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Tauchboot Titan: Unglück mit Ansage

Das U-Boot "Titan", das Touristen zum Wrack der Titanic bringen sollte, ist verschollen. Bereits im letzten Jahr stand das kleine Tauchboot in der Kritik: Einige Konstruktionstechniken sind ungewöhnlich, andere wirken geradezu improvisiert.

IMAGO / ANP

Für weltweite Schlagzeilen sorgte das verschollene kleine Tauchboot Titan, das vor der nordamerikanischen Küste mit fünf Personen an Bord zu dem Wrack der Titanic tauchen wollte. Noch besteht die Hoffnung auf Rettung; vernommene Klopfzeichen und theoretische Sauerstoffreserven lassen auf eine rechtzeitige Bergung hoffen. Doch die Zeit wird knapp, die Rettung ist praktisch sehr schwer darzustellen. Das Wrack der Titanic liegt in 3.800 Metern Tiefe.

So tief kann kein normales U-Boot tauchen: Auch militärische U-Boote könnten es nicht erreichen, wenn es am Meeresgrund liegen sollte. Rettungs-U-Boote sind selten und ob sie für diese Tiefe geeignet sind, ist fraglich. Außerdem befindet sich keines in der Nähe. Das Rettungs-U-Boot der US-Navy soll zum Beispiel bei Florida liegen. Diese Tiefe ist normalerweise hochspezialisierten wissenschaftlichen U-Booten vorbehalten.

Stockton Rush, CEO des Unternehmens OceanGate Expeditions, welches das Tauchboot betreibt, hatte vor einigen Jahren noch verkündet: Die Titan sei „so ziemlich unverwundbar“. Die Ironie, dass das selbe einst über die Titanic gesagt wurde, geht auch an ihm nicht vorbei:

CBS News: Sie glauben, dass die Zyclop 2 (Typenname) so ziemlich unverwundbar ist?
Stockton Rush: Wenn wir fertig getestet haben, glaube ich dass sie so ziemlich unverwundbar ist.
CBS News: „Und das ist, was man über die Titanic sagte?“
Rush: „Das ist richtig, Und ich werde auf all die frühen Tauchgänge gehen und meinen Worten Taten folgen lassen.“

Selbst wenn die Titan gefunden wird und erreicht werden kann: Wie soll die Rettung vonstatten gehen? Die Titan hat keine Luken, über die man die Besatzung retten kann, selbst wenn ein Rettungs-U-Boot die Titan erreicht. Das Boot wurde vor dem Absenken von außen mit Bolzen verschlossen. Eine Bergung der Titan ist schwer zu realisieren: In der Tiefe können Schwimmkörper nicht eingesetzt werden, sagte der Tauchboot-Pilot Jürgen Schauer der Wirtschaftswoche. Eine Rettung hält er für fast unmöglich, sollte die Titan unter Wasser festsitzen. Jürgen Schauer entwickelte das Forschungstauchboot JAGO mit. Er vermutet die Tauchkapsel am Meeresgrund: „Meines Wissens wurde aus so einer Tiefe noch nie etwas Größeres geborgen“. Ein Heben mittels anderer U-Boote scheint unmöglich, sind sie nicht für einen Mehrtonner der Größe eines Lieferwagens ausgelegt.

Selbst wenn das Tauchboot nicht unter Wasser liegt, sondern an der Oberfläche abgetrieben wäre: Mit der Außenwelt kann offensichtlich nicht kommuniziert werden. Die Sauerstoffreserven sind nach wie vor begrenzt, denn es gibt keine Luke, über die frische Luft hinzugeholt werden kann.

Ocean Gate Expeditions hat am Mittwochnachmittag bekanntgegeben, dass noch 24 Stunden Luft im verschollenen U-Boot verfügbar sein sollten – und dass im Suchgebiet nicht näher beschriebene Töne emittiert wurden:

Die Titan ist nicht das einzige Tauchboot, das Touristen eine Expedition zur Titanic anbietet, und es ist nicht der erste Tauchgang, den das Tauchboot zur Titanic absolvierte. Es gibt mehrere Anbieter für solche Tauchgänge, die sich teils als wissenschaftliche Expeditionen mit zahlenden Sponsoren darstellen. Doch am Ende sind es alles touristische Safaris in die Tiefe des Atlantiks. Sie alle sind sehr gefährlich, auch wenn dieser Fall möglicherweise der erste für Touristen tödliche Tauchgang sein sollte. An Bord befinden sich fünf Personen, darunter Stockton Rush, der CEO von OceanGate Expeditions und der brittische Milliardär Hamish Harding. Harding war bereits auf anderen Extremexpeditionen. Er flog mit einer Rakete des Unternehmens „Blue Origin“ in den Weltraum und hält einen Weltrekord für seinen Tauchgang in den Mariannengraben auf 11.000 Metern Tiefe. Außerdem an Bord sind der britisch-pakistansische Unternehmer Shahzada Dawood und sein Sohn Suleman sowie Paul-Henri Nargeolet. Er leitete bereits mehrere Expeditionen zur Titanic, die mehr als 5.000 Artefakte der Passagiere bargen. 2019 sagte er in einem Interview mit der Tageszeitung „The Irish Examiner“: „Ob man elf Meter oder elf Kilometer weit unten ist – wenn etwas Schlimmes passiert, ist das Ergebnis das gleiche. Wenn man so tief im Wasser ist, ist man tot, bevor man merkt, dass etwas passiert ist – das ist also kein Problem“

