resultate, auch nicht die Resultate der fast neun Milliarden, die Deutschland pro Jahr offiziell (ohne private Spenden) ausgibt.

Politik und Kirchen scheinen denn auch den riesigen Anspruch eines Bekämpfens der Fluchtursachen bereits aufgegeben zu haben, um jetzt auf Umsiedlungspolitik zu setzen oder zumindest zu glauben, mit Shuttleschiffen zur Rettung von Armutsflüchtlingen aus dem Mittelmeer würde man Afrika helfen. Nein, mit dieser Art „Menschenhandel“ wird mittlerweile ebenso viel Geld verdient wie mit Drogenhandel. Aber gutmenschlich sieht man in der Abwanderung ein Ventil, ohne sich freilich der demographischen Dimensionen bewusst sein zu wollen.

Nicht der Kolonialismus ist schuld

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Bis hinein in die expandierende Kolonialismus-Forschung wird indes das Narrativ gepflegt, die Ursache des afrikanischen Elends sei der Kolonialismus. Wohlgemerkt ausschließlich der westliche. Man will auch nicht zur Kenntnis nehmen, dass der Anteil der muslimischen Welt an der Sklaverei den der westlichen erheblich übertraf. Zugleich wird der Blick dafür verstellt, dass die Ursachen des Rückstands zumeist in Afrika selbst zu suchen sind. Weiße Kolonialherren wurden durch schwarze Kolonialherren ersetzt. Folge:  Zu Beginn der Unabhängigkeit in den 1960er Jahren hatten Nigeria, der Kongo oder Ghana bessere Entwicklungsindikatoren als etwa Südkorea. Oder nehmen wir konkrete Zahlen: 1960 betrug der Anteil Afrikas am Welthandel (ohne Südafrika) 9 Prozent, heute sind es 1,6 Prozent. Nigeria etwa gehörte vor 25 Jahren zu den 48 reichsten Ländern der Welt; heute zu den 25 ärmsten. Gerne wird verdrängt, dass die Kolonisierung, zum Beispiel in Folge der christlichen Mission, Zivilisation nach Afrika brachte. Afrika leidet zudem – abseits der Schleuserrouten – unter einem „Braindrain“. Die ohnehin viel zu wenigen Ärzte und Ingenieure wandern ab, und die reichen Länder sind die Nutznießer.

Nicht zu vergessen: Die aktuell mächtigste Kolonialmacht in Afrika ist China. China baut dort Fabriken, Häfen, Flughäfen, Staudämme, Schulen, Krankenhäuser, Straßen, Eisenbahnlinien (etwa von Mombasa nach Nairobi), rüstet afrikanische Armeen aus. Allein in Luanda (Angola) ist China mit 150.000 bis 200.000 Arbeitern präsent; alle haben zugleich eine vormilitärische Ausbildung hinter sich. Alles selbstlos? Nein, China bekommt dafür privilegierten Zugang zu Rohstoffen.

Der Ausblick

Der Ex-Botschafter Seitz bleibt nicht bei der Analyse stehen, sondern er nennt zwei Dutzend gelungene Beispiele von Entwicklungshilfe (etwa in Botswana und Ruanda). Vor allem nennt Seitz Bedingungen, an die eine zukünftige Förderung von außen zu binden sei: Investitionen in Bildungswesen, Etablierung von Rechtsstaatlichkeit und Eigentumsrechten, Ausbau der Infrastruktur, Ausbau des Gesundheitswesens, stabile Versorgung mit Wasser und Elektrizität. Maßnahmen der Geburtenkontrolle qua Bildung muss man hinzufügen. Überhaupt sieht Seitz die afrikanischen Frauen als entscheidende Größe an. Er nennt sie die „Perlen Afrikas.“ Seitz rührt schließlich auch an ein Tabu: Er fordert die Beendigung der Parallelstrukturen von Auswärtigem Amt und Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Diese beiden Ministerien arbeiten vor Ort zu oft aneinander vorbei. Frankreich und Großbritannien haben daraus Konsequenzen gezogen und beide Ministerien vereinigt. Das wäre doch mal ein Vorbild für eine zukünftige Bundesregierung, dann hoffentlich mit einem wirklich starken deutschen Chefdiplomaten.

Volker Seitz, Afrika wird armregiert oder Wie man Afrika wirklich helfen kann. Mit einem Vorwort von Asfa-Wossen Asserate. dtv, 288 Seiten, 12,90 €.


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