Tichys Einblick
Nur eine große Trophäe rettet seinen Kopf

Vor den Sondierungsgesprächen: Will Seehofer eine Schwampel-Minderheitsregierung ohne CSU?

Seehofer braucht eine ganz große Trophäe. Das wäre der kurze Zügel, mit dem Seehofer eine von der CSU geduldete Minderheitsregierung mal länger, mal kürzer laufen ließe.

Horst Seehofer reacts prior a board meeting of the German Christian Social Union party (CSU) in Munich on September 25, 2017, one day after the German general elections

© Christof Stache/AFP/Getty Images

Die Jamaikaner bilden – so es überhaupt so weit kommt – eine Koalition der Verlierer. Im Bund verlor die Union 8,6 Prozent, in Niedersachsen die CDU (Hochrechnung von 23.13 Uhr) 2,4 Prozent. Die Grünen haben im Bund gerade eben 0,5 Prozent zugelegt, in Niedersachsen 5,0 abgeben müssen. Nur die FDP konnte wenigstens einmal jubeln, hatte sie im Bund doch um 5,9 Prozent zugenommen; getrübt wurde dieser Sprung jedoch in Niedersachsen von einem Verlust von 2,4 Prozent.

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Rechnen wir weiter: Im Bund haben die potentiellen Jamaikapartner 52,5 Prozent der abgegebenen Stimmen erreicht; das sind bei einer Wahlbeteiligung von 76,2 Prozent gerade eben 40 Prozent der potentiellen Stimmen der Wahlberechtigten. In Niedersachsen ist es noch krasser: Dort vereinen die möglichen Jamaikapartner nur 49,8 Prozent der abgegebenen Stimmen; bei einer Wahlbeteiligung von 63,1 Prozent sind das ganze 31,4 Prozent der Wahlberechtigten. Alles Verlierer eben! Bravo Deutschland, du wirst schleichend unregierbar!

Da muss sich ein Seehofer – mit seinem Drehhofer-Kurs gegenüber Merkel einer der großen Verlierer – gut überlegen, ob er mit der CSU eine solche Verliererkoalition mitmacht. Da Merkel (noch) als sakrosankt gilt, auch wenn sie längst der Mühlstein um den Hals der CDU ist, steht für Seehofer derzeit am meisten auf dem Spiel. Er muss nach den ersten Attacken gegen ihn aus seinen Parteibezirken Oberpfalz, Oberfranken, Mittelfranken und München um seinen Parteivorsitz bangen. Am 17./18. November 2017 oder womöglich bei einem wegen der Koalitionsverhandlungen in den Dezember verlagerten CSU-Parteitag könnte sich sein politisches Schicksal entscheiden. Klar, Seehofers parteiinterne Gegner bangen um die absolute Mehrheit der CSU bei den Wahlen zum Bayerischen Landtag im Herbst 2018.

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Seehofer hat aber auch viel in der Hand. Damit sind nicht seine für bayerische Verhältnisse mickrigen 38,8 Prozent bei der Bundestagswahl gemeint. Wir rechnen anders: Ein Jamaika-Dreier aus Union, Grünen und FDP brächte 393 Abgeordnete auf die Waage; das sind 38 mehr, als man für eine Kanzlermehrheit (355 von 709 Sitzen im Bundestag) braucht. Die CSU steuert dazu 46 bei. Nicht eben viel. Aber so viel, dass ohne diese 46 Bayern keine Kanzlerwahl zustandekäme. CDU, Grüne und FDP hätten dann nämlich nur 347 Stimmen, sie würden damit die Kanzlermehrheit um 8 Stimmen verfehlen.

Wie „Jamaika“ zustandekommt, und ob überhaupt, hängt also von der CSU ab. Von der CDU, der FDP und Grünen wohl weniger, denn dort ist man um des Erhalts bzw. des Erringens der Macht willen wohl zu allen möglichen faulen Kompromissen bereit, zum Beispiel in Sachen Familiennachzug. Und Merkels Prinzipennihilismus kennt man ja.

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Also hat Seehofer einen Trumpf in der Hand. Er kann Jamaika ganz platzen lassen. Dann gibt es eine „GroKo“ ohne Merkel oder eine Minderheitsregierung mit raschen Neuwahlen. Letzteres wird Seehofer nicht sofort wollen. Denn dann wird die AfD in Bayern auf der Stelle noch stärker. Aber er wäre nicht Seehofer, wenn er nicht eine andere Karte in der Hand hätte: Die CSU beteiligt sich nicht an Jamaika, aber sie „duldet“ Jamaika und wählt Merkel mit. Dann gibt es für eine gewisse Zeit ein Kabinett Merkel IV – ohne CSU-Minister – und nach der Wahl zum bayerischen Landtag Anfang 2019 Neuwahlen im Bund. Zum Beispiel, weil der Minderheitsregierung immer mal wieder die CSU-Stimmen fehlen.

Ob das verantwortungsbewusst ist und dem Land dient, werden auch in Bayern manche fragen. Mit gleichem Recht kann man aber die Frage stellen, ob es dem Land dient, wenn weitergemerkelt wird wie bisher.

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Andere Optionen hat Seehofer eigentlich kaum. Er wäre mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn er dem Vorschlag nachkäme, als Finanzminister nach Berlin zu gehen. Da könnte er zwar so manchen FDP- und Grün-Minister zur Weißglut bringen. Aber große Trophäen sind das nicht. Vor allem aber wäre der Preis für diesen Posten ein Paket an gigantischen programmatischen Zugeständnisse an die anderen Partner CDU, FDP und Grüne. Der windelweiche 200.000er Kompromiss lässt das erahnen. Und aus Bayern hätte Seehofer dann sehr wahrscheinlich einen Markus Söder als Ministerpräsidenten im Nacken.

Also braucht er eine ganz große Trophäe. Das wäre der kurze Zügel, mit dem Seehofer eine von der CSU geduldete Minderheitsregierung mal länger, mal kürzer laufen ließe. Seine CSU-Granden haben diese Option durchaus im Kopf. Deshalb wären sie von allen guten Geistern verlassen, zögen sie ihren Parteichef jetzt zurück. Nur er kann aus Berlin eine solche Trophäe mitbringen. Ein solches Muskelspiel würde ihm im Freistaat im Herbst 2018 bestimmt honoriert. Denn „unter ferner liefen“ fühlen sich die Bayern nicht wohl.

Politik wird ansonsten ja nicht nur aus dem Kopf, sondern auch aus dem Bauch heraus gemacht. Und da hat Seehofer vermutlich ein Hühnchen zu rupfen. Aus engsten Kreisen um Merkel herum ist ihm zu Ohren gekommen, dass man sich dort am Wahltag des 24. September mehr über Seehofers miserables Bayernergebnis amüsiert hat, als sich um das nicht weniger miserable CDU-Ergebnis zu sorgen.