Tichys Einblick
Schöne neue Welt?

Ein sprechendes Haus kann viel über uns erzählen – Alexa hört zu

Unser Zuhause war einmal ein Rückzugsort, an dem wir uns geborgen fühlten und vom Berufsstress entspannen konnten. Damit wird es im sprechenden Haus bald vorbei sein. Wir werden mehr mit Alexa sprechen als mit unseren Mitbewohnern.

ROBERT LEVER/AFP/Getty Images

»Amazon Echo verbindet sich mit dem cloudbasierten Alexa Voice Service, um Musik abzuspielen, Anrufe zu tätigen, Wecker und Timer zu stellen, den Kalender, das Wetter, die Verkehrslage und Sportergebnisse abzurufen, Fragen zu stellen, To-do- und Einkaufslisten zu verwalten, kompatible Smart Home-Geräte zu bedienen und mehr. Einfach fragen.« So nett und vielversprechend wird uns Alexa auf der Amazon-Website angeboten, und das klingt erst einmal ganz verführerisch.

Mit Echo oder vergleichbaren Tools wie Google Home oder dem Apple HomePod soll nun dem smarten Zuhause zum Durchbruch verholfen werden. Die Vision, von der sich viele Hersteller smarter Produkte und Anbieter von Dienst- und Serviceleistungen aller Art gigantische Umsätze erwarten, ist das sprechende Haus. Also eine interaktive Wohnumgebung, in der wir so ziemlich alles mittels Sprachbefehlen steuern können. Der Schlüssel zu diesem Haus – oder besser die Managerin all dieser phantastischen Möglichkeiten – ist Alexa.

Die nämlich verfügt schon jetzt über eine offene Schnittstelle und lässt sich mit einer täglich wachsenden Anzahl an Funktionen erweitern. Schon heute unterstützt Alexa 20.000 Geräte und verfügt über 50.000 Skills. In naher Zukunft also wird Alexa unsere Beleuchtung regulieren und unsere Heizungsthermostate steuern, sie wird unser Essen oder das Taxi bestellen. Alexa wirft die Mikrowelle an, startet den Staubsaug­roboter, die Waschmaschine oder unseren Kaffeekocher. Sie versorgt uns mit Musik und Filmen, Nachrichten und Wettervorhersagen, steuert unseren Terminkalender, meldet, wenn im smarten Kühlschrank ein Joghurt abläuft oder das Ketchup zur Neige geht, und führt natürlich unsere Einkaufsliste, mit der wir alle die smarten Haushaltsgeräte und was wir sonst zum Leben brauchen, am besten gleich bei Amazon bestellen. So bequem und einfach können wir im Prinzip schon jetzt dank Alexa leben.

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Eigentlich war unser Zuhause ja mal ein Rückzugsort, an dem wir uns geborgen und sicher fühlen und die Ruhe finden, um uns vom Alltags- und Berufsstress entspannen und erholen zu können. Mit der Ruhe wird es im sprechenden Haus aber dann vorbei sein. Schon heute streicheln wir unser Smartphone häufiger als unsere Kinder oder Lebenspartner, und schon bald werden wir wahrscheinlich häufiger mit Alexa oder unserem Kühlschrank sprechen, als mit unseren Mitbewohnern. Unsere Wohnung können wir vom Sofa aus steuern, denn dank Geräuschunterdrückung und Richtfunktechnologie versteht uns Alexa auch dann noch, wenn gerade Musik läuft.

