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Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten: Wenn einer mit einer mutlosen Rede „Mut“ predigt

„Mut und Zuversicht“ wünschte der Bundespräsident am Ende allen! Aber wie kann man „Mut“ predigen mit einer mutlosen Rede?

KAY NIETFELD/POOL/AFP via Getty Images
Am ersten Weihnachtsfeiertag werden wir (also „das Volk“ oder ähnliches) je nach Sender zwischen „Tagesschau“, „heute“, „Donna Leon“, „Charlys Tante“, „Schweinskopf al dente“, „Das Beste Stück vom Braten“ „Helene Fischer“ und Biker „Horst Lichter“ die alljährliche Weihnachtsansprache des Bundesspräsidenten hören dürfen. Das Programmambiente verspricht für die Fünf-Minuten-Rede immerhin einige Zapper-Zufallstreffer.

Nun ist Steinmeier ist seit 33 Monaten im Amt. Bleibt es bei einer einzigen Amtszeit, so hat er das „Bergfest“ bereits hinter sich: 33 von maximal 60 Monaten, drei von fünf Weihnachtsansprachen. Da fragt man sich, prägt sich auf dem Gipfel seiner Amtszeit wenigstens ein bisschen etwas ein? Wir wollen die Rede, ehe sie im Kurzzeitgedächtnis vaporisiert (verdampft), ein wenig – mit Verlaub: unbotmäßig – beleuchten.

Zwischenrufe

1.

Die Rede fängt stark an, mit einer abendländischen Formel und mit einer vertrauten Anrede: „Frohe Weihnachten, liebe Landsleute! Ich hoffe, Sie sind gut durchs Jahr gekommen und können die Festtage genießen.“ Immerhin „Landsleute!“ und nicht „Liebe Leut‘, die Ihr schon länger hier lebt oder neu hinzugekommen seid.“

2.

Und weil er der Nachhaltigkeit (sagt man heute) seiner Weihnachtsrede von 2018 nicht traut, fragt Steinmeier: „Erinnern Sie sich noch? ‚Sprechen Sie auch mal mit Menschen, die anderer Meinung sind.‘ Ganz viele haben das offenbar über das Jahr getan. Viele haben mir sogar geschrieben und berichtet von Diskussionen und Debatten, die sie bewegt haben in diesem Jahr ….“ Der Schlossherr im Bellevue scheint sich also nicht so ganz sicher zu sein, ob sich die Leute an diesen frommen Wunsch erinnern. Es kann aber auch sein, dass die Eigenzitation ein Stück Eigenlob sein soll. Klar, braucht auch ein Staatsoberhaupt!

3.

Dann kommt es ganz dicke: „Ja, wir haben tatsächlich in diesem Jahr – landauf, landab – mehr miteinander gesprochen; auch mehr miteinander gestritten.“ Naja, als ein Beispiel nennt Steinmeier den Klimawandel. Er vergaß zu sagen, dass er wie „seine“ Kanzlerin die Schulschwänzer für’s Schuleschwänzen sogar belobigt hat. Allerdings vergaß er zu sagen, dass Medien und Universitäten mittlerweile kaum noch Leute zu Wort kommen lassen dürfen, die andere Meinungen vertreten. Steinmeier weiter: „ … von zu wenig Meinungsfreiheit kann in meinen Augen nicht die Rede sein …“ Pardon, das ist die Sehschlitz- und Raumschiffperspektive des Schlosses Bellevue und des Kanzleramtes samt Reichstag.

4.

Dann kommt – wie in einem Drama als Peripetie – die präsidiale Frage: „Trennt uns inzwischen sogar mehr als uns miteinander verbindet?“ Ja, verehrtes Staatsoberhaupt, die mediale und die politische Elite hat das Land gespalten. Haben Sie schon einmal die Wahlergebnisse angesehen? Nein, sind ja nur Ossi-Einzelfälle, oder? Und als Bundespräsident kann man da ja ohnehin nichts machen. Wörtlich: „Vielleicht erwarten Sie, dass der Bundespräsident in einer Weihnachtsansprache auf all diese Fragen eine salbungsvolle Antwort gibt.“ Nein, tun wir nicht, und weiße Salbe erwarten wir schon gleich gar nicht, davon haben wir schon genug.

5.

Dann greift Steinmeier ein Bild auf, das sich ihm dieses Jahr „tief eingeprägt“ hat: „Es ist das Bild einer Tür. Eine mächtige, dicke Tür aus Holz und Eisen. Zwanzig Schüsse hat sie abbekommen. Zerborstenes Holz und Reste von Blei in den Einschusslöchern sind heute zu sehen. Es ist die Eingangstür der Synagoge in Halle.“ Uneingeschränkt: eine abscheuliche Tat, die zwei Passanten mit dem Leben bezahlten. Aber: Kein Wort des Präsidenten zur dreistelligen Zahl an Morden auf offener Straße. Kein Wort zu dem, was hier etwa in Stuttgart, in Limburg, in Augsburg usw. geschah!

6.

Es folgt der präsidiale Appell: „Die Antwort, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, die geben auch Sie. Sie stehen auf und halten dagegen, wenn im Bus Schwächere angepöbelt werden ….“ Der folgende Satz fehlt: „Und man Sie dafür hinterher schwerverletzt oder gar tot abtransportiert!“ Aber wahrscheinlich ist die Rede vor „Augsburg“ geschrieben worden.

7.

Es folgt eine präsidiale Schmeichelei: „Sie alle haben ein Stück Deutschland in Ihrer Hand! … Wir alle – wir alle sind Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Mit gleichen Rechten und Pflichten. Bürger erster oder zweiter Klasse gibt es nicht.“ Doch, Herr Bundespräsident: Es gibt Wähler erster und zweiter Klasse, Abgeordnete erster und zweiter Klasse, Täter erster und zweiter Klasse, Opfer erster und zweiter Klasse.

8.

Zum Ende hin dann ein rhetorischer Ruck: „Wir brauchen die Demokratie – aber ich glaube: derzeit braucht die Demokratie vor allem uns!“ Eine Binse! Ein Lippenbekenntnis, denn die hohe Politik braucht das Volk offenbar schon lange nicht mehr. Siehe Wahl zum Parlament der EU!

9.

Und schließlich das ultimative Sedativum: „Zum Glück … braucht die Demokratie keine Helden.“ Doch, Herr Präsident, zum Beispiel mutige Politiker, die Klartext reden. „Mut und Zuversicht“ wünschte der Bundespräsident am Ende allen! Aber wie kann man „Mut“ predigen mit einer mutlosen Rede?


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