Tichys Einblick
Demokratie und Meinungsfreiheit

Skandaluni Merseburg!

Rektor Kirbs der Universität Merseburg hatte sich scharf von dem Professor distanziert und juristische Schritte angedroht, weil dieser bei einer Eröffnungsfeier des Frauenhofer Instituts in Halle die Festrede Angela Merkels mit seiner Kritik an deren Einwanderungspolitik unterbrochen hatte. Nach anschwellendem Protest rudern die Politik und die Uni Merseburg schon wieder zurück. Ein hässlicher Nachgeschmack bleibt. Demokratie geht anders.

Die Universitätsleitung der Uni Merseburg in Sachsen-Anhalt hat sich dieser Tage auf eine ungebührliche, schändliche und juristisch wohl auch unhaltbare Weise von ihrem Protestprofessor Thomas Rödel distanziert.

Der Chemieprofessor Rödel war bei der Festrede Merkels zur Eröffnung eines neuen Fraunhofer Instituts in Halle am Montagabend spontan aufgestanden, hatte ein Plakat mit der Aufschrift: CDU- Keine Experimente“ hochgehalten, und hatte Merkels Festrede mit einem Zwischenruf unterbrochen. Er mache sich Sorgen um die Zukunft seiner Kinder: „Sie machen einen Versuch und wissen nicht, wie das Experiment ausgeht Ich mache mir ernsthafte Sorgen. Von Ihnen als Physikerin erwarte ich verantwortungsvollere Entscheidungen“. Dann war der Professor aus dem Saal geleitet worden.

Der Rektor der Hochschule, Jörg Kirbs, distanzierte sich am Dienstag von der Art und Weise und dem Inhalt des Auftrittes mit diesen Wörtern: „Die Hochschule wird dieses Verhalten aufarbeiten, wobei auch eventuelle juristische Schritte geprüft werden müssen.“ Und weiter:

„Die persönliche und private Einstellung zu politischen Fragen muss respektiert werden, auch wenn ich sie nicht teile. Der Professor war jedoch in seiner Eigenschaft als Angehöriger der Hochschule Merseburg und nicht als Privatperson zur Veranstaltung eingeladen. Sein Zwischenruf hatte weder etwas mit dem Anlass der Veranstaltung noch mit dem Inhalt der Rede der Bundeskanzlerin zu tun. Mit diesem Auftritt hat der Professor das Gastrecht des Fraunhofer-Instituts missbraucht und dem Ansehen der Hochschule enorm geschadet.“

Schön, dass sich der Herr Rektor der Merseburger Uni um die Gastgeberrechte des neu gegründeten Fraunhofer-Instituts in Halle so sehr sorgt.

Merkel ist auf Wahlkampftour in Sachsen-Anhalt

Meinungsfreiheit ist Grundrecht. Die Meinungsfreiheit hat in Deutschland Verfassungsstatus. Klar, Merkel ist auf Wahlkampftour in Sachsen-Anhalt, wo am 13. März Landtagswahlen sind. Auch dort hat der Countdown, auch der Kanzlerpartei, die wegen ihrer Einwanderungspolitik Stimmenverluste zu befürchten hat, auf den Wahltag begonnen. Immerhin, es ist bereits ihr fünfter Besuch in Sachsen-Anhalt in zeitlich verdichteter Folge, wie es der MDR zu Recht hervorhob.

Klarzustellen bleibt: Ausnahmslos alles, was Merkel zum Fenster herausredet oder beredt zu erwähnen unterlässt, ist, solange sie Kanzlerin ist, politisch. Merkels politisches Zentralthema ist die Einwanderungspolitik. Zu der liefert sie bekanntlich keine Substanz. Aber aus ihrem Mund sind die wenigen kurzen Statements wie „Wir schaffen das“ oder ihre Antwort an den Chemieprofessor in Halle: „Ok. Vielen Dank. Ich werde meiner Verantwortung gerecht und werde auf alles achten, so dass Deutschland eine gute Zukunft hat.“ stereotyp und häufig zu hören.

