Tichys Einblick
Ludwig Erhard selbst im Visier

Wer benötigt eine Bundesagentur für Digitale Aufklärung

Der Rückzug von Dorothee Bär aus der Ludwig Erhard Stiftung stellt kein Votum gegen den Vorsitzenden der Stiftung dar, sondern ein Statement gegen Ludwig Erhard und gegen die soziale Marktwirtschaft. Andernfalls hätte es ihr freigestanden, bei den im Oktober anstehenden Vorstandswahlen für Änderung zu sorgen.

Als der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer 2018 von „unseren Wahrheitssystemen“ sprach, hielt man das lieber für einen rhetorischen Ausrutscher, als dass man diesem Unwort Bedeutung zumessen wollte, denn Demokratien benötigen keine „Wahrheitssysteme“, sondern unabhängige, kritische Medien, die auch nicht nach Wahrheit, sondern nach Objektivität streben, denn die Wahrheit ist, dass niemand im Besitz der Wahrheit ist und wer sich anmaßt, dieses zu sein, ist es am allerwenigsten. Ein Wahrheitssystem kann also nur systematisch die Wahrheit produzieren, die dieses System für die Wahrheit hält und halten möchte – aus eigenen Interessen. Wahrheiten aber die zweckgerichtet produziert werden, nennt man gewöhnlich Propaganda. Daraus folgt, dass Wahrheitssysteme nichts anderes können und auch wollen, als Propaganda zu produzieren, sie sind in Wahrheit Propagandasysteme.

Nun hätte Kretschmer wissen können, dass Wesen und Wirkweise eines Wahrheitssystems bereits gültig beschrieben worden ist, nämlich von George Orwell in dem Roman „1984“, der zur Lektüre dringend empfohlen wird. Der englische Schriftsteller nannte diese Behörde allerdings nicht Wahrheitssystem, sondern Wahrheitsministerium. Was nicht ist, kann ja noch werden, dachte sich die ansonsten eher unauffällige Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung. In der Wirtschaftswoche kündigte die Bundesbeauftragte Dorothee Bär daher am 18. September die Schaffung einer Bundeszentrale für Digitale Aufklärung an, denn es ist „schon fast tragisch, dass die guten Angebote zur digitalen Aufklärung von Bundesministerien, Ländern und Kommunen derart fragmentiert sind, dass es ihnen an Sichtbarkeit mangelt. Wir machen so viel, die Informationen kommen aber nicht an.“ Es kommt schon fast einem Skandal gleich, dass trotz Bärs Bemühungen, die Bürger sich immer noch eine eigene Meinung leisten, was im Übrigen die Auswahl der Quellen einschließt. Freie Information bedeutet auch freie Auswahl der Quellen.

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Es stellt sich also die Frage, worüber die Bundesbeauftragte aufklären will? Darüber, wie die Regierung die Welt sieht? Das würde man nicht Aufklärung, sondern Propaganda nennen. Bär behauptet, dass sie mit der Plattform „eine gemeinsame Tatsachenbasis“ schaffen möchte. Aber über die Tatsachen kann sich jeder informieren. Es gibt eine bereitgefächerte Informationsmöglichkeit. Wenn man aber eine Auswahl an „Fakten“ schaffen will, dann framt man bereits. Bärs „Fakten“ werden notwendig durch die Auswahl und durch das Framing oder die Aufbereitung bereits „Ansichten und Interpretationen“ sein, denn alles, was dem Bild der Regierung widerspricht, wird als Verschwörungstheorie abqualifiziert.

So alt wie die Menschheit sind die Verschwörungstheorien. Würde die Bundesbeauftragte es ernst meinen, würde sie zuallererst gegen eine der wirkmächtigsten Verschwörungstheorien angehen, die von rotgrüner Seite mindestens seit den neunziger Jahre erfolgreich politisch benutzt wird, nämlich die vom Rechtsruck der Gesellschaft. Dieses Konstrukt erfüllt – wissenschaftlich gesehen – alle Kriterien einer Verschwörungstheorie. Jürgen Trittin behauptetet schon 1993 in dem Buch „Gefahr aus der Mitte: die Republik rutscht nach rechts“, dass die „Bundesrepublik … nach rechts“ rückt. Seitdem wird von der Mehrzahl der Medien und der Politiker vor einem „Rechtsruck“ gewarnt, währenddessen man die Achse der Republik immer weiter nach links verschiebt. Der Nachweis für die schrittweise Verschiebung der Achse der Republik nach links lässt sich übrigens leicht erbringen, man muss nur einmal die noch auf youtube zugänglichen Äußerungen von Spitzenpolitikern in den neunziger Jahren anschauen, Äußerungen beispielsweise von Angela Merkel, die sie noch 2004 in der Multikulti-Frage auf dem Parteitag der CDU tätigte, oder Helmut Schmidts Warnung vor der Überforderung der deutschen Bevölkerung durch ein zu große Zuwanderung.

