Tichys Einblick
Da kein Fachkräftemangel

Bewusstseinsindustrie Gendern

Deutschland fehlen „Fachkräfte“, heißt es in Politik und Wirtschaft. Es gibt aber auch einen Bereich, der (noch) nicht über Fachkräftemangel klagt: die Bewusstseinsindustrie, die dafür sorgt, dass die Deutschen politisch korrekt reden und denken. Zum Beispiel durch Gendern.

IMAGO
In seinem „Regierungsprogramm Zukunft“ kündigte der neu gewählte bayerische Ministerpräsident Söder am 6. Dezember an: „Wir werden das Gendern in Schulen und Verwaltungen untersagen“ und löste damit eine bayernweite Diskussion aus.

„Wird das Gendern verboten, erschwert dies die Bewusstseinsbildung für Geschlechterungerechtigkeit“, meinte ein Leserbrief; und ein anderer: „Eine gendersensible Sprache (geschrieben und gesprochen) trägt zum inklusiven Denken bei, dass Frauen und Männer gleichwertig sind“ (Süddeutsche Zeitung vom 29. Dezember 2023).

An der Verbreitung dieser geschlechtersensiblen Sprache arbeiten Tausende von Fachkräften in Staat, Medien und Wirtschaft: Sie verfassen Leitfäden für „geschlechtergerechte Sprache“, überprüfen deren Einhaltung und übersetzen ältere Texte, falls nötig, ins Genderdeutsche. Das Sprichwort „Jeder ist seines Glückes Schmied“ lautet in einer Rohübersetzung auf Genderdeutsch: „Jeder oder jede ist seines oder ihres Glückes Schmied oder Schmiedin“; geschrieben (mit Gendersternchen): „Jede*r ist seines*ihres Glückes Schmied*in“. Das ist sprachlich schwer verdaulich, eine erfahrene Genderfachkraft würde deshalb umformulieren zu „Alle sind ihres Glückes Schmied oder Schmiedin“, „Alle sind ihres Glückes Schmiedende“ u. Ä.

Durch Sprache die Welt verändern, lautet der Leitsatz der Genderbewegung – und auch älterer politischer Bewegungen: Zum Beispiel wurde in der Französischen Revolution im Namen der „Gleichheit“ (égalité) die Einheitsanrede „Bürger“ (citoyen) bzw. „Bürgerin“ (citoyenne) eingeführt und schließlich, 1793, das allgemeine „Du“ (tu).

In Deutschland wurde ein Duzgebot politisch noch nicht gefordert. Aber wäre es heute, in Zeiten der Ampelkoalition, nicht ein geeignetes Mittel, um die vielbeklagte „Spaltung“ der Gesellschaft zu überwinden und deren Zusammenhalt durch sprachliches „Unterhaken“ zu stärken? Wenn Gendern zum „inklusiven Denken“ beiträgt, müsste ein allgemeines Duzen den gleichen Effekt haben.

Leider lässt sich die Welt durch sprachliche Maßnahmen nicht real verändern. Sprache ist ein eigengesetzliches Zeichensystem, das auf Konventionen beruht, in die man nicht viel hineininterpretieren sollte: Wer im süddeutschen Sprachgebiet jemanden mit “Grüß Gott!“ anredet, kann durchaus ein Atheist sein. Auch das Gendern würde, wenn alle es machen, zu einer bloßen Sprachkonvention, bei der niemand an „Geschlechtergerechtigkeit“ denkt. Ein gendersensibles Sprechen setzt voraus, dass viele Sprecher nicht gendern. Dann klingt es unkonventionell, gilt als Innovation, fällt auf und kann als politisches Bekenntnissymbol dienen, das Gleichgesinnte vereint.

Wozu dienen die Sprachsymbole in einer politischen Bewegung? Zunächst zur Abgrenzung von der übrigen Gesellschaft und deren Konventionen sowie zur Kennzeichnung der eigenen Anhänger. Dann, in einem zweiten Schritt, zur Gewinnung der Diskurshoheit im öffentlichen Raum, sozusagen als Machtanzeiger. Im Unterschied zu anderen Sprachsymbolen wie Duzen oder Grußformeln erfüllt das Gendern wegen seiner Kompliziertheit noch einen weiteren Zweck: Es schafft Arbeitsplätze für sprachliche Fachkräfte (meist aus der eigenen Bewegung). Verständlich, dass diese Fachkräfte nun in einer breit angelegten Unterschriftenaktion gegen das geplante bayerische „Genderverbot“ protestieren.

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