Tichys Einblick
Ideologie statt Wissenschaft

Wie Berlin seine Forscher vertreibt

Die halbe Welt hofft auf Impfstoffe gegen Corona. Derweil sorgt der Senat von Berlin mit voller Absicht dafür, dass so etwas in der Hauptstadt nicht mehr erforscht und entwickelt werden kann.

IMAGO / Westend61

„Wer über die Bundespolitik verzweifelt, muss nur einmal einen kurzen Blick auf Berlin werfen, um sofort zu erkennen, dass es noch viel, viel schlimmer kommen könnte.“ (Norbert Bolz – Tweet vom 18. Januar 2021)

Schätzen Sie mal, wie viele Menschen in Deutschland chronisch krank sind. Es ist fast jeder Zweite. Fast die Hälfte aller Deutschen leiden unter einer chronischen Krankheit und brauchen entsprechend lebenslang Medikamente. Es gibt also einen absolut relevanten gesellschaftlichen Bedarf an pharmazeutischer Forschung.

Die kommt, horribile dictu, nicht ohne Tierversuche aus. Wir reden hier nicht von Hautcreme oder Shampoo oder Make-Up, sondern von Krebs und Demenz – und seit neuestem auch von Corona. Da helfen tierversuchsfrei gemixte Globuli nicht. Da muss man sich wissenschaftlich auch mal die Hände schmutzig machen, um Menschenleben zu retten.

Allerdings ist es auch das vielleicht düsterste Merkmal unserer Zeit, dass so viele Mitbürger Fühlen mit Denken verwechseln – und dass sie nicht mehr unterscheiden können zwischen Wunsch und Wirklichkeit.

Das ging in der Geschichte noch nie gut.

*****

„Fokus Berlins ist es, die Hauptstadt der tierfreien Forschungsmethoden zu werden. Dies wird ein Schwerpunkt meiner Tätigkeit sein.“ (Kathrin Herrmann – am 11. November 2020)

Kathrin Herrmann ist gegen jegliche Art von Tierversuchen – auch in der medizinischen bzw. pharmazeutischen Forschung. Das ist ihre Mission.

Mit seiner Begabung für die Pflege politisch radikaler Anhänger hat Berlins derzeit vermutlich skrupellosester Politiker, der grüne Justizsenator Dirk Behrendt, genau diese radikale Tierversuchsgegnerin vor kurzem zur neuen Landestierschutzbeauftragten der Hauptstadt gemacht.

Parallel dazu lässt Behrendt schon seit vergangenem September verhindern, dass die Berliner Tierversuchskommission tagt: Der Senator will auch in diesem Gremium mehr radikale Tierschützer unterbringen – was der Koalitionspartner von der SPD bisher verweigert.

Allerdings hat die neue ehrenamtliche Tierschutzbeauftragte kaum Befugnisse. Eigentlich kann sie allenfalls Vorschläge machen. Und auch die Tierversuchskommission soll, unabhängig von ihrer Besetzung, nur beraten und kann nichts entscheiden.

Das macht die radikalen Tierversuchsgegner wütend – und ihren Schutzpatron an der Spitze der Senatsjustizverwaltung umtriebig. Behrendt hat die umstrittene Tierschutzorganisation PETA als verbandsklageberechtigt anerkannt. Das heißt, verkürzt gesagt, dass der Verein jetzt immer vor Gericht ziehen darf, wenn er meint, dass die „Rechte der Allgemeinheit“ irgendwie verletzt werden.

