Tichys Einblick
Faschismus als gescheiterte Revolution

Was Hitler über Stalin und Mussolini sagte

In den Social Media läuft seit mehreren Jahren ein nicht abreißender Schlagabtausch, der selten tief gründet, ob Hitler und seine Bewegung "links" oder "rechts" waren. Hier ein kleiner Beitrag, der Hitler selbst zitiert.

imago images / Leemage
Im Buch: „Hitler – Selbstverständnis eines Revolutionärs“ von Rainer Zitelmann finden sich kaum bekannte Monologe und Geheimreden von Hitler, in denen er vor kleinen Kreisen seine Meinung zu allen möglichen Fragen äußerte. Viele dieser Monologe wurden aufgezeichnet und geben Einblicke, die in öffentlichen Reden Hitlers nicht vorkommen, die immer reine Propaganda sein mussten.

Die folgenden Stellen stammen aus Zitelmanns Buch in seiner 5. erweiterten Neuauflage von 2017.

Stalin

„Wenn Stalin noch zehn bis fünfzehn Jahre an der Arbeit geblieben wäre, wäre Sowjetrussland der gewaltigste Staat der Erde geworden, da können 150, 200, 300 Jahre vergehen; das ist eine so einmalige Erscheinung! Dass der allgemeine Lebensstandard sich gehoben hat, daran ist kein Zweifel. Hunger haben die Menschen nicht gelitten. Alles in allem gesehen, muss man sagen: Die haben Fabriken hier gebaut, wo vor zwei Jahren noch unbekannte Bauerndörfer waren, Fabriken, die die Größe der Hermann-Göring-Werke haben. Sie haben Eisenbahnen, die sind gar nicht eingezeichnet auf der Karte. Bei uns streitet man sich um Tarife, bevor die Bahn gebaut ist. Ich habe ein Buch über Stalin: man muss sagen: Das ist eine ungeheure Persönlichkeit, ein richtiger Asket, der mit einer eisernen Faust dieses Riesenreich zusammengfasst hat. Nur wenn einer sagt, das ist ein sozialer Staat, das ist dann ein ungeheurer Schwindel! Das ist ein staatskapitalistischer Staat: 200 Millionen Menschen, Eisen, Mangan, Nickel, Öl, Petroleum und was man will – unbegrenzt. An der Spitze ein Mensch, der sagte: Finden Sie den Verlust von 13 Millionen Menschen zu viel für eine große Idee?“

(Monologe, Seite 366, Eintragung 26.8.1942).

Rainer Zitelmann verbindet diese Stelle der Monologe mit der folgenden Notiz von „Reichsstenograf“ Karl Thöt vom 4.2.1943 mit diesen Worten:

„Die Konsequenz, ja Brutalität (»eiserne Faust«), mit der Stalin eine »große Idee« – selbst unter Opferung von Millionen Menschen – verwirklichte und einen gewaltigen Industriestaat schuf, imponierten Hitler. Er sah in Stalin sein eigenes Spiegelbild, nämlich den Vollstrecker einer Modernisierungsdiktatur, die auch vor dem Einsatz brutalster Mittel nicht zurückschreckt.

Gleichzeitig bezeichnete Hitler den sozialen Anspruch des Bolschewismus als »ungeheuren Schwindel«:

„Der Führer stellte dann den Sozialismus der Russen unserem deutschen Sozialismus gegenüber. Wenn der Russe irgendwo zum Beispiel eine Fabrik errichtet habe, so ziehe er einfach in dieser Gegend alle überhaupt noch Arbeitsfähigen heran, aber eine würdige Unterkunft schaffe er dann nur für die Kommissare und die technischen Beamten. Die Arbeiter dagegen müssten in den primitiven Löchern sich selbst einen Unterschlupf suchen. Bauten wir hingegen in Deutschland eine neue Fabrik, so verschlinge der Bau der Fabrik nur einen Teil dessen, was daneben aufgewendet werde für eine menschenwürdige Heimstätte der Arbeiter. Der kulturelle Hochstand deutscher Arbeiter verlange nun einmal neben seiner Arbeit auch einen entsprechenden Ausgleich. Er habe die großen Werke zum Beispiel in Salzgitter errichtet: Ja, dazu habe er eine ganz neue Stadt schaffen müssen, die jetzt schon 100.000 Menschen umfasse und bald auf eine Viertelmillion ansteigen werde. Dazu müssten Straßen angelegt werden, Plätze, Elektrizität, Kanalisation, aber auch Theater, Kino und alle möglichen sonstigen kulturellen Einrichtungen. An all das denke der Russe überhaupt nicht. Er überlasse seine Menschen ihrer Primitivität und das ermögliche ihm jetzt eine viel totalere Art der Kriegsführung.“

(Thöt-Aufzeichnungen, Sammlung Irving, IfZ, Seite 14f).

