Tichys Einblick
Tichys Lieblingsbuch der Woche

Erhard wollte Wettbewerb! Wettbewerb?

Von Sahra Wagenknecht bis Friedrich Merz berufen sich noch heute Politiker jeglicher Couleur auf Ludwig Erhards Konzept der Sozialen Marktwirtschaft. Allen, die über »soziale Gerechtigkeit« fundiert diskutieren wollen, sei die Lektüre dieses grundlegenden Buches dringend empfohlen.

»Das Bekenntnis von Ludwig Erhard zur Freiheit und zum Wettbewerb in der Wirtschaft, zieht sich wie ein roter Faden durch die streitbare Auseinandersetzung mit Meinungen und Irrlehren seiner wie unserer Zeit in seinem Werk Wohlstand für Alle. Nach seiner Überzeugung mehrt der Wettbewerb den Wohlstand aller und hilft so, den alten Gegensatz zwischen einer früher nahezu unbegrenzt konsumfähigen Oberschicht und der vielfach noch in bescheidenem Rahmen lebenden Unterschicht zu überwinden.

Dieser ehrlichen Lösung, nämlich über eine höhere Leistung aller zum Wohlstand für alle zu gelangen, stehen die Scheinlösung einer inflationären Politik und die Ideologie des Versorgungsstaates entgegen, die Erhard entschieden ablehnt.

Die Darlegungen über die Gestaltung eines Gemeinsamen Marktes, einer guten zwischenstaatlichen Ordnung, über die Methoden einer modernen Außenhandelspolitik, über die Erweiterung der menschlichen Grundrechte im wirtschaftlichen Bereich, über den Anspruch auf Währungsstabilität, über die Soziale Marktwirtschaft als Voraussetzung für eine optimale Reallohnsteigerung und eine Erhöhung der sozialen Leistungen dort, wo es notwendig ist, über eine Senkung der individuellen Belastungen durch Steuern, über den Verlust der Maße für das Mögliche und das Angemessene spiegeln unverkennbar den kämpferischen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitiker Erhard – und haben seit dem ersten Erscheinen seines Grundlagenwerks im Jahr 1957 bis heute nichts an ihrer Gültigkeit verloren.«

So stand es im Klappentext der letzten vom Autor autorisierten Nachauflage, die 1964 erschien und kürzlich anlässlich des 70. Verlagsjubiläums originalgetreu wieder aufgelegt worden ist. An Neuauflage und  Einleitung habe ich als Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung mitgearbeitet. Das erschien mir wichtig. Die Neuauflage ist auch mein persönlicher Abschied. Es gehört zum Ritual der Wirtschaftspolitik bei CDU und FDP, sich darauf zu berufen. „Was hätte Ludwig-Erhard dazu gesagt“, lautet ein Buchtitel des Wirtschaftsrats und viele Symposien, Preise und ähnliche Veranstaltungen ranken sich darum. Sie haben den Vorteil, dass Erhard tot und die von ihm errichtete Stiftung angepaßt und ein Ludwig-Erhard-Museum errichtet wurde. So droht also keine Störung, kein Grollen aus dem Grab und keine Mahnung, die Gewicht hätte. Ist ein Gegenstand musealisiert, ist er aus der Gegenwart entfernt, hinter Glasscheiben und in verstaubten Regalen neutralisiert. Denn in die heutige Politik paßt Erhard überhaupt nicht mehr; und insofern ist das Blättern in diesem Buch lehrreich.

Die Erfindung der sozialen Marktwirtschaft
Ludwig Erhard - Der Exot im Kanzleramt
Erhard wollte Wettbewerb. Wettbewerb? Das ist heute ein Schreckenswort. Wettbewerb wird in der Wirtschaft dadurch ersetzt, dass immer mehr Sektoren staatlich geschützt, reguliert und subventioniert werden, weil sie Produkte herstellen, die kein Mensch will. Auch die Stromindustrie ist so ein Bereich. Der Wettbewerb wurde durch die Vorrangregelung für Erneuerbare Stromerzeugung auf den Kopf gestellt und die dadurch entstehenden Kosten, wenn billiger Strom gegenüber viel teurerem benachteiligt wird, trägt der Verbraucher. Die Automobilindustrie stellt gerade auf Elektromobilität um, wobei die Kosten für nicht nachgefragte Autos vom Staat hochgradig subventioniert werden und der Ausbau der extrem teuren Ladeinfrastruktur staatlich gefördert wird; der dafür benötigte Strom wiederum, siehe oben, muss ebenfalls subventioniert werden.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier will, in völliger Übereinstimmung mit der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, einen »Industriepakt« der ganz einfach ist: Der Staat erlässt Vorschriften darüber, was und wie produziert wird und zahlt für die Umsetzung. So soll z.B. zukünftig der Stahl nicht mehr mit Hilfe von Kohle geschmolzen werden, sondern mit »grüner Energie«. Weil Eisen sich nachhaltig weigert, seinen Schmelzpunkt von 1.538 Grad zu senken, wird die Umstellung rund 100 Milliarden Euro kosten und den Stahl um 30% bis 40% verteuern, was wiederum vom Staat mit jährlich weiteren 15 bis 30 Millionen Euro unterstützt werden muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Mindestens. Die Kosten der Stromerzeugung noch nicht gerechnet, aber bekanntlich kommt der aus einer großen Steckdose. Altmaier hat zu Beginn seiner Amtszeit einen „Erhard-Saal“ im Wirtschaftsministerium eingerichtet. Es ist die der übliche Union-Fake.