Je interaktiver das Haus, desto inaktiver werden seine Bewohner. Schon jetzt warnen WHO und Krankenkassen davor, dass wir krankhaft sesshaft werden. Um halbwegs fit und gesund zu bleiben, wird uns ein Minimum von 150 Minuten an moderater Aktivität pro Woche empfohlen, also beispielsweise schnelles Gehen oder 75 Minuten Joggen als Alternative, was dann schon als »intensive Aktivität« gewertet wird. Doch diese Minimalanforderung schaffen gerade einmal noch 43 Prozent der Deutschen. Das kostet uns und unsere Krankenkassen schon heute Milliarden: von Rückenleiden über Fettleibigkeit und Diabetes bis zu Herz- und Kreislauferkrankungen. Jeder zehnte Deutsche geht heute überhaupt keiner körperlichen Aktivität mehr nach, die länger als zehn Minuten dauert. Das können wir natürlich jetzt nicht allein Alexa anlasten, aber je mehr Funktionen sie übernimmt, desto stärker fördert sie unsere Tendenz zur Trägheit, und deshalb könnte Alexa schon bald zu einem ernst zu nehmenden Gesundheitsrisiko werden.

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Gefahr droht auch aus einem anderen Grund. Wer von uns merkt sich noch eine Telefonnummer, seit wir unsere Smartphones jederzeit griffbereit in der Tasche haben, oder einen Weg, seit uns Navis oder Google Maps ans Ziel lotsen? Warum soll sich unser Kopf auch Dinge merken, die unser Handy speichern kann? Blöd nur, wenn wir das Teil dann mal verlieren oder irgendwo verlegt haben. Dann sind wir blank im Hirn und fühlen uns augenblicklich so einsam und verlassen wie Robinson Crusoe auf seiner Insel. Analog zu dieser Erfahrung stellen wir uns nun einmal vor, wir leben in ein paar Jahren in unserer smarten Wohnwelt, die wir schon eine ganze Zeit lang von Alexa steuern lassen. Wahrscheinlich vergessen wir, wo der Lichtschalter war oder wie wir die Waschmaschine einschalten können, falls die überhaupt noch über einen Regler zur manuellen Programmsteuerung verfügt. Und wenn dann mal das heimische Netzwerk ausfällt und Alexa schlappmacht, stehen wir hilflos in unserem sprechenden Haus und können unsere vier Wände in Panik so laut anbrüllen, wie wir wollen. Das Haus bleibt stumm, und unsere intelligenten Haushaltsgeräte verweigern den Dienst. Dann stehen wir ratlos im Raum und fragen uns, wie wir eigentlich früher die lästigen Krümel auf dem Küchenfußboden entfernt haben? Ach ja, da gab es doch dieses Ding mit dem Holzstiel dran, den man in die Hand nehmen konnte, Besen hieß das, glaube ich.

Eine viel größere und wirklich ernst zu nehmende Bedrohung, die von unserer smarten Assistentin ausgeht, ist vielen Alexa-Nutzern aber vielleicht gar nicht bewusst, oder sie haben sie gleich wieder ausgeblendet. Die sieben hochempfindlichen Richtmikrofone von Alexa sind ja ständig hellwach, damit sie bloß keinen unserer Befehle verpassen. Aber nur, wenn wir Alexa mit ihrem Namen oder einem der beiden anderen wählbaren Codewörter wie Computer oder Amazon ansprechen, wird der blaue LED-Ring illuminiert, der uns signalisiert, dass Alexa jetzt bereit ist, unsere Befehle zu empfangen. Jeden dieser Befehle zeichnet Alexa auf und speichert ihn dauerhaft und unseren Kundenprofilen zugeordnet auf den Amazon-Servern.

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Jeff Bezos wird also in der smarten Zukunft nicht nur wissen, was wir auf seiner Amazon-Website angeklickt haben. Er weiß, wann wir morgens aufstehen, er kennt unsere Ernährungsgewohnheiten, weiß, welche Musik wir präferieren und welche Filme wir uns gerne anschauen. Er weiß, wie oft wir unsere Wohnung putzen oder unsere Wäsche waschen, wann wir unsere Wohnung verlassen und welchen Weg wir zu unserer Arbeit nehmen, weil wir Alexa noch kurz vor der Abfahrt die Verkehrslage checken lassen.