Mussolini

„Der Duce hat Schwierigkeiten deshalb, weil seine Wehrmacht royalistisch denkt, weil in Rom die vatikanische Internationale ihren Sitz hat und weil der Staat im Gegensatz zum Volk nur zur Hälfte faschistisch eingestellt ist.“

(Monologe, Seite 75).

Zitelmann schreibt (Seite 536), als Hitler „im Februar 1945 die Ursachen seines Scheiterns analysierte, gab er zu, dass das Bündnis mit Italien einer seiner schwerwiegendsten Fehler war. So habe die Allianz mit Italien ein Zusammengehen Deutschlands mit den islamischen Befreiungsbewegungen verhindert:

„Der italienische Verbündete war uns rundheraus gesagt überall im Wege. Seinetwegen konnten wir in Nordafrika keine von Grund auf neue Politik betreiben. Es lag unter den gegebenen Umständen auf der Hand, dass Italien diesen Raum für sich beanspruchte, und der Duce machte diesen Anspruch auch immer geltend. Allein hätten wir die Möglichkeit gehabt, die von Frankreich beherrschten islamischen Völker zu befreien. Ein solcher Aufstand musste unabsehbare Auswirkungen in Ägypten und dem von den Engländern unterworfenen Nahen Osten haben. Dadurch, dass wir unser Schicksal mit dem der Italiener verknüpften, war eine solche Politik undenkbar. Dabei bebte die islamische Welt in Erwartung unserer Siege. Die Völker Ägyptens, des Irak und des ganzen Nahen Ostens waren bereit zum Aufstand. Wir hätten alles tun müssen, ihnen zu helfen, um ihren Mut zu stärken, wie es unser Vorteil und unsere Pflicht verlangten. Dass wir mit den Italienern verbündet waren, lähmte uns und verursachte überdies bei unseren mohammedanischen Freunden ein Missbehagen, weil wir in ihren Augen, gewollt oder nicht gewollt, Komplizen ihrer Unterdrücker waren … Nur die Italiener haben uns daran gehindert, auf diesem Kriegsschauplatz eine unserer besten Karten auszuspielen: Sie bestand darin, alle unter französischem Protektorat stehenden Völker für unabhängig zu erklären und einen allgemeinen Aufstand der von den Briten unterdrückten Gebiete herbeizuführen.“

(Testament, Seite 84 – 87, Diktat vom 17.2.1945.)

Hitlers Selbstdiagnose: revolutionäres Defizit

Ein Schlüsselsatz Zitelmanns lautet: „Hitler bewunderte an Stalin also vor allem dessen revolutionäre Konsequenz in der Ausschaltung der alten Eliten. Er selbst hatte diese Konsequenz nicht besessen …“ (Seite 533).

Eine Seite vorher notiert Zitelmann: „So bereute es Hitler nach dem 20.7.1944, nicht wie Stalin die Wehrmacht gesäubert und zu einer nationalsozialistischen Revolutionsarmee umgebildet zu haben.“ Vergleichbares hatte Hitler aber auch schon vor dem Attentat in vertraulichen Kreisen gesagt. Auch wenn er damit sein militärisches Scheitern begründen wollte, machte er damit sehr viel über seine Denkweise sichtbar. Hitler sah bei sich den gleichen Fehler, den er noch ausgeprägter Mussolini ankreidete: Sich mit den alten konservativen bis reaktionären Kreisen arrangiert zu haben, statt diese Kräfte – wie Stalin – radikal auszuschalten.

Hitler beschuldigte sich also am Ende selbst, nicht revolutionär genug gehandelt zu haben. Bei Zitelmann finden sich dafür noch viel mehr Belege als die hier genannten.

In den Social Media läuft seit mehreren Jahren ein nicht abreißender Schlagabtausch, der selten tief gründet, ob Hitler und seine Bewegung „links“ oder „rechts“ waren.

Wer will, kann dazu bei Zitelmann nicht nur dessen Meinung finden, wonach Hitler sich seine eigene, in sich durchaus stimmige revolutionäre Ideologie gezimmert hatte, die die Fesseln des real existierenden italienischen Faschismus sprengte. Zitelmann liefert dafür ausreichend viele Belege, vor allem in Hitlers nicht öffentlichen Reden und Monologen. Er liefert aber auch Belege dafür, dass Hitler seinen eigenen ideologischen Ansprüchen nie ausreichend nahe kam. Insofern konstatiert Hitler gegen sein Ende hin immer radikaler sein eigenes Scheitern: teilweise ganz direkt, teilweise indirekt durch seine Kritik an Mussolini und seine Bewunderung für Stalin.