Tichys Einblick
In der Arena der Populisten

Deutsche Talkshow: ohne Argumentation

Die Demokratie ist in einer Krise. Dass wir uns nicht einig werden, worin genau diese besteht, liegt auch an unserer Art miteinander zu reden. Die Talkshow-Demokratie betreibt Raubbau an ihrer dialektischen Substanz.

Mittlerweile häufen sich die Theorien, die meinen, die wahre Ursache der westlichen Demokratiekrisen entdeckt zu haben. Von einer postmodernen „Linken“, die den Klassenkampf vergaß, über migrationsbedingte Identitätsprobleme, bis zum postdemokratischen Technokratismus merkelscher Machart: Im bunten Sammelsurium der Echtzeitdiagnosen ist für jeden was dabei. Sie alle neigen dazu, ihre eigenen Politikinhalte und -Stile zu verabsolutieren, um anderen dann deren Nichtgebrauch vorzuwerfen. Doch vielleicht ist es an der Zeit, die Orte heutiger Politikvermittlung in den Blick zu nehmen. Und damit vor allem den hauptsächlichen: Die Talkshow.

An vier Tagen die Woche senden ARD und ZDF politische Talkshows (es waren schon einmal mehr). Bei »Anne Will«, »Hart aber fair«, »Maischberger«, und »Maybrit Illner « treffen zumeist Politiker der großen Parteien auf Journalisten, Fachexperten, Betroffene und Intellektuelle. Ungefähr zehn bis zwölf Millionen Zuschauer schalten zusammengenommen pro Woche ein, wenn die Formate im Programm laufen. Das Bundesverfassungsgericht spricht nicht ohne Grund vom »Leitmedium Fernsehen«, dem kraft seiner Beliebtheit eine besondere Bedeutung bei der Gewährleistung »der informationellen Voraussetzungen der Meinungsbildung« zukomme (BVerfG 90, 60). Und natürlich sind hier besonders die Öffentlich-Rechtlichen in der Pflicht.

Ersatzparlament Talkshow?

Auf den ersten Blick erscheint die Talkshow tatsächlich als eine Art Ersatzparlament. Was der längst verlorene bürgerliche Parlamentarismus des 19. Jahrhunderts zu leisten versuchte, scheint in ihr verwirklicht: Diskussionen unterschiedlicher politischer Vertreter zu relevanten Sachfragen vor einem Publikum, einer Öffentlichkeit. Argument gegen Argument, Rhetorik gegen Rhetorik, der intellektuelle Schlagabtausch formt Eigen- und Fremdmeinung. Per E-Mail oder Twitter hereinkommende Bürgermeinungen sorgen für eine Rückbindung an den Souverän. Anwesende Experten und filmische Einspieler versorgen, wie früher der themenvertiefte Staatssekretär, die Politiker mit den nötigen sachlichen Details. Scheinbar hat die Massendemokratie mit dem Format der Talkshow zu einem Ideal gefunden, dem vorherige Formen politischer Öffentlichkeit nie wirklich gerecht werden konnten. Doch man sollte den äußeren Figurationen der Talkshow nicht zu schnell auf dem Leim gehen, wenn man etwas über ihren inneren demokratischen Gehalt erfahren möchte.

"Trump und Putin. Treibt Syrien sie auseinander?"
Maybrit Illner: Stunde der Munkelrüben
Was das demokratische Ideal aus einer logischen Perspektive bedeuten kann, versucht der Philosoph Daniel-Pascal Zorn in seinem neu erschienenen Buch, »Logik für Demokraten«, darzulegen. Im Mittelpunkt seiner Betrachtung des demokratischen Denkens und Handelns steht eine Redesituation, in der sich jeder schon notwendig befindet, weil er einen Widerspruch hierzu nur wiederum selbst in einer Rede formulieren könnte. Sie ist also logisch unhintergehbar. »Diese Dialogsituation ist es, die demokratisches Denken möglich macht. (…) Jeder, auch ein Antidemokrat oder Menschenfeind, muss seine Sichtweise in einer Rede äußern. Damit wird die Struktur dieser Rede zum Kriterium für ihn und seine Zuhörer. Sie ist das, was wir alle geteilt haben werden, wenn wir gesprochen haben.«

