Tichys Einblick
Cancel Culture

Monty-Python-Komiker Terry Gilliam ist am Londoner Old Vic Theatre unerwünscht

Terry Gilliam findet zwar Harvey Weinstein grässlich, aber #MeToo nicht immer großartig. Außerdem wäre er lieber eine schwarze Lesbe »in transition«. Das war anscheinend zu viel für verletzliche Mitarbeiter eines alten Londoner Theaters, an dem einst auch Kevin Spacey wirkte.

Terry Gilliam und Michael Palin

IMAGO / Future Image International

Das Londoner Old Vic Theatre hat eine fest geplante Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Monty-Python-Star Terry Gilliam abgesagt – vermutlich wegen älterer Aussagen des Autors und Regisseurs, mit denen er Empfindlichkeiten der Mitarbeiter berührte. Gilliam wird nächstes Jahr also kein Musical des amerikanischen Komponisten Stephen Sondheim an dem Londoner Traditionstheater inszenieren, obwohl Sondheim sein Regiekonzept ausdrücklich gelobt hatte.

Von dem Prozess, der am Ende zur Trennung von Gilliam führte, erfährt man nur die äußeren Umrisse. Irgendwann nach der Ankündigung der Produktion im vergangenen Mai kam es zu einem Gespräch zwischen der Geschäftsführerin Kate Varah und einigen Mitarbeitern des Theaters. Später suchte man das Gespräch mit Terry Gilliam und seiner Co-Regisseurin Leah Hausman, um die »Kultur und Werte« des Theaters mit beiden zu besprechen. All das stellt die Theaterleitung als routinemäßiges Vorgehen dar. Das Ergebnis ist dennoch einschneidend: Eine Zusammenarbeit zwischen dem Haus und Terry Gilliam sollte nun nicht mehr möglich sein. Die Premiere des Musicals Into the Woods des Erfolgsautors Stephen Sondheim im nächsten April, für die bereits viele tausend Karten verkauft wurden, entfällt.

Into the Woods spinnt einige Märchen der Brüder Grimm weiter. Alle Figuren darin haben Wünsche, die sich nicht immer so erfüllen, wie sie es sich vorstellen. Das Stück endet mit dem Chor »Careful the things you say: Children will listen« – also: »Passt auf, was ihr sagt: Es hören Kinder zu«. Das könnte man ohne Weiteres auf den heutigen Zustand der Öffentlichkeit im angelsächsischen Kulturraum beziehen. Überall lauschen verletzliche, eigensinnige Kinder mit und verbieten den Erwachsenen auf Schritt und Tritt das offene Wort.

Das schlechte Gewissen eines Kulturbetriebs

Und auch am Old Vic ist die Rede von »einzelnen Mitarbeitern«, die nicht mit den Ansichten von Terry Gilliam übereinstimmten. Am selben Old Vic war übrigens auch Kevin Spacey einst künstlerischer Direktor – bis er aufgrund von #MeToo-Vorwürfen gehen musste. 19 Mitarbeiter hatten sich über »unangemessenes« Verhalten von Spacey beklagt, nachdem sie zuvor lange wegen seiner »star power« geschwiegen hatten, so die Times. Das schlechte Gewissen eines Kulturbetriebs, der ähnliche Vorgänge lange gedeckt hat, dürfte eine zentrale Rolle bei den manischen Aufdeckungsversuchen spielen, die mit #MeToo begannen und inzwischen bei vielen Modethemen aufgehängt werden können.

Schriftsteller und Comedian Andrew Doyle sieht das ganze ›Theater‹ kritisch und weist darauf hin, das die Bühnen Londons durch die hier sichtbaren Entwicklungen ohnedies immer langweiliger werden.

Doyle sieht die Kulturszene des Landes von einer »engstirnigen, tadelsüchtigen Ideologie« in Beschlag genommen. Man suche nicht mehr nach dem Subversiven, Aufregenden, sondern fragt zuerst nach der »Botschaft«, die ein Stück aussendet, ob der Autor (zum Beispiel Shakespeare) vielleicht ein misogyner Rassist war, und bemüht sich dann, den eigenen Standpunkt möglichst breitflächig über das Stück – oder was von ihm übrig geblieben ist – dem immer weniger geneigten Publikum mitzuteilen. Heraus kommt bei der Operation eine kraftlose, geradezu anästhesierte Version von Theater. Für Doyle ist das so etwas wie »staatlich genehmigte Kunst«.

