Tichys Einblick
Wie man ein Parlament betrügt

Wenn Seehofer im Schlafzimmer mithört

Der Verfassungsminister will dem Inlandsgeheimdienst erlauben, in die Wohnungen von Bürgern einzubrechen – ohne Richterbeschluss. Den Plan lässt er absichtlich vernebeln. Zynischer kann man das Volk und die Volksvertretung kaum missachten. 

Emmanuele Contini/NurPhoto via Getty Images

„Gesetzentwürfe müssen sprachlich richtig
und möglichst für jedermann verständlich gefasst sein.“
(Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien, § 42 Abs. 5)

„Man muss Gesetze komplizierter machen,
dann fällt es nicht so auf.“
(Horst Seehofer, am 06. Juni 2019)

Das Vorhaben

Harmloser könnte es kaum klingen: „Gesetz zur Harmonisierung des Verfassungsschutzrechts“.

Auf 41 Seiten soll der deutsche Inlandsgeheimdienst damit ermächtigt werden, Agenten in Wohnungen einbrechen zu lassen – zum Beispiel, um heimlich Spähsoftware auf Mobiltelefone und Computer aufzuspielen; aber auch, um spätere Besuche von V-Leuten in den Wohnungen vorzubereiten („technisch zu präparieren“).

Juristen im ganzen Land und quer durch die politischen Lager schwanken zwischen ungläubigem Staunen und blankem Entsetzen. Das liegt an diesem lästigen Grundgesetz. Da heißt es nämlich: „Die Wohnung ist unverletzlich.“ (GG Art. 13 Abs. 1) Und weiter: „Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.“ (GG Art. 13 Abs. 1)

Seehofer will die Staatsmacht jetzt aber in unsere Wohnungen einbrechen lassen, auch wenn gar keine „Gefahr im Verzuge“ ist. Trotzdem soll kein Richter das mehr genehmigen müssen. Der Name „Verfassungsschutz“ klingt da wie Hohn. Was der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat mit seinem Entwurf da eigentlich versucht, ist eine Verfassungsumseglung. Brauchen wir einen Innenminister, der im Schlafzimmer abhören läßt?

Irgendwie wünscht man sich, der CSU-Veteran hätte bei der inneren Sicherheit schon früher seine Vorliebe für eine harte Linie entdeckt – und am geeigneten Objekt. Aber Seehofer hatte zahlreiche Gelegenheiten, Recht und Ordnung in Deutschland zu stärken – und er hat sie allesamt nicht genutzt:

  • 2015 hätte er verhindern können, dass Angela Merkel die Grenzen öffnen ließ und Deutschland damit jenes Flüchtlingsproblem bescherte, das die Politik seitdem (und vermutlich noch auf unabsehbare Zeit) paralysiert. Im entscheidenden Moment spielte er stattdessen lieber mit seiner Modelleisenbahn (Robin Alexander hat das treffend beschrieben).
  • 2017 kam er ins Amt und hätte seitdem dafür sorgen können, dass Deutschland im Innern sicherer wird – zum Beispiel durch einen Ausbau der Sicherheitskräfte. Passiert ist – nichts.
  • 2018 hätte er für Recht und Gesetz einstehen (und gleichzeitig die Erosion der Union zumindest abbremsen können) – zum Beispiel durch konsequentes Durchziehen des Streits mit Angela Merkel. Stattdessen knickte er ein, akzeptierte einen lächerlichen Formelkompromiss und entließ ohne faktischen Grund den Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen.
  • 2018 hätte er den fortwährenden Rechtsbruch durch den Staat zumindest teilweise beenden können – zum Beispiel durch einen konsequenten Abschiebe-Paragrafen und undurchlässigere Grenzen in seinem sogenannten „Masterplan Migration“. Stattdessen führte der Rohrkrepierer in einem Jahr zur Zurückweisung von elf (in Worten: ELF) Menschen.
  • 2019 hätte er zum Helden der deutschen Einwanderungspolitik UND der inneren Sicherheit werden können: wenn er das irrsinnige „Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz“ gestoppt hätte. Stattdessen hat er es nach Kräften unterstützt.

Ein Bundesliga-Stürmer mit einer solchen Quote beim Auslassen von Großchancen wäre längst nach China verkauft worden.

Nun kommt eine Anschlussverwendung im Ausland für Seehofer schon in Ermangelung passender Sprachkenntnisse nicht in Frage. Zusätzlich hat der Mann aber auch noch versucht, seine Mitspieler (die anderen Bundestagsabgeordneten) und seinen Verein (das deutsche Volk) dreist hinters Licht zu führen.

Die Parlamentstäuschung

Der Verfassungsminister will den Bundestag aushebeln – und zwar völlig absichtlich.

