Tichys Einblick
Demokratieverdrossenheit droht

Thüringen: Lauter Scherben 

Nach dem Demokratie-Desaster von Erfurt durch die „Korrektur“ einer Wahl liegen viele Scherben herum - in Berlin und im ganzen Land. Eine archäologische Katalogisierung der Scherben.

Carsten Koala, Jens Schlüter via AFP/Getty Images

Kleine Ursache, große Wirkung, starke Worte: „Dammbruch“, „Tabubruch“, „Zeitenwende“, „der Fachismus marschiert“, „der Putsch steht vor der Tür“ – kein Wort war zu groß für den Mini-Landtag im Zwergenstaat Thüringen. Am Ende wird es in Erfurt schon irgendwie weitergehen; ist ja auch weitgehend egal, wer da auf dicke Hose macht. Der Schaden ist woanders entstanden – bei denen, die sich eingemischt haben, bei den Besserwissern, den Großpolitikern. Jetzt liegen die Scherben herum, das Geschirr ist zerdeppert. Das sind die Opfer.

1. FDP – s`isch over.

In der Not führt der Mittelweg in den Tod, in diesem Fall zum Ende der FDP. Die Linken mögen die FDP nicht, weil sie frech geworden ist und nach der Macht gegriffen hat – wenn auch nur mit einem kleinen Händchen. Die Konservativen und Liberalen werfen Christian Lindner vor, dass er vor der Macht weggelaufen ist. Es sei nie beabsichtigt gewesen, ein Amt auszuüben, an das man auch mit AfD-Stimmen kam, hat er in seiner Pressekonferenz erklärt. Ja, wenn er die Macht nicht will, warum soll man dann die FDP wählen? Vielleicht korrigiert die FDP nicht nur das Wahlergebnis in Thüringen, sondern auch gleich die Wahlen in Hamburg. Warum antreten, wenn man Angst vor dem Amt hat? Dazu kommt: Die FDP-Führung hat die Kritik einfach nachgeplappert, die ihr die LINKE vorgeredet hat. Statt stolz darauf zu sein, dass ein liberaler Ministerpräsident die SED-Nachfolger von der Macht fern hält, hat Lindner auf eine eigene Kommunikationslinie verzichtet. Ein Kommunikationsdesaster, das in die Lehrbücher eingehen wird. Daher: Isch over, Christian Lindner.

2. Annegret Kramp-Karrenbauer: Zur Gretl gemacht

Annegret Kramp-Karrenbauer hat geredet und verhandelt, und am Ende hat ihr die dezimierte Landtagsfraktion der CDU in Erfurt nicht einmal bei der Forderung nach Neuwahlen nachgegeben. Hilflos turnte sie herum – und dann sprach Merkel ein Machtwort aus dem fernen Südafrika. Das ist die Bundeskanzlerin, nicht die Parteivorsitzende. Ach ja, haben wir gar nicht so auf dem Schirm. Kramp-Karrenbauer ist nur die Gretl, keine Greta: bedeutungslos, hilflos, überfordert, zur Seite geschoben. Daher: Zurück ins Saarland, gehe nicht über Los, ziehe nicht 4.000 € ein.

3. Die CDU: Blockpartei, schmelzend

Helmut Kohl pflegte zu sagen: Entscheidend ist, was hinten dabei rauskommt. Dort kommt Bodo Ramelow als Ministerpräsident heraus, letztlich mit Hilfe der CDU, die einen bürgerlichen Ministerpräsidenten wählte, und ihn dann auf Kommando von Merkel hat fallen lassen. Sie hat keine Eigenständigkeit mehr. Sie hat sich selbst auf eine gehorsame Blockpartei reduziert, die macht, was DIE LINKE von ihr will. Jämmerlich. Blockschokolade – man kann beim Schmelzen zuschauen.

4. Die bürgerliche Mitte: futsch

AfD und Linkspartei haben bei der Landtagswahl zusammen 54,4 Prozent der Stimmen erreicht und also die Hufeisen-Mehrheit. Weil die LINKE notorisch schön geredet wird und die CDU den Kontakt zu ihren Wählern in der Garderobe des Kanzleramts vergessen hat. Erst die CDU, jetzt auch die FDP – Merkel wird als die große Zerstörerin der politischen Mitte in die Geschichte eingehen.

5. Die Demokratie: Lächerlich gemacht 

Es gibt Worte, die entfalten eine mörderische Wirkung. Merkels Wort vom Wahlergebnis, das zu korrigieren sei, ist so eines. Früher sprach man von drohender Politikverdrossenheit. Unter Merkel wächst sie sich zur Demokratieverdrossenheit aus. Gewählt wird, bis das Ergebnis stimmt – mit dieser Ableitung wird jetzt die Demokratie lächerlich gemacht. Marmor, Stein und Eisen bricht – nur Merkels Macht nicht. Der wird alles geopfert, zurück bleibt verbrannte Erde, eine immer tiefere Spaltung.

6. Vertrauen in den Rechtsstaat: erodiert

Wir haben eine Nacht hinter uns, in der die Familie des gewählten Ministerpräsidenten sofort bedroht wurde, die Kinder Polizeischutz erhalten mussten, Demonstranten an allen Ecken und Enden aufmarschierten und ihnen Bahn gelassen wurde. Merke: Wenn es nicht so läuft, wie links es will, droht umgehend Gewalt und der Mob marschiert. Die Polizei? Jammert wegen der Überstunden. 

7. Viele kleine Scherben

Thomas Kemmerich, Kurzzeit-Ministerpräsident: Hat gekämpft, hat nicht gereicht, ohne Rückendeckung wohl auch unmöglich. Empfehlung: Auswandern. Es soll in Neuseeland schön sein.

Mike Mohring, CDU-Häuptling in Erfurt. Wir empfehlen die Übernahme eines Geflügelhofs. Herumeiern kann er.

Bodo Ramelow: Hat das Desaster verursacht, weil er zu siegessicher war und am Sessel klebt. Mit einer personellen Alternative hätte seine Koalition Zustimmung erhalten. Aber Bodo Ramelow ist ein Glückskind. Die CDU wird ihn auf den Thron heben, die Medien ihn bejubeln. Wenn das geschafft ist, kann er mit Merkel so richtig alles zu Scherben schlagen. Thüringen ist zu klein für einen richtig großen Kladderadatsch.

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