Tichys Einblick
Das INF-Abrüstungsabkommen ist tot

Wird Europa wieder zur Bühne für nuklearstrategisches Kalkül?

Die das Donald Trump in die Schuhe schieben: Eine Aufkündigung des INF-Vertrags hatte bereits US-Präsident Barack Obama 2014 vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts angedroht. Schon damals lagen den USA Erkenntnisse vom Bau neuer russischer Mittelstreckenraketen vor.

Mikhail Gorbachev and Ronald Reagan sign the Intermediate-range Nuclear Forces (INF) agreement in the East Room of the White House on December 8, 1987

Corbis via Getty Images

Der INF-Vertrag ist seit 2. August 2019 Geschichte. INF heißt „Intermediate Range Nuclear Forces“; es geht bzw. ging um nukleare Mittelstreckensysteme. Das entsprechende Abkommen war am 8. Dezember 1987 in Washington von Michail Gorbatschow und Ronald Reagan unterzeichnet worden. Mit einem Gipfeltreffen am 1. Juni 1988 in Moskau wurde es auf unbestimmte Dauer in Kraft gesetzt.

Der INF-Vertrag war überhaupt eines der wichtigsten Abkommen zur Abrüstung der damals allein führenden Atommächte; China hatte noch nicht sein heute gewaltiges Mittelstrecken-Arsenal. „INF“ war damit ein tragender Pfeiler auch für die Sicherheit Europas. Konkret sollten mit dem INF-Vertrag landgestützte Raketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern abgeschafft werden. Dieses Abkommen und zuvor schon die Stationierung der US-amerikanischen Pershing-II-Raketen als Antwort auf die sowjetischen SS-20-Raketen besiegelten übrigens auch das Ende der Nukleargroßmacht Sowjetunion.

Nun sind die USA aus „INF“ ausgestiegen. Alle Fristsetzungen aus den USA hatte Russland unbeeindruckt verstreichen lassen. Am 20. Oktober 2018 hatte US-Präsident Trump erklärt, die USA würden sich aus dem INF-Vertrag zurückziehen. Am 4. Dezember 2018 setzen die USA Russland eine Frist von 60 Tagen, um die neuen russischen Marschflugkörper 9M729 (Nato-Code: SSC-8-Raketen) zu zerstören. Am 1. Februar 2019 erklärten die USA für Ende Juli 2019 ihren Rückzug aus dem INF-Vertrag. Nun ist das INF-Abkommen mit dem 2. August 2019 tot.

Begründung der USA damals und heute: Die neuen russischen, atomwaffenfähigen Marschflugkörper haben nach Einschätzung der NATO eine laut INF-Vertrag unzulässige Reichweite von mehr als 500 und bis zu 2000 Kilometern, also nicht von 480 Kilometern, wie von Russland angegeben, und damit eine Reichweite außerhalb der bisherigen INF-Grenzen. SSC-8-Raketen sind obendrein schwer auszumachen und abzufangen, weil sie als nicht-ballistische Raketen mit ihrer geringen Flughöhe unter dem Radarschirm fliegen. Vorwarnzeiten sind damit äußerst knapp und Abfangmanöver äußerst schwierig.

Für die USA ist es kein großer Verlust, aber für Europa, vor allem für die jüngeren Nato-Mitglieder Polen und die baltischen Staaten, eine neue Bedrohung. Die Nato-Partner haben sich denn auch sofort hinter die USA gestellt. Aus der Nato heißt es: Die alleinige Verantwortung für das Ende des INF-Vertrags trage Russland. Eine Situation, in der die Vereinigten Staaten sich vollständig an den INF-Vertrag hielten, Russland dies aber nicht tue, sei nicht haltbar, so ist aus dem Brüsseler Nato-Hauptquartier zu vernehmen. Was blieb den europäischen Nato-Mitgliedern auch anderes übrig, als sich um die USA zu scharen!

Zugleich ist damit zu rechnen, dass die USA an neuen – maritimen und terrestrisch abschießbaren – Marschflugkörper basteln. Russland hat das natürlich „spitz“ gekriegt und wirft seinerseits den USA einen Bruch des INF-Abkommens vor. Europa könnte damit wie schon in Zeiten des Kalten Krieges wieder im Zentrum nuklearstrategischer Händeleien stehen – als Zuschauer.

Gleichwohl betonen die bisherigen Bündnispartner, sie würden weiter entschlossen und konstruktiv für eine internationale Rüstungskontrolle eintreten.

Randbemerkung für diejenigen, die all das jetzt Donald Trump in die Schuhe schieben: Eine Aufkündigung des INF-Vertrags hatte bereits der damalige US-Präsident Barack Obama im Jahr 2014 vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts angedroht. Schon damals lagen den USA Erkenntnisse vom Bau neuer russischer Mittelstreckenraketen vor.