Tichys Einblick
Geschäftsgeheimnisse

Was testet der Corona-Test: Der Berliner Senat hat keine Ahnung

Der Corona-Test und die sich daraus ergebenden "Fallzahlen" bestimmen die Politik und einen erneuten Lockdown. Ausgerechnet in dieser Situation verschweigt die Berliner Senatsverwaltung wichtige Informationen darüber. Oder sie weiß tatsächlich selbst nicht, was da gemessen wird.

imago Images

Jeder Tag bringt eine neue Schreckenszahl. Der Wert, mit dem in diesem Corona-Herbst alles steht und fällt, ist die sogenannte Inzidenz. Sie beschreibt, wie viele Personen in der letzten Woche positiv auf das Virus getestet wurden (d.h. als Fall gelten) und setzt diese Zahl in Relation zur Bevölkerung. Auf Basis dieser Zahlen entscheiden die Regierungen über Lockdowns und Einschränkungen: Liegt die Inzidenz über dem Wert von 50 Fällen pro 100 000 Einwohnern, so läuten die Alarmglocken, ohne dass genau aufgeschlüsselt wurde, warum der Warnwert 50 Fälle ist und nicht 60 Fälle oder 70 Fälle oder 25 Fälle. Auf Basis dieser Zahlen wird versucht, die zukünftige Entwicklung der Krankenhausbelegung und Todesfälle zu implizieren. Doch es stellt sich die Frage, wie zuverlässig ist diese Zahl, an der Wirtschaft und Gesellschaft hängen?

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Daher ist es für die Einschätzung der Lage extrem wichtig, auch über die Corona-Tests Bescheid zu wissen. Zählen sie zu viele Fälle? Zählen sie zu wenig Fälle? Kann aus den Testergebnissen ein Rückschluss auf die tatsächlichen Fälle von Krankheit geschlossen werden? Welche Fälle sind welcher Fall?  Um diese Fragen zu klären, stellte der freie Abgeordnete Macel Luthe (bis vor Kurzem FDP) eine schriftliche Anfrage an die Senatskanzlei zu verschiedenen Themen rund um die Corona-Bekämpfung und wie Corona-Tests in Berlin durchgeführt und interpretiert werden.

Und die Antworten legen nahe: Zumindest die Senatsverwaltung von Berlin weiß nichts, will nichts wissen oder darf nichts wissen. Die Antwort lautet nur allzu oft: „Labor Berlin verweist erneut auf die Ausführungen zur Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen“.

Alles ist Geschäftsgeheimnis

Welche Corona-Tests welcher Hersteller werden in Berlin verwendet?
Antwort: „Zu dieser Frage liegen dem Senat keine belastbaren Daten in entsprechender Detailtiefe vor“ und „Geschäftsgeheimnisse“.

Werden PCR- oder Antikörpertests durchgeführt?
Antwort: Dazu liegen „keine belastbaren Daten“ vor, der Rest sind „Geschäftsgeheimnisse“.

Wie genau und sensibel sind die durchgeführten Tests?
Antwort: Es gibt laut der amtierenden Landesregierung von Berlin keine genauen Untersuchungen für den gesamten Analyseprozess von Probenentnahme bis Befundinterpretation – was verheerend ist, denn selbst der genaueste Test wird wertlos, wenn die Testprobe falsch entnommen wird. Und überhaupt sind all diese Informationen: „Geschäftsgeheimnisse“

Wer stellt die Tests her, wer importiert oder verkauft sie?
Antwort: „Geschäftsgeheimnisse“.

Wie werden die Ergebnisse der Corona-Test interpretiert?
Antwort: Laut Senat sind die Herstellervorgaben zur Interpretation „maßgeblich“.  Mit anderen Worten: Die Hersteller bestimmen nach ihrem Verfahren darüber, was gemessen wird oder was behauptet wird. Wer sind diese Mächtigen Interpreten unserer Wirklichkeit? Wer die Hersteller sind, kann laut Senat nicht offen gelegt werden, denn diese sind „schutzwürdige Geschäftsgeheimnisse“. Was in den Herstellervorgaben steht, kann nicht offen gelegt werden, denn dies würde Rückschlüsse auf den Hersteller erlauben, der ja ein „schutzwürdiges Geschäftsgeheimnis“ ist.