Schaut man nur auf die letzten Jahre, stellt sich die Frage, worin der Rechtsruck bestehen soll? In der Aussetzung der Wehrpflicht? In der Energiewende? In der Euro-Rettungspolitik? Im Mindestlohn? In der Ehe für alle? In offenen Grenzen? In der Beschlüssen des Klimakabinetts? Oder ist Rechtsruck nur ein Ausdruck für die Ungeduld, dass es nicht schnell genug nach ganz links geht? Solange Dorothee Bär diese wirkmächtige Verschwörungstheorie nicht benennt, besitzt sie ein Glaubwürdigkeitsdefizit in dieser Frage.

Inzwischen spricht die Kanzlerin von der großen „Transformation“, also von einem Systemwechsel. Sollte nicht ein so grundsätzliches Projekt in der Gesellschaft breit und auch kontrovers diskutiert werden? Oder werden kritische oder ablehnende Argumente, dann als Fake News und weniger optimistische Szenarien dann als „Verschwörungstheorie“ von vorn herein diskreditiert, bevor sie noch einer rationalen Beurteilung unterzogen wurden? Gedanken zur Transformation äußerte die Bundeskanzlerin auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos. In Davos will man sich 2021 die Frage stellen, wie denn eine Gesellschaftsveränderung aussehen soll, da man zu der Überzeugung gekommen zu sein scheint, dass der Kapitalismus die großen Krisen, nämlich die Migrationskrise, die Klimakrise und die Corona-Krise nicht zu lösen vermag und deshalb überwunden werden muss. In diesem Zusammenhang scheint man sich eine neue Gesellschaftsordnung als eine Art Synthese aus Kapitalismus und Sozialismus vorzustellen.

Forschung bedeutet Vielfalt, ohne Vielfalt, ohne Wettstreit der Theorien und Lösungsvorschläge existiert keine Wissenschaft. Diejenigen, die vom allein vom menschengemachten Klimawandel, dessen Haupttreiber das CO2 sein soll, überzeugt sind, werden als die Mehrheit der Wissenschaftler bezeichnet. Aber eine Mehrheit sind längst nicht alle. Doch wenn man die Medien zur Kenntnis mit, werden nur die „Mehrheitspositionen“ publiziert und die widersprechenden Forschungsergebnisse und wissenschaftlichen Theorien der „Minderheit“ der Wissenschaftler entweder gar nicht erwähnt oder zuweilen als Fake News oder als Verschwörungstheorien dargestellt, Anschauungen, über die deutsche Medien vor 2012 noch berichteten.) Will Dorothee Bär hier Abhilfe schaffen? Will sie diese Fakten und Tatsachen auch zugänglich machen?

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Aber es geht in dieser Frage nicht um Information, nicht um Fakten, sondern um die Deutungshoheit, auf die eine Bundesregierung angewiesen ist, der immer stärker die Realität abhanden kommt. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat es geschafft, dass Deutschland in Europa isoliert dasteht und nur noch als williger Zahlbursche angehört wird. Die Wirtschaftsdaten zeigen eine desaströse Entwicklung auf. Immer weniger Beitragszahler werden den Sozialstaat finanzieren, der für immer mehr Menschen und für immer mehr Leistungen aufkommen muss. Wenn es aber so ist, dann stört nicht nur kritischer Journalismus, sondern er wird zur Gefahr, weil er die Position einnimmt, die Journalismus in einer demokratischen Gesellschaft einzunehmen hat, nämlich die des Kindes in dem berühmten und zutiefst wahren Märchen von Hans Christian Andersen „Des Kaisers neue Kleider“, das als einziges wagt zu sagen: „Der Kaiser ist nackt.“. Es steht zu befürchten, dass die Bundesagentur, die nebenbei wieder hochbezahlte Beschäftigungsverhältnisse für Aktivisten schaffen wird, genau dazu ins Leben gerufen wird, um die Stimme des Kindes zu übertönen.

Wäre es anders, hätte die Bundesbeauftrage nicht fünf Tage nach dieser Absichtserklärung eine Kampagne gegen Tichys Einblick vom Zaun gebrochen.

Wenn man eine neue Gesellschaftsordnung anstrebt, eine Synthese aus Kapitalismus und Sozialismus kreieren möchte, dann bleibt dabei zuallererst die soziale Marktwirtschaft auf der Strecke. Nicht zufällig versucht man deshalb im Stil unserer Zeit, Ludwig Erhard in die Nähe der Nationalsozialisten zu rücken und ihn als Profiteur des Nationalsozialismus darzustellen. Es ist nicht bekannt, dass das Mitglied der Ludwig Erhard Stiftung, Dorothee Bär; gegen diese „Fake News“ öffentlich Stellung bezogen hätte. Auch sonst fiel sie mir nicht als couragierte Verfechterin der sozialen Marktwirtschaft auf, für die Stiftung bedeutet daher ihr Rückzug auch keinen Verlust. Im Gegenteil, der Rückzug von Dorothee Bär aus der Ludwig Erhard Stiftung stellt kein Votum gegen den Vorsitzenden der Stiftung dar, sondern ist eindeutig ein Statement gegen Ludwig Erhard und gegen die soziale Marktwirtschaft. Andernfalls hätte es ihr freigestanden, bei den im Oktober anstehenden Vorstandswahlen für Änderung zu sorgen.

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