Tichys Einblick
Statistisches Bundesamt

Verkehrswende findet nicht statt: Die Deutschen pendeln weiter mit dem Auto

Die politische Wunschvorstellung von der "Verkehrswende" findet in der Wirklichkeit nicht statt. Das Auto bleibt laut Umfrage des Statistischen Bundesamtes das wichtigste Verkehrsmittel für den Weg zur Arbeit.

IMAGO / Shotshop

Das eigene Auto für Deutschlands Pendler auf dem Weg zur Arbeit nach wie vor das Verkehrsmittel Nr. 1. Das zeigt eine aktuelle Erhebung des Statistischen Bundesamtes. Die Zahlen der Wiesbadener Statistiker basieren auf einer alle vier Jahre durchgeführten Pendlererhebung. Die Angaben für das Jahr 2020 beziehen sich nach Angaben der Behörde auf die gut 38,9 Millionen der insgesamt 41,6 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland, die bei der Befragung Angaben zur Entfernung vom Wohnort zum Job sowie zu Zeitaufwand und Verkehrsmittel für den Arbeitsweg gemacht haben.

Die Statistiker weisen folgendes nach:

  • Zwei Drittel der Erwerbstätigen (68 Prozent) fahren nach eigenen Angaben mit dem Pkw in die Firma oder ins Büro – sogar auch auf kürzeren Strecken. 
  • Nur gut 13 Prozent nutzten im Jahr 2020 regelmäßig öffentliche Verkehrsmittel wie Bus, Straßenbahn, U-Bahn oder Zug für den Arbeitsweg. Auf das Fahrrad für die Fahrt zum Arbeitsplatz setzt sich regelmäßig nur jeder zehnte Erwerbstätige.
  • Im Vergleich zur letzten Erhebung für das Jahr 2016 sind die Prozentanteile der einzelnen Verkehrsmittel nahezu unverändert – trotz aller Appelle von Klimaschützern und Bemühungen der Politik, mehr Menschen dazu zu bringen, das Auto stehen zu lassen.
  • Der Trend geht sogar in die entgegengesetzte Richtung: Die „ungebrochene Dominanz des Autos als Beförderungsmittel“ spiegelt laut den Wiesbadener Statistikern auch  sich in jüngsten Daten zum Kraftfahrzeugbestand des Kraftfahrt-Bundesamtes wider: Zum Stichtag 1. Januar 2021 waren demnach 48,2 Millionen Pkw in Deutschland zugelassen und damit 14 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor (1. Januar 2011: 42,3 Millionen). 

Der Pkw-Bestand wächst also. Der Grund dafür ist nach Meinung der Statistiker der „Trend zum Zweit- oder Drittwagen“ in den privaten Haushalten. Der Anteil der Haushalte, die mindestens ein Auto besitzen, war 2020 mit 77,4 Prozent ähnlich hoch wie 2010 (77,6 Prozent). Im selben Zeitraum nahm jedoch die Zahl der Pkw pro Haushalt zu: Kamen 2010 auf 100 Haushalte 102 Autos, so waren es zehn Jahre später schon 108.

Auch für Kurzstrecken setzen sich viele Menschen in Deutschland lieber hinters Steuer als auf den Fahrradsattel oder in Bus oder Bahn. Fast die Hälfte aller Erwerbstätigen (48 Prozent) hat nach eigenen Angaben weniger als 10 Kilometer zum Arbeitsplatz zurückzulegen. Für 29 Prozent ist der Weg zur Arbeit 10 bis 25 Kilometer lang, 14 Prozent legen 25 bis 50 Kilometer zurück.

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Hinzu kommt, dass steigende und hohe Mieten in den Städten einerseits und eine große Nachfrage nach Arbeitnehmern in Ballungszentren andererseits Millionen Arbeitnehmer, die auf dem Land leben, auf die Straße und, wo möglich, auf die Schiene treiben. Besonders im Umfeld größerer Städte nehmen viele Menschen zum Teil sehr lange Arbeitswege in Kauf. Die Folgen sind bekannt: in den Stoßzeiten verstopfte Autobahnen und Zufahrtsstraßen, überfüllte Personenzüge, Lärm und Abgase in den Städten. 

