Tichys Einblick
Klar ist nichts

Türkei, Putsch und Medien

Wer wissen will, was in der Türkei los ist, muss Medien außerhalb Deutschlands konsultieren.

Screenshot ARD

Was deutsche Medien heute früh melden, gibt wieder, was in englischsprachigen Stunden vorher zu sehen war. Noch dazu ist Wochenende. Europa schläft. Nur BBC auf der Insel nicht. Provinz Europa ist die Assoziation.

Bei CNN sieht man, dass sich türkische Soldaten auf einer der Bosporus-Brücken in Istanbul zivilen Erdogan-Anhängern ergeben, dass Zivilisten zuvor einen Panzer mit nicht viel mehr als ihren Fäusten einnahmen.

In Wien demonstrieren nach Mitternacht 4.000 Türken vor der Botschaft ihres Landes. Massives Polizeiaufgebot. Die Demo verläuft friedlich. Dort wie in Istanbul wird sehr deutlich, dass Erdogans Anhänger seinem Aufruf über iPhone, sich gegen die Putschisten zu stellen, Folge leisten.

Deutsche Medien wie die WELT berichten gestützt auf nichtdeutsche. Aus eigenen Quellen stammt die Mitteilung, dass sich die Bundesregierung hinter die Regierung Erdogan stellt. Und dass das die EU und Obama auch tun.

Um 21 Uhr schaltet Phoenix die Berichterstattung ab; ARD und ZDF sind ohnehin schon im Wochenendmodus. Twitter entfaltet eine ungeheure Wucht: Es ist wie ein Live-Ticker, der breit und bunt berichtet: Agenturen, Augenzeugen, im Minutentakt formt sich ein Bild. Täuschungsversuche werden offensichtlich. Analysen nehmen vieles vorweg, was uns weiter beschäftigten wird:

Im Internet kursieren Spekulationen über Erdogans „Reichstagsbrand“, wonach er von den Putschplänen wusste und sie geschehen ließ (manche sagen inszenierte), um seine Pläne von der absoluten Macht durchzusetzen.

Nicht erst, wenn es militärisch ernst wird, sind die USA gefragt (oder Russland). Schon bei den Medien hat Europa keine eigenen Ressourcen über den Kontinent hinaus. Wie auch immer sich die Dinge in der Türkei entwickeln, danach hat Erdogan mehr Macht als bisher und setzt seinen Kurs kulturell weg von Europa fort. Für die EU kann das den Vorteil haben, dass Erdogan die Grenzen tatsächlich dicht machen kann – allerdings um den Preis, dass sie praktisch alle Bedingungen erfüllen muss, die er schon gestellt hat und noch stellen wird.