Die Nachricht, dass die Technik der Tauchkapsel mit einem Videospielcontroller von Logitech gesteuert wurde – also mit Unterhaltungselektronik, sorgte bei vielen Beobachtern für Unverständnis und billigen Spott und Häme. Rush argumentierte in der Vergangenheit, solche Controller seien robust, einfach zu bedienen und leicht zu ersetzen: Bei einem Tauchgang würde er einfach mehrere als Ersatz mitnehmen. Der Pilot navigiert das Tauchbot blind nach den Anweisungen des Teams an der Oberfläche. Gravierender sind jedoch andere Bautechniken an der Kapsel. So besteht der zylinderartige Körper der Tauchkapsel aus einem Karbonfaserverbundmaterial, der an beiden Enden mit einer Titan-Halbkugel abgeschlossen wird.

Die Wahl der Materialien ist ungewöhnlich: Das Karbonmaterial eignet sich gut für Druckbehälter – wie zum Beispiel Sauerstoffflaschen, da es Zugkräften gut wiederstehen könne, so Jürgen Schauer. Als Material für einen Körper, der hohen Druck aushalten müssen – wie eben ein U-Boot, das einen Wasserdruck aushalten muss, der mehr als 340 mal so hoch ist wie an der Oberfläche. In einem Bericht des US-Fernsehsenders CBS vom vergangenen Jahr stellte Stockton Rush sein U-Boot vor und war sichtlich stolz auf die improvisierte Technik, die darin verbaut ist: Lampen aus dem Baumarkt, als Ballast dienten zum Teil alte Stahlrohre. Andere Medien berichten davon, dass die Funkeinheit aus zweiter Hand bei Ebay gekauft wurde. Trotzdem soll das U-Boot über sieben verschiedene Systeme zum Auftauchen verfügt haben.

Rush antwortete in diesem Bericht auf die Bemerkung, dass U-Boot wirke „zusammengeschustert“:

“I don’t know if I’d use that description of it. But there’s certain things that you want to be buttoned down, so the pressure vessel is not MacGyvered at all because that’s where we work with Boeing, and NASA, and the University of Washington. Everything else can fail — your thrusters can go, your lights can go — you’re still going to be safe.“
„So würde ich es, denke ich, nicht beschreiben. Aber es gibt Teile, die richtig gut funktionieren müssen, desswegen ist der Druckkörper nicht zusammengeschustert sondern wir haben da mit Boeing, NASA und der Universität Washington zusammengearbeitet. Alles andere kann ausfallen – der Antrieb kann ausfallen, das Licht kann ausfallen – aber Sie sind trotzdem sicher“.
Doch bereits während der Tauchgänge, die der Journalist David Pogue mit der Titan beobachtete, brach die Verbindung zum Mutterschiff in einem Fall für drei Stunden ab.

Trotzdem wurde das U-Boot nie von außenstehenden Prüfern zertifiziert. Es gibt keine Pflicht zu einer solchen Zertifizierung, sie ist aber gängige Praxis. Bereits 2018 protestierten Experten aus dem U-Boot-Bau gegen die Entscheidung des Unternehmens, die Titan nicht durch externe Prüfer zertifizieren zu lassen. Die New York Times dokumentierte diesen Brief. Die Prüfer warnten vor möglichen „schlechten Ereignissen (klein bis katastrophal)“. Noch 2018 war die Sichtluke der Titan nur für eine Tauchtiefe von 1.300 Metern zertifiziert, wie aus Gerichtsdokumenten hervorgeht.

Ein Vergleich mit einem anderen tödlichen Abenteuer für zahlungskräftige Kunden drängt sich auf: Expeditionen auf den Mount Everest. Für rund 40.000 Euro ist es möglich, den höchsten Berg der Welt zu erklimmen oder genauer: durch einen Bergführer der Sherpa erklimmen zu lassen. Wo der erfolgreiche Tauchgang eine technische Meisterleistung des ausrichtenden Unternehmens ist, ist die Himalaya-Expedition eher eine logistische. Und eine sportliche für den Bergsteiger, trotz vorbereiteter Basecamps und helfender Sherpas. Diese Extremerfahrung haben in dieser Saison bereits 600 Menschen gewagt, von denen 12 leblos gefunden wurden, fünf weitere werden vermisst. Drei Prozent Todesrate. In 20 Jahren Afghanistaneinsatz waren laut Bundeswehr 93.000 Soldaten im Einsatz. 53 von ihnen starben dort. Eine Todesrate von 0,06 Prozent.

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