Das argumentative Gespräch bleibt auf der Strecke

Demokratisches Denken ist also das Denken einer Gemeinschaft. »Der Gemeinschaft derer, die auf das Gemeinsame achtet. Ihre Gemeinschaft ist, vor und in aller Differenz, was sie eint. Nicht, weil es einer vorgegebenen Moral entspricht. Sondern weil es der tatsächlichen, von allen ihren Teilnehmern geteilten Redesituation entspricht.« Es geht Zorn um eine Redesituation, in der Rede und Redehandeln übereinstimmen. Das heißt, wer redet und Zustimmung verlangt, muss Gründe für diese Zustimmung vorbringen. Wer die Freiheit der Rede in Anspruch nimmt, bestätigt bereits durch diese Inanspruchnahme das Recht aller anderen zu reden – und vor allem: zu widersprechen. Alle nicht-demokratischen Denk- und Handlungsformen widersprechen sich in dieser Hinsicht selbst: Sie dogmatisieren, delegitimieren die Rede des Anderen oder zwingen jenen ihre eigenen Voraussetzungen auf. Ihnen entgegen steht die innere, logische Struktur der Demokratie: Die Dialektik, das Reden und Antworten, das Argument und das Gegenargument, kurzum: das argumentative Gespräch.

Zorns »Logik für Demokraten« richtet sich vor allem gegen populistisches Denken und Handeln. Gemeint ist damit keineswegs eine bestimmte Partei, Person oder politische Meinung. Populistisches Denken ist für ihn »eine Form des Argumentierens. Und diese Form kann jeder in Anspruch nehmen, nicht nur die Anhänger dieser oder jener Weltanschauung.« Diese Definition hat zwei entscheidende Vorteile. Zum einen, dass sie auch alle, die sich mit ebensolchen Vokabeln diffamiert fühlen, einlädt, derlei Zuschreibungen abzulegen, indem sie den Nachweis führen, eben demokratisch – und nicht populistisch – zu reden. Zum anderen gibt sie Maßstäbe an die Hand, mittels derer selbsterklärte Gegner des Populismus geprüft werden können, ob sie ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden. Populistisches Denken zeichnet sich, so Zorn, vor allem dadurch aus, dass es für sich beansprucht, »für das ganze Volk« zu sprechen. Hinzu kommen unter anderem dogmatische Setzungen, Falsche-Dilemma (»Entweder für oder gegen mich«), Pappkameraden, Selbstautorisierungen und ideologische Unterstellungen. Dies sind die rhetorischen Figuren, die ein populistisches Denken ausmachen.

Betrachten wir unsere öffentliche Auseinandersetzung, so fällt auf, dass gerade diese Art des Sprechens an Bedeutung gewinnt. Ja, wer ein Populismusproblem behauptet, ist vielleicht sowieso besser beraten, von einem populistischen Redeklima zu sprechen. Es handelt sich um eine zunächst selbst verschmutzte Umwelt, in die sich nun Demagogen einnisten. Die Talkshow erscheint dafür perfekt geeignet zu sein.

Logik der Unterhaltung: Demagogie

Die Szenerie ist immer eine tragische. Vier, fünf oder sechs Diskussionsteilnehmer werden gleich zu Beginn einer konkreten Position zugeordnet. In kurzen Einspielern werden Person, Partei, Meinung und Gesicht als ein Amalgam aus festsitzenden politischen Ansichten präsentiert. Wer am Ende davon abweicht, scheint schon verloren zu haben. Und dies obwohl die anwesenden Politiker nicht selten im Anschluss noch zu einem koalitionsbedingten Kompromiss finden müssen. Fast scheint es so, als wäre die populistische Verschwörungsunterstellung, es sei ein ununterscheidbares Establishment am Werk, das den politischen Streit nur spiele, in der Talkshow bestätigt: Peter Altmeier und Ralf Stegner streiten dort unerbittlich. Später müssen sie sich auf ein Gesetzesvorhaben einigen. Wer mag dies noch ganz ernst nehmen?