Die aktuellen Wahlprogramme (fast) sämtlicher Parteien strotzen nur so von Forderungen nach einer „Verkehrswende“. Die deutsche Politik bemüht sich darum seit Jahr und Tag: Weniger Benziner und Dieselfahrzeuge und mehr Elektroautos, Stärkung der Schiene, bessere Vernetzung der einzelnen Verkehrsmittel. Denn ohne einen entscheidenden Beitrag des Verkehrssektor können die mittel- und langfristig verschärften Klimaziele nicht erreicht werden.

Die Bundesregierung hat den Weg Deutschlands zu Klimaneutralität bis Mitte des Jahrhunderts im Klimaschutzgesetz verankert. Demnach soll der Ausstoß von Treibhausgasen wie CO2 in Europas größter Volkswirtschaft bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 verringert werden, bis 2040 um mindestens 88 Prozent. 2045 will Deutschland Klimaneutralität erreichen, also nur noch so viele Treibhausgase ausstoßen, wie wieder gebunden werden können.

Um einen Anreiz für einen Umstieg auf klimafreundliche Alternativen zu setzen, hat die Politik seit 2010 verstärkt auf Elektromobilität gesetzt und zu Jahresbeginn 2021 einen CO2-Preis im Verkehr eingeführt. Die Folge: Sprit ist teurer geworden. Im Gegenzug wurde die Pendlerpauschale für Arbeitnehmer mit längeren Fahrwegen erhöht. Die politische Strategie ist klar: Der CO2-Preis muss steigen. So soll der Preis für klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) in den kommenden Jahren schrittweise steigen, in der nicht ganz falschen Annahme: Was teurer wird, wird auch weniger verbraucht.  

Das tut dem Pendler aber weh! Längst ist daher im Gegenzug eine Debatte darüber entbrannt, ob es eine „Spritpreisbremse“ geben muss – denn Millionen Pendler sind auch Millionen Wähler. Und sie sollen entlastet werden, so fordert es die Union. In einem „Sofortprogramm“ der CDU heißt es: „Eine höhere Pendlerpauschale soll Mobilität auf dem Land bezahlbar halten.“ Was nichts anders ist als: rechte Tasche –linke Tasche. Wasch mir den CO2-Pelz, aber mach mich nicht nass.

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In ihren Wahlprogrammen sprechen sich daher „Wähler schonend“ die meisten Parteien dafür aus, den öffentlichen Nahverkehr deutlich auszubauen. Die SPD will eine „Mobilitätsgarantie“: Jeder Bürger – in der Stadt und auf dem Land – soll einen wohnortnahen Anschluss an den öffentlichen Verkehr haben. Nur: Der Ausbau von Bussen und Bahnen gerade auf dem Land dauert Jahre und kostet Milliarden. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) kam laut Automobilwoche in einem Ende August veröffentlichten Gutachten zu dem Schluss, dass Nahverkehrsunternehmen in Deutschland bis zum Jahr 2030 etwa 48 Milliarden Euro zusätzlich benötigen, um die EU-Klimaziele zu erreichen. Geld zur Sanierung der ÖPNV-Bestandsflotte, nicht zusätzliche Mittel für mehr Busse und Bahnen!

Um die von der Bundesregierung vorgegebene Senkung des CO2-Ausstoßes zu schaffen, müsste dem VDV-Gutachten zufolge das Angebot an Bus- und Bahnverkehren in den Städten und auf dem Land um ein Viertel ausgebaut werden. Dadurch würden die Kosten bis zum Ende des Jahrzehnts um 89 Prozent gegenüber 2018 steigen. Dazu kommen gerade in Großstädten der Ausbau von Radwegen und eine Debatte etwa darüber, Parkraum für Autos zu verteuern. 

Um die Klimaziele zu schaffen, müssen für  deutlich mehr Elektroautos der Aufbau eines kundenfreundlichen und flächendeckenden Ladesäulennetzes beschleunigt werden. Und vor allem brauchen die Elektroautos „grünen“ Strom, keinen Kohlestrom. Davon kann bis jetzt und auf absehbare Zeit keine Rede sein. 

Langsam aber sicher dämmert es sogar in den Köpfen der Politik, dass ohne synthetische Treibstoffe sich die Klimaziele im Verkehr nicht realisieren lassen – nicht nur in Deutschland sondern auch bei den 1,6 Milliarden Automobilen rund um den Globus.

Wer auch immer nach der Wahl am 26. September die künftige Bundesregierung stellen wird: Die Verkehrswende erfordert mutige strukturelle Entscheidungen in der Verkehrs- und Energiepolitik. Ein Stopp der Stilllegungen der deutschen AKWs könnte dazugehören.

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