Aber die Labor Berlin GmbH, die viele der in Berlin anfallenden Corona-Tests durchführt, ist eine gemeinsame Unternehmung der Charité (zu 100 Prozent in Berliner Landesbesitz) und dem kommunalen Krankenhausbetreiber Vivantes (einziger Anteilseigner: das Land Berlin). Ist es nicht von öffentlichem Interesse, dass diese Unternehmen in öffentlicher Hand Details zu ihren Tests offenlegen? Nein, auch hier beruft man sich auf „schutzwürdige Geschäftsgeheimnisse“. Offensichtlich verbergen sich auch staatliche Unternehmen hinter der Mauer des Schweigens.

Eine Politik, die intransparent ist, schützt nur sich selbst

Zutage tritt hier das Symptom einer Politik, deren Verantwortliche sich in der Krise gerne als Macher darstellen, als kompetente Staatenlenker, die das Volk sicher durch die Stürme der Zeit führen. Und die Fragen, die zu unangenehmen Antworten führen, einfach als „Geschäftsgeheimnisse“ abschmettern. Denn die Fragen, welche Tests durchgeführt werden, wie sie durchgeführt werden und wie sensibel sie sind, sind absolut wert, gestellt zu werden.

In Berlin kommen die Behörden mit der Kontaktverfolgung von Corona-Fällen angesichts der schieren Zahlen der neu gemeldeten Fälle nicht mehr hinterher – die Kontaktverfolgung muss eingeschränkt werden. Jetzt sollen Risikogruppen prioritär im Fokus der Kontaktverfolgung liegen: Also Ältere, Kranke, Arbeitnehmer in der Pflege oder Medizin. Die Folgen sind: Isolation, Ausgrenzung, Quarantäne – und im Falle von Gastwirten oder Selbständigen: der wirtschaftliche Ruin. Es sind entscheidende Fragen.

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Wenn aber bekannt wäre, wie genau die Corona-Tests durchgeführt werden, könnte man auch hier Prioritäten setzten: Denn ein PCR-Test lässt auch Rückschlüsse auf den Status einer Infektion zu. Ist die Virenlast gering, steht der Patient entweder am Anfang oder am Ende seiner Infektion – in dieser Zeit kann er zwar jemand anderen infizieren, die Wahrscheinlichkeit ist aber weitaus geringer, als wenn man eine hohe Viruslast hat. Ist die Viruslast hoch, ist eine Ansteckung anderer wahrscheinlicher – die Kontakte solcher Personen sind also mit erhöhter Priorität zu ermitteln.

Auch hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass SARS-CoV-2 stärker von einzelnen Superspreadern abhängig ist als viele andere Infektionskrankheiten wie zum Beispiel die Grippe. Eine kleine Zahl von Personen steckt viele anderen an, nicht alle gleichmäßig alle anderen. Stoßen die Kontaktverfolgungs-Kapazitäten an ihre Grenzen, wäre es also sinnvoll, wenn man diese Superspreader priorisiert – jemanden zu finden, der möglicherweise zwanzig Menschen angesteckt hat, ist wichtiger als jemanden zu finden, der zwei andere ansteckt.

Doch das geht nur, wenn man die dafür benötigten Informationen ermittelt, statt sich hinter „Geschäftsgeheimnissen“ zu verstecken. Mit der Ausnahme von tatsächlich sensiblen Staatsgeheimnissen dient die Intransparenz von Regierungen, das nicht Offenlegen wichtiger Informationen, oft nur dem Ziel, Falschentscheidungen von Politikern zu verdecken oder Kritik sachlich unmöglich zu machen. Und darin scheint sich auch Berlin hier zu üben – oder aber der Senat ist tatsächlich so inkompetent, nicht zu wissen, was seine Betriebe so betreiben. Aber es ist ja Berlin. Da ist alles möglich.

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