Wenn Merkel eine kleine Eröffnungsrede, vorliegend eines Franhofer-Instituts, kurzfristig in ihre politische Bühne verwandelt und belangloses Zeug zur wirtschaftsnahen Erforschung neuer Werkstoffe zum Besten gibt, dann heißt das bei einigermaßen verständiger Bewertung, dass Merkel vorallem die Botschaft sendet: Ich sage nichts zur Einwanderungspolitik, weil ich meine Einwanderungspolitik de facto so laufen lassen will, wie sie läuft. Und sie sendet zugleich die Botschaft: Ob die Dinge in der Bundesrepublik aus dem Ruder laufen oder nicht, ist mir gleichgültig.

Diese Auslegung hat jedenfalls alles für und nichts gegen sich. Festreden (Festschriften) sind geradezu der klassische Ort, an dem die Festredner, gleich welcher Profession, neue Ideen, neue Grundsätze und oft, notdürftig zum Anlass „verlinkt“, eigene Interessen vertreten. Man denke an die berühmten Festschriften der berühmten Juristen, die in der Jurisprudenz noch jahrzehntelang zitiert werden.

Natürlich mißbrauchen Politiker Festakte regelmäßig für ihre politischen Ziele und das ist eine geduldete Praxis und mehr noch, das hat lange Tradition. Merkel soll ja auf dem Festakt auch nur kraft ihres politischen Amtes öffentliche Aufmerksamkeit liefern. In ihrer Rede hat sie auch keinen Mindestbeitrag zu der weithin gequälten Floskel von der Wertschöpfungskette, von der Rohstoffmine im tiefen Boden über die nanotechnologische Veredelung der Werkstoffe bis zum fertigen, von der regionalen Wirtschaft hergestellten und vermarkteten Produkt beigetragen.

Kann Merkel auch nicht. Sie ist Physikerin auf dem technisch-wissenschaftlichen Stand der untergegangenen DDR. Sie hat bestimmt viel Verständnis und Interesse für die Materie, aber einen zielführenden Beitrag zur Nanotechnologie 2016 ff. hat sie in ihrem kurzen festlichen Statement in Halle nicht liefern können. Lange Rede, kurzer Sinn: Merkels Statement war Politik pur, aufgeladen von persönlichem Kanzlerinteresse und nolens volens auch parteipolitischem Interesse der CDU.

Merkels Statement war Politik pur, aufgeladen von persönlichem Kanzlerinteresse

Wie der beflissene Unirektor Jörg Kirbs, zu seiner nassforschen Behauptung kommt, Merkels Rede hätte nichts mit Politik zu tun, muss sein Geheimnis bleiben. Wo ein Bundeskanzler politisch redet, da will es die Meinungsfreiheit des Grundgesetzes, dass jeder Bürger den Kanzler inflagranti öffentlich vernehmbar, demonstrativ konfrontiert, allerdings möglichst nicht in Beate-Klarsfeld-Manier, die für ihre Kanzlerohrfeige 1969 bis heute so viele Lorbeeren einsammelt, dass viele sie gern auf dem Posten des Bundespräsidenten sähen.

Einschränkungen dieses Grundsatzes sind außerordentlich restriktiv zu handhaben. Wenn die Universität oder öffentlich geförderte Wissenschaft zu Räumen werden, in denen devoter politischer Gehorsam Einzug halten, dann ist die Demokratie gefährdet. Das gilt umso mehr in einem öffentlichen Umfeld, in dem die Kanzlerpolitik aus allen Rohren von allen Rängen aus dem gesamten Establishment unreflektiert und jeder Reflexionsmöglichkeit entzogen durchgepowert wird und in dem es de facto keine anerkannte Opposition gibt. Jede Opposition, die sich dennoch formiert, erleidet in dieser Zeit das Schicksal, an den rechten Tellerrand entsorgt oder über das Kuckucksnest hinausgeworfen zu werden.