Klar ist: Was Gilliam als prominentem Mitarbeiter passiert ist, kann umso leichter jedem einfachen Mitarbeiter passieren. Das erklärt einen Gutteil von Geist und Stimmung in diesen Einrichtungen. Doch was könnte der wirklich wahre Grund für dieses neue Cancel-Stück rund um eine Theaterpremiere gewesen sein? Vermutungen gehen dahin, dass es um verschiedene Interview-Äußerungen geht, die Gilliam in der Vergangenheit, zum Teil schon vor Jahren, tat. Mit ihnen könnte sich Gilliam mehrfach für die Absetzung qualifiziert haben.

Gilliam ist ein alter weißer Mann und schämt sich nicht dafür

Es war im Sommer 2018. Gilliam war beim Filmfestival im tschechischen Karlsbad zu Besuch, als ihn jemand fragte, wie Monty Python wohl heute aussehen würde. Es könnten ja nicht wieder »sechs weiße Oxbridge-Kerle« sein. Gilliam erwiderte, dass ihn die Frage und die dahinterstehende Vorstellung zu Tränen gerührt habe und im Übrigen »bullshit« sei. Er habe keine Lust mehr, ein weißer Mann zu sein und für alles Schlechte in der Welt verantwortlich gemacht zu werden. Ab sofort sei er eine BLT, »a black lesbian in transition«. Letztes Jahr wollte Gilliam gegenüber dem Independent nicht einsehen, warum sich Menschen darüber aufregten, wenn er so etwas sagt.

Daneben ist Gilliam ziemlich illusionslos, was das menschliche Spiel um Macht und Anerkennung anbetrifft. Im letzten Januar beschrieb er die #MeToo-Bewegung als »Hexenjagd«. Er drückte dabei zwar Abscheu über Harvey Weinstein aus, hielt aber zugleich fest, dass auch durchweg oder halbwegs anständige Menschen von der Kampagne ergriffen und vernichtet worden seien. »Das ist falsch. Ich mag keine Mob-Mentalität.« Und trotz allem Mitgefühl für Weinsteins Opfer bemerkte er, dass Hollywood »voller ehrgeiziger Menschen« ist, die erwachsen sind und selbst entscheiden könnten, was sie tun. Mit anderen Worten: Einige von Weinsteins Opfern wussten sehr gut, was sie taten. Gilliam könnte angeben, wer hier in welche Kategorie gehört.

Die LGBT- und Trans-Gemeinde mit Humor herausgefordert

Hinzu kommen Gilliams LGBT- und transident-kritischen Töne, die schon anklangen. So unterstützt er beispielsweise auch den Comedian Dave Chapelle, dem er soziales Bewusstsein ebenso attestiert wie, dass er »gefährlich provokativ« und auf herzzerreißende Weise witzig sei. Chappelles Witze zur LGBT-Bewegung haben zu einem Mitarbeiterprotest bei Netflix geführt. Er gilt, natürlich, als transphob. Die Mitarbeiter, die seinetwegen streikten, nennen sich »Team Trans« und fordern mehr »intersektionelle« Inhalte (das sind die mit Sternchen) von Netflix.

Es gab allerdings auch Gegendemonstranten, die Plakate hochhielten, auf denen stand: »Gender ist kein Faktum. Macht euch kundig.« Das ist der grundlegendste Einwand gegen die Aufkündigung der Zusammenarbeit mit Gilliam. Denn was er artikuliert, ist einfach der Blick breiter Bevölkerungsschichten und namhafter Wissenschaftler auf die genannten Themen.

In der nahen Zukunft will übrigens Monty-Python-Kollege John Cleese das Phänomen Cancel Culture in einer Serie auf Channel 4 erkunden und herausfinden, warum die Generation der jungen Woken versucht, die Regeln für alle neu zu schreiben. Der Spectator fordert die Absage an Gilliam zurückzunehmen: »Es wird Zeit, dass wir gegen die Tyrannei verwilderter Kinder aufstehen.«

Gegen die Streichung von Gilliams Namen aus dem Theaterprogramm sprach sich Laurence Fox, Ex-TV-Detektiv und Gründer der Reclaim Party, aus. Die Gesellschaft werde zerstört, um eine winzige Minderheit zu befriedigen, die sich ohnehin niemals zufriedengeben werde. Die von Spectator-Mitherausgeber Toby Young gegründete Free Speech Union fragte derweil: »Warum hat das Old Vic Theatre den Forderungen nachgegeben? Müssen künstlerische Gäste in allen politischen Fragen mit den festen Mitarbeitern übereinstimmen oder gilt das nur für Trans-Themen?« Das Online-Magazin Spiked sprach von der Wiederkehr der »schwarzen Listen« wie einst unter dem US-Senator McCarthy – allerdings heute mit umgekehrtem Vorzeichen.

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