Und manchmal kriegt er noch viel mehr von uns zu hören. Bekanntermaßen, und das haben Tests gezeigt, reagiert Alexa nicht nur aufs Wort, sondern auch, wenn sie Begriffe hört, die so ähnlich wie das Codewort klingen. Wenn beispielsweise ein Berliner statt Amazon »Ham wa schon« sagt oder wenn wir unsere beste Freundin, die auf einen Kaffee vorbeischaut, mit einem »Schön, dich zu sehn, Alexandra« begrüßen, dann fühlt sich gerne auch mal unsere aufmerksame Alexa angesprochen und zeichnet – natürlich aus Versehen – ganze Gespräche auf, die wir zu Hause mit Familie, Freunden, Gästen oder unserer Spülmaschine führen.

Ist das tatsächlich die Zukunft, auf die wir uns einlassen möchten, und die Gegenwart, in der wir leben wollen? Seit der Wiedervereinigung leisten wir uns zu Recht und mit viel Aufwand eine ganze Behörde, die die Machenschaften der Staatssicherheit zu DDR-Zeiten aufarbeitet, dokumentiert und Betroffenen Einsicht in die über sie angelegten Stasi-Spitzelakten ermöglicht. Immerhin musste die Stasi damals noch recht mühevoll Informelle Mitarbeiter akquirieren und in Wohnungen einbrechen, um dort unbemerkt ein paar Wanzen zu installieren, um die Gespräche dann mühsam im Keller mitzuschneiden.

Keine 30 Jahre später sind wir bereit, 100 und mehr Euro für Alexa auszugeben, eine formschöne Superwanze, die uns, wahlweise mit Bildschirm ausgestattet, komplett überwacht und transparent macht. Mit »Echo Input« wird unsere Assistentin Alexa übrigens gerade mobil, sodass sie uns im Taschenformat auf Schritt und Tritt begleiten kann. Amazon verliert uns so auch dann nicht aus dem Blick, wenn wir mal außer Haus sind. »Ach, egal, ich habe doch nichts zu verbergen.« Dieser Standardsatz aller Datenschutz- und Privatsphäre-Muffel wird uns womöglich bald schon nicht mehr so schnell über die Lippen gehen.

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Hat uns Alexa eigentlich gefragt, ob sie unsere Daten speichern darf? (Wahrscheinlich haben wir das aber mit dem Akzeptieren der allgemeinen Geschäftsbedingungen beim Einkauf abgenickt, weil wir das Kleingedruckte mal wieder nicht gelesen haben.) Wissen wir, was Amazon mit diesen Daten macht und wo sie womöglich landen? Ja klar, wenn man die Gebrauchsanweisung studiert und bis zur richtigen Einstellung vorgedrungen ist, kann man die Alexa-Befehls-Historie über die App auch wieder löschen. Was noch lange nicht heißt, dass Amazon sie nicht längst ausgewertet und verarbeitet hat. Oder warum sonst sollten unsere Gespräche mit Alexa überhaupt automatisch abgespeichert werden? Natürlich damit Jeff Bezos uns überforderten Kunden helfen kann, die richtige Entscheidung zu treffen. Die allerdings kann doch nun wirklich nur noch lauten: »Schnauze, Alexa!«

Kleiner Witz am Rande: Der Name Alex­andra und die von ihm abgeleitete Kurzform Alexa stammt aus dem Griechischen und bedeutet sinngemäß »Beschützerin«. Jeff Bezos hat diese Schutzpatronin für unser Zuhause aber eher als Trojanisches Pferd konstruiert. Er verkauft sie uns als dienstbaren Geist, der alles über uns erzählt, was Amazon zum Weiterwachsen wissen muss.


Auszug – mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag – aus:
Johannes Bröckers, Schnauze, Alexa! Ich kaufe nicht bei Amazon. Vorsicht! Dieses Buch liefert überzeugende Argumente.
Westend Verlag, 96 Seiten, Broschur, 7,50 €


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