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Nach Aussagen zu Russland

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert verlässt Twitter

Kevin Kühnert hat vorläufig Twitter verlassen. Das soziale Netzwerk hatte seinen Aufstieg zum Generalsekretär der SPD begleitet. Kühnert begründet den Schritt mit tiefen philosophischen Gedanken – es könnte aber auch schlicht eine Flucht sein.

IMAGO / Wolfgang Maria Weber

Twitter war für Kevin Kühnert wie ein Tagebuch. Ihm vertraute der Studienabbrecher seine tiefsten Gedanken und Nöte an. Etwa, dass er in Berlin keine Wohnung findet. Für seine Fans war das ein Mahnmal für die Wohnungsnot in der Bundeshauptstadt. Für andere nachvollziehbar, weil sie ihm als Vermieter auch keine Wohnung überlassen hätten. Wie sie wiederum auf Twitter schrieben.

Böses Twitter. Ganz böse. Das hat jetzt auch Kühnert erkannt. Er hat seinen Account stummgeschaltet. Im RND veröffentlichte er daraufhin die sozialdemokratische Sicht: Twitter repräsentiere die Welt nicht oder nicht richtig. Es führe zu „Fehlschlüssen und Irrtümern in politischen Entscheidungen“. Was Kühnert zu dem Fazit bringt: „Das scheint für meine politische Arbeit gerade nicht das richtige Medium zum Senden und Empfangen zu sein.“ Worte, wie sie Sozialdemokraten mögen: Worte, die den Schritt eines Einzelnen, in den welthistorischen Kontext stellen. Mindestens.

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Nun gibt es aber auch noch einen anderen möglichen Grund, warum sich Kühnert selbst stummschaltet auf dem Sprachrohr, mit dem er einst selbst so erfolgreich für „Fehlschlüsse“ und „Irrtümer in politischen Entscheidungen“ gesorgt hat: nämlich, dass Kühnert einfach geflohen ist. Dass er sich selbst davor schützt, seine politische Karriere durch weitere Aussagen zu ruinieren. Ist doch diese Karriere um ein Vielfaches erfolgreicher gelaufen als seine Ausbildung.

Dabei hatte sich Kühnert gar nicht im sozialen Netzwerk um Kopf und Kragen geredet. Sondern auf NTV. Er sei gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Soweit eine Meinung. Doch seine Begründung war problematisch: Die Lieferungen könnten dazu führen, dass Russland künftig „völlig irrational“ handele und „noch ganz andere Staaten“ angreife. Das bedeutet im Umkehrschluss: Der russische Angriff auf die Ukraine sei nur ein bisschen irrational und ein noch hinnehmbarer Verstoß gegen das Völkerrecht.

Nun bekam Kühnert Gegenwind. Allen voran vom ehemaligen Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk. Dann von vielen anderen. Doch die Zeiten, in denen sich Kühnert hauptberuflich Kundenbeschwerden anhören musste, sind vorbei. Als Sozialdemokrat zieht er sich zurück in dem Wissen, dass man es in Deutschland mit dem Kommunikationstalent eines Olaf Scholz‘ sogar bis zum Bundeskanzler schaffen kann. Und um sich dabei nicht wie ein Feigling auf der Flucht zu fühlen, kann der SPD-Generalsekretär ja weiter über „Fehlschlüsse“ und „Irrtümer in politischen Entscheidungen“ philosophieren. Das findet seine Abnehmer – mindestens mal im RND. Wenn er den Account wieder öffnet, wird sich dann zusammen auch dafür eine Erklärung finden lassen.

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