Kann staatliche Subventionierung von Allem eine gute Idee sein? So entsteht in immer mehr Bereichen eine unwirtschaftliche Wirtschaftsstruktur, die vom Staat subventioniert, also von den Bürgern über Steuern finanziert werden muss. Das kann nicht gut gehen. Aber deutsche Politik stört das nicht, im Gegenteil. Sie will ja die Kosten für Produktion und Preise erhöhen. Für die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner ist jedes Ei, jedes Schnitzel und jedes Brot zu billig, weswegen die Produktionskosten erhöht und auf die Preise aufgeschlagen werden müssten. Der Umweltministerin ist ohnehin jeder Energieeinsatz zu billig, weswegen Energie verteuert und der Preis weiter erhöht werden musste, was wiederum praktische jedes Produkt verteuert – und den Konsumenten entsichert.

Büste im Foyer des Wirtschaftsministeriums
Robert Habeck muss ohne Ludwig Erhard auskommen
Ludwig Erhard wollte genau den umgekehrten Weg gehen: Wohlstand für alle zu erzeugen, indem die Kosten und die Preise sinken. Und damit die Preise sinken, muss billiger produziert werden. Der Wettbewerb wird dafür sorgen, dass die Preissenkungen auch beim Verbraucher ankommen und nicht in den Kassen von Produzenten und Händlern kleben bleiben. Während zurzeit die Parteien allesamt darüber reden, inwieweit Mindestlöhne erhöht werden sollten, hatte Erhard ein anderes Rezept: Höhere Nachfrage bewirkt höhere Löhne, und zusammen mit sinkenden Preisen, die in der Zange des Wettbewerbs kleingedrückt werden, ergibt das steigenden Wohlstand.

Wettbewerb ist ein wesentlicher Faktor seines Erfolgsrezepts. Aber wer will noch Wettbewerb? Er wird ersetzt durch Quoten, politisch erwünschte Förderung von Identität und Gruppenzugehörigkeit statt von Kompetenz – und das bis hin zu Casting Shows …Das Prinzip des Wettbewerbs wird durch eine Mischung aus Versorgung und Bevormundung ersetzt. Das Ergebnis bei Sport und Unterhaltung ist: Langweile. In der Wirtschaft höhere Preise, die die Produzenten kassieren und der Konsument bezahlt.

Druck auf die Preise und Druck durch Wettbewerb – von diesem Rezept Erhards ist nichts mehr übriggeblieben. Es wird vielmehr als schädlich zurückgewiesen. Kann das gutgehen? Die jederzeit einsehbaren Zahlen der explodierenden Staatsverschuldung, sinkender Reallöhne und steigender Steuern, die Krise der Sozialversicherung, eine ungeheure Geldschwemme der EZB und anziehende Inflation zeigen:

Es geht nicht gut. Und zwar gar nicht. Die Gesellschaft spaltet sich; die Schere zwischen einer mehr schlecht als recht versorgten und in Passivität gegängelten Unterschicht und einer von der Euro-Geldschwemme und staatlicher Subventionierung profitierenden Oberschicht öffnet sich.

Dass Erhards Gegenspieler, von SPD und anderer linker Parteien, sich seines Slogans bemächtigen, ohne seine Lehren zu beherzigen und sich auf die Seite der Wohlhabenden geschlagen haben, hätte Erhard nie nachvollziehen können. »Wohlstand für Wenige« scheint das Rezept der Stunde, nicht »Wohlstand für Alle«.

Es lohnt sich also, Erhard zu lesen, um zu verstehen, wo die Fehler der Gegenwart liegen – und wie sie zu beheben wären. Erhard führte Deutschland aus den Ruinen zu Wohlstand. Gerade wird der Weg in die andere Richtung beschritten. Bald wird das Werk brennend aktuell.

Ludwig Erhard, Wohlstand für Alle. Originalgetreue Neuausgabe, Econ, Hardcover mit Schutzumschlag, 400 Seiten, 20,- €

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