Der Wissenschaftsautor Ludger Wess weist darauf hin, dass das umso bemerkenswerter ist, als die bekanntlich grün geführte Landesregierung von Baden-Württemberg PETA das Verbandsklagerecht ausdrücklich verweigert hat. Die behördliche Begründung seinerzeit machte klar, weshalb die Organisation so umstritten ist:

PETA fehlten die gesetzlich vorgeschriebenen demokratischen Vereinsstrukturen. Bundesweit habe der Verein nur neun ordentliche stimmberechtigte Mitglieder – davon zwei Vorstandsmitglieder mit Wohnsitz im Ausland. Zudem bestünde „im Zusammenhang mit Tierschutzaktionen von PETA-Mitarbeitern der Verdacht strafbarer Begleithandlungen (…), von denen sich in zumindest einem Fall die Vereinsleitung nicht klar und eindeutig distanziert habe.“

Die radikalen Tierschützer zogen dagegen vor das Verwaltungsgericht – und verloren. Was im grün-schwarzen Ländle nicht geklappt hat, klappt jetzt im rot-rot-grünen Berlin: PETA wird amtlich zum Mitmachen eingeladen.

Auf die Berliner Forschungseinrichtungen und die forschenden Unternehmen kommen unangenehme Zeiten zu. Es ist keine allzu steile These, dass jetzt noch mehr von ihnen das tun werden, was so viele schon getan haben: wegziehen, bloß raus aus dieser Stadt.

*****

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (der in Personalunion auch Wissenschaftssenator ist) sagt dazu – nichts mehr. Seine Karriere in der Landespolitik rollt buchstäblich aus. Im September wird in der Hauptstadt ein neues Parlament gewählt, und Müller – chronisch unpopulär beim Volk, zermürbt von den ständigen Scharmützeln in der notorisch intriganten Berliner SPD – tritt nicht mehr an.

Stattdessen strebt er eine Altersteilzeit als Bundestagsabgeordneter an. Einen Wahlkreis hat Müller sich schon erkungelt (vor allem deshalb, weil die Gegenkandidatin Sawsan Chebli in der Berliner SPD sogar noch unbeliebter ist als er selbst). Einen halbwegs sicheren Listenplatz werden ihm seine Sozialdemokraten nun wohl auch überlassen, sozusagen als Gnadenakt.

Mit den inhaltlich immer exotischeren und menschlich immer schäbigeren Koalitionspartnern von den Grünen und der SED/PDS/Linken in der Hauptstadt sollen sich dann seine Nachfolger herumplagen, mag sich der Mann denken. Jedenfalls rührt er keinen Finger mehr, um den Wissenschaftsstandort Berlin gegen die grünen Wissenschaftsfeinde zu verteidigen.

Übrigens: So tierlieb, wie wenn es gegen wissenschaftliche Forschung geht, sind die Berliner Grünen nicht immer. Seit knapp einem Jahrzehnt versuchen grüne Umweltsenatoren und Bezirksstadträte unaufhörlich, die traditionellen großen Berliner Hundeauslaufgebiete möglichst von Hunden zu befreien. Mal werden ausgedehnte Wald- und Seegebiete für Hunde komplett gesperrt, mal wird ein absurd strikter Leinenzwang verordnet.

Meist passiert das handwerklich so dilettantisch, dass Gerichte die Verordnungen schnell wieder kassieren. Aber was, so fragt man sich, haben die Grünen bloß gegen Hunde? Nun, Hundehalter sind vor allem viele Rentner, viele Eigenheimbesitzer und auch ein paar Jäger – gehören also erkennbar nicht zur grünen Kernklientel. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Zweierlei ist das grün-linke Maß.

*****

„Selbst der schlechteste Mensch kann einem guten Zweck dienen: Er kann ein abschreckendes Beispiel geben.“

Der Satz wird dem alten Griechen Aristippos von Kyrene zugeschrieben, einem Schüler des Sokrates. Da ist viel Wahres dran. Und die Weisheit gilt nicht nur für Menschen. Sie gilt zum Beispiel auch für Städte.

Aus dieser Perspektive ist Berlin nicht nur eine Reise wert, sondern durchaus einen längeren Aufenthalt. Denn:

„Die Linken und die Grünen hätten bei der Bundestagswahl keine Chance, wenn die Bundesbürger Berlin nicht nur als Reiseziel, sondern als Lebenswirklichkeit kennen würden.“ (Norbert Bolz – Tweet vom 27. Dezember 2020)

Damit ist eigentlich alles gesagt.

Anzeige