Leseprobe: „Auf Aufzeichnungen nach Abs. 3 Satz 2 und §§ 9d, 9e Abs. 1 (…) ist § 3a Abs. 1 Satz 4 bis 6 und Abs. 2 des Artikel-10-Gesetzes entsprechend anzuwenden.“

So und nicht anders steht das im dritten Paragrafen. Oder auch so: „Erfolgen Maßnahmen bei einer in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nummer 3 bis 3b oder Nummer 5 der StPO genannten Person (…)“

Den Rest erspare ich Ihnen, Sie haben das Prinzip eh‘ schon verstanden: Man schreibe so langweilig und kompliziert wie nur irgend möglich, verstecke die relevanten Regelungen in einem selbst für Experten nur schwer entwirrbaren Wust von Querverweisen und verstecke die kritischen Punkte hinter anderen, artfremden und völlig harmlosen.

Die Methode ist nicht neu – und es nicht der einzige offenkundig völlig abgehobene und pflichtvergessene Einfall von lebenslänglichen Insassen des Berufspolitikbetriebs, um echte demokratische Teilhabe sogar im Bundestag selbst möglichst weiträumig zu umfahren.

Gerhard Schröder hatte einst einen anderen Ansatz zur Parlaments-Entmächtigung etabliert: das Kommissionsunwesen. Das geht so: Man hat ein absehbar strittiges politisches Vorhaben, also beruft man eine Kommission aus handverlesenen „Experten“ ein. Idealerweise gibt man zum Thema auch noch eine „Studie“ bei staatsfinanzierten zweitklassigen, also maximal regierungsabhängigen Wissenschaftlern in Auftrag. Auf Grundlage der „Studie“ kommen die in der Kommission versammelten „Experten“ dann zu einer „Empfehlung“. Mit der wedelt man vor möglicherweise widerspenstigen gewählten Volksvertretern herum und erklärt, „die Fachwelt“ habe diese Lösung doch schließlich als die einzig wahre bestätigt.

Angela Merkel hat zwar keinen politischen Inhalt, aber viele Machtinstrumente ihrer Vorgänger verfeinert. Den Trick mit den Kommissionen entwickelte sie weiter zum Konzept der „Freiwilligen Selbstverpflichtung“. Hier werden Akteure bestimmter Gesellschaftsbereiche handverlesen und dann zu „Runden Tischen“ (klingt super-basisdemokratisch) ein- oder besser: vorgeladen. Dort erklärt ihnen dann ein Regierungsmitglied, was die Kanzlerin für ihren politischen Machterhalt ungefähr braucht und was sie im Gegenzug so anbieten kann. Einigt man sich, wird das Paket als – genau: „Freiwillige Selbstverpflichtung“ des jeweiligen Bereichs verkauft.

So bekommt Merkel, was sie braucht – und die Industrie (der Kulturbereich, der Sportbereich, …) kann meist auch für sich noch etwas herausschlagen. Die „Selbstverpflichtung“ ist also de facto eine politische Vorgabe. Dafür ist bei uns eigentlich der Bundestag zuständig. Aber natürlich ist es für eine ergebnisorientierte Kanzlerin viel bequemer, am Parlament vorbei Politik zu machen.

Klingt gut, hat allerdings auch einen klitzekleinen Haken: Die Regierungschefin tritt dabei unser Grundgesetz mit Füßen, hebelt den Parlamentarismus aus – und den Souverän gleich mit.

Die Politikverdrossenheit

Das ist der falsche Begriff. Tatsächlich verdrießt nicht die Politik die Deutschen: Die Politiker verdrießen die Deutschen. Es geht also um PolitikER-verdrossenheit.

Fassen wir nur mal die Causa Seehofer kurz zusammen:

  • Der für den Schutz des Grundgesetzes federführend verantwortliche Bundesminister versucht, die Verfassung auszuhöhlen und Staatsorganen genau die Übergriffe gegen Bürger zu ermöglichen, vor denen er sie schützen soll.
  • Der für den Schutz des Grundgesetzes federführend verantwortliche Bundesminister erklärt in aller Öffentlichkeit, dass ihm die (auch für ihn rechtlich verbindliche) Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien auf gut Bairisch wurscht ist.
  • Dasselbe, auf das Wohl des Deutschen Volkes vereidigte Mitglied der Bundesregierung lässt Gesetzesvorhaben so umständlich wie nur möglich formulieren, damit das Volk und dessen Volksvertreter den Inhalt möglichst nicht verstehen.

Und nun, man liest es überall in den Vorwahlumfragen, wächst offenbar die Zahl der Bürger, die das nicht mehr lustig finden.

Warum nur?

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