Doch die Tragödie spielt sich nicht nur am Anfang und Ende der Talkshow ab. Sie ist ihr inhärent. Die Art des Gesprächs gleicht einem Meinungskampf. Die Positionierung steht – wie erwähnt – im Vornherein fest. Abweichungen, Differenzierungen, Verfeinerungen, Eingeständnisse, ja Erkenntnisgewinne, werden – zumindest bei Politikern – als Ausweis fehlender Authentizität gedeutet. Meinung an Meinung, Rhetorik an Rhetorik: Das Aufeinanderprallen ist das Entscheidende. Hier entsteht der Showeffekt. Hier übernimmt die Logik der Unterhaltung – und das ist im Zweifelsfalle die der Demagogie. Was Zorn als populistische Redefiguren ausmacht, gerinnt Woche für Woche zum politmedialen Format. »Sind Sie nun dafür oder dagegen? Und weichen Sie nicht aus!«, scheint die moderatorendeutsche Formulierung eines Falschen Dilemmas zu sein. Pappkameraden – »Na Sie sind ja sowieso von der Sorte…« – stehen im ganzen Studio herum. Die ideologische Unterstellung –»Realitätsverleugnung!«, »Xenophob!« – gehört zum Abendprogramm. Wenn das Medium die Botschaft ist, dann ist sie unweigerlich eine populistische.

Die gegenwärtige Dramaturgie der Talkshow ist fatal

Man kann dies alles als normal und als nicht besonders neu abtun. Aber vielleicht sind wir an einem Punkt angekommen, an dem die Säulen unserer Republik tatsächlich anfangen zu wackeln, wenn vier Mal die Woche eine Redepraxis eingeübt wird, die den Ansprüchen unseres Staates nicht einmal im Ansatz gerecht wird, während Parlamentsdebatten in die ökonomische Nische abrutschen. Lösungsmöglichkeiten gäbe es viele: Längere Reden, mehr direkter Dialog, besser geschulte Moderatoren, eine klarere Differenzierung des Themas, oder auch nur eine einfache Moderatorenfrage am Schluss der Sendung: »Was haben Sie heute gelernt?« Das alles könnte helfen. Denn die Talkshow ist an sich kein schlechtes Format. Es sind die falschen Regeln, die ihr aufgezwungen werden, die sie demokratisch zunehmend unbrauchbar machen. Treffend formulierte Cordt Schnibben im Spiegel: »Der stumme Dialog, den jeder Teilnehmer dieser Talkshow mit jedem anderen Teilnehmer führen könnte, während sie miteinander und gegeneinander reden, ist die wahre Debatte über die Lage der Nation.«

Doch die gegenwärtige Dramaturgie der Talkshow ist letztlich fatal. Möchte die Höflichkeit eingespielter Parlamentskollegen in den vergangenen Jahren noch darüber weggetäuscht haben, seit mit PEGIDA und der AfD neue Redner ins Spiel drängen, beweist sich dieser Satz in bedrückender Weise. Wenn Reden im Fernsehen nur noch heißt, ideologische Standpunkte wortgewandt aufeinanderprallen zu lassen, dann nimmt dieses Spiel tatsächlich einen geistigen Bürgerkrieg vorweg. Dogmatische Exzesse, Manipulation, Sophismen – übernimmt die Gesellschaft diese Vorbilder, folgt sie einer Gewaltlogik. »Denn eines ist in der Tragödie absolut sicher«, schreibt Bernd Stegemann in seinem Populismus-Essay, »beide Seiten haben gleichermaßen Recht und darum müssen beide Seiten untergehen. Rettung liegt allein bei denjenigen, die das erkennen.«

Zorn, Daniel-Pascal: Logik für Demokraten. Eine Anleitung, Klett-Cotta, 2017.