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Taugt das Christentum noch als geistiges Fundament Europas?

Vom Christentum wird am liebsten im Zusammenhang mit dessen „Verbrechen“ gesprochen, Hexenprozesse, Kreuzzüge, Inquisition, Antisemitismus. Eine Talkshow zu den Verbrechen des IS kann abgleiten in eine kollektive Verurteilung der Kreuzzüge vor 1.000 Jahren.

Nun nennen wir uns zwar das christliche Abendland, aber in jeder Straßenbefragung wird klar, dass die meisten vom Christentum keine Ahnung haben, das heißt, nur Falsches kennen und Vorurteile. Das soll nach dem Willen von Manfred Lütz, dem philosophierenden Psychiater aus dem Rheinischen, nicht so bleiben. Schließlich hat er mit seinem Bestseller „Gott – eine kleine Geschichte des Größten“ allerlesbarsten Nachhilfeunterricht geliefert.

Über das Christentum wird am liebsten im Zusammenhang mit dessen „Verbrechen“ gesprochen, als da wären Hexenprozesse, Kreuzzüge, Inquisition, Antisemitismus. Es kann passieren, dass etwa eine Talkshow zu den Verbrechen des IS völlig abgleitet in eine kollektive Verurteilung der Kreuzzüge vor 1.000 Jahren.

In seinem neuen Buch stützt sich Lütz auf einen der profundesten Kenner der Materie, den Religionswissenschaftler Arnold Angenendt, dessen Mammutwerk „Toleranz und Gewalt – Das Christentum zwischen Bibel und Schwert“ er im Wesentlichen zusammenfasst und popularisiert.

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In seinen ersten 1.000 Jahren hat das Christentum durchaus pazifizierende Wirkung, sodass Heinrich Heine schreiben konnte: „Das Christentum – und das ist sein schönstes Verdienst – hat jene brutale germanische Kampflust einigermaßen besänftigt …“, nur um im Fortlauf dieser Erwägung eine Zeit heraufziehen zu sehen: „… in der der zähmende Talisman, das Kreuz, zerbricht …“, und dann werden sich die „… alten steinernen Götter erheben“ und „Thor mit einem Riesenhammer springt endlich empor und zerschlägt die gotischen Dome.“

Und dann Heines verblüffend genauer Unheilsspruch: „Wenn ihr es einst krachen hört, wie es noch niemals in der Weltgeschichte gekracht hat, so wisst: der deutsche Donner hat endlich sein Ziel erreicht.“

Allerdings waren die Zeiten, in denen Karl der Große die Sachsen zu unterwerfen trachtete, um sein Reich der Franken zusammenzuhalten, brutal wie alle Kriegszeiten, und es war Sitte, dass der Unterlegene mit seinem Volke den Gott annahm, von dem er besiegt wurde. Die sogenannte „Sachsenschlächterei“ bei Verden war stark übertriebene Chronistenangeberei, vor allem aber gelang es Karl mit diesem Sieg, „die stammesreligiösen gegen die universalreligiösen Grundstrukturen des Christentums“ auszutauschen und damit das zu gründen, was wir heute Europa nennen.“

Buch der Korrekturen

Da die Kirche und ihr kanonisches Recht die einzige verbindliche und funktionierende Rechtsprechung darstellte, musste das heilige Offizium gegen Häresien vorgehen. Der Feldzug gegen die fanatischen, frauenverachtenden, hungernden und der Endzeit entgegenfiebernden Katharer, das wird hier umstandslos zugegeben, war eine „schreckliche Verirrung“, die über 20 Jahre dauerte. Die Katharer, eine Art früher Scientology, waren ein düsterer, die Ordnung bedrohender Gegner der römischen Kirche, weil sie sich in ihren Armutsgelübden und Selbstkasteiungen dem Leiden Christi annähern wollten – und mit großer Hybris auf die Amtskirche herabschauten.

Weder die Inquisition um 1240 noch Kriege konnten ihrer Herr werden – das geschah von allein, durch gelebtes Beispiel und Vorbild, als die Franziskaner die Bühne betraten und die scharfsinnigen Dominikaner.

Überhaupt, die Inquisition! Über sie sind die groteskesten Verzerrungen im Umlauf. In einer TV­-Sendung begründete Mathieu Carrière seinen Kirchenaustritt mit der Behauptung, die Kirche habe 800 Millionen Hexen verbrannt.

Abgesehen davon, dass die Erde damals wohl kaum eine solche Population überhaupt aufweisen konnte, war es die katholische Kirche, die energisch gegen solche abergläubischen Lynchmorde vorging. Aber das war bereits Neuzeit.

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Mit der Inquisition, einer Einrichtung des Hochmittelalters, war im Gegenteil „ein großer Fortschritt verbunden“ (Rechtshistoriker Winfried Trusen). Eingeführt wurde sie zunächst zur Ermittlung und Wahrheitsfindung bei innerkirchlichen Vergehen. Sie schuf die Figur des Staatsanwalts, der einen Prozess eröffnen konnte, auch wenn der im Zweifel stehende Bischof diesen zu verschleppen versuchte.

Dem Angeklagten wurden die Vorwürfe genannt, die Zeugenaussagen ebenso wie Indizien. Ziel war es, die vorrationalen Wasser-­ oder Feuerproben abzuschaffen und ein für allemal zu verbieten.

Längst nicht alle vor die Inquisition gestellten Angeklagten wurden auch verurteilt. Und oft bestand das Strafmaß, etwa bei Prozessen im Languedoc, im Tragen aufgenähter Kreuze oder Bußwallfahrten.

Soweit nur einige Richtigstellungen in einem verdienstvollen Buch großer Korrekturen. Wenig verständlich ist der Zornesausbruch, den sich der protestantische Rezensent Friedrich Wilhelm Graf in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ leistete. Er beklagt das dürftige intellektuelle Niveau dieses Stücks „Bildungskatholizimus‘“. Peinlich, wie der Autor die Kirche vom Blut der Kreuzzüge reinzuwaschen versuche.

Das Bemerkenswerte an dieser Vernichtung ist, dass Graf kein einziges Beispiel schludriger Quellenarbeit oder falscher Darstellung bringt. Er mag uns Katholiken einfach nicht. Was der eigentliche Skandal der Skandale ist.


Manfred Lütz, Der Skandal der Skandale. Die geheime Geschichte des Christentums. Herder Verlag, 288 Seiten, 22,00 €.


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