Merkel freut sich natürlich über jede Ablenkung und jeden „Urlaub“ von dem Thema, mit dem sie die Bundesrepublik und jeden einzelnen Bürger zur Zeit beschäftigt. Insofern war ihr Festauftritt, unter strikter Vermeidung des Themas, auch ein klares Statement zu ihrer missratenen Einwanderungspolitik, die sie ja rund um die Uhr weiterlaufen lässt, ohne irgendetwas aktiv zu gestalten. Das Thema Einwanderung ist mit Merkels Person aktuell so eng verbunden, dass dieses Hauptthema immer im Vordergrund steht, wo sie auch auftaucht. Aus der Falle kommt sie nicht raus und jeder sollte sich hüten, sie da raus zu lassen.

Merkels Einwanderungspolitik ist ohnehin eher eine Politik des Handelns durch Unterlassen, durch Laufenlassen. In so einer Situation die Behauptung aufzustellen, wie es Rektor Kirbs jetzt tat, dass der Protestprofessor Thomas Rödel das Thema verfehlt hätte, ist abwegig. Gibt Merkel ihre substanzlosen Floskeln zum Thema Einwanderung zum Besten, behandelt sie das Thema nicht mehr und nicht weniger, als wenn sie dieses Thema, das den Erwartungshorizont der gesamten Bevölkerung zumal vor den drei anstehenden Landtagswahlen ausfüllt, aktuell einmal totschweigt.

Die Distanzierung des Rektors insinuiert, dass der Chemieprofessor sich am Rande des Rechtsbruches bewegt hätte

Klar, die Festtagsgäste im Sonntagsstaat waren gewiss nicht in Realitätslaune, sondern eher im Champagnermodus und wollten nicht gestört werden. Das allerdings rechtfertigt nicht die Ruf- und Berufsschädigung in Kauf nehmende Attacke des Unirektors gegen den sich sorgenden Chemieprofessor und Vater:

Der Treibsatz, der in diesem Kontext in der Formulierung des Unirektors liegt, dass die Uni eventuell juristische Schritte gegen den Merkel-Unterbrecher einleiten könnte, enthält die Botschaft, dass der Chemieprofessor sich am Rande des Rechtsbruches oder gar einer Straftat bewegt hätte und gegebenenfalls aus der Uni entfernt gehörte. Allerdings: Mit solchen Insinuierungstechniken muss ein Unirektor vorsichtig und sehr restriktiv umgehen.

Auf die Frage, ob der nicht als privat, sondern als geladener Gast erschienene Chemieprofessor vom Thema, nämlich von der genannten Wertschöpfungskette abgewichen ist, kommt es wirklich nicht an. Auch die Kanzlerin hat dieses Thema nur pro forma bedient, ohne substanziellen Wert. Und ihre Wertschöpfungskette kann auch die Uni Merseburg und kann auch die regionale Wirtschaft vergessen, wenn politisch-gesellschaftliche Verwerfungen Platz greifen.

Wie glaubwürdig das politisch-korrekte Statement zu seiner politischen Haltung in Sachen Einwanderung auch immer sein mag. Tatsächlich sagt der oberste Uni-Vertreter, dass er die Einwanderungspolitik unterstützte. Das sagen viele und viele verweigern ihre Unterstützung. Das genau ist der aktuelle politische Diskurs oder, vielleicht besser, der politische Graben, den Merkel durch die Republik zieht.

Merkel bedankte sich bei dem Zwischenrufer

Merkel bedankte sich übrigens spontan bei dem Professor. Mag sein, dass sie es nicht so, wie sie es sagte, gemeint hat. Mag sein, dass sie ihren Dank ernst oder ganz im Gegenteil, bitterböse, sozusagen volle Kante ironisch gemeint hat. Nun ist Merkel verbal ziemlich platt und nicht sehr ironiefähig, aber hier könnte sie das Gegenteil von dem gemeint haben, was sie gesagt hat. Es ist wahrscheinlich, dass sie den Zwischenrufer abbürsten wollte und dass sie not amused war. Gelassen und souverän, wie sie die Medien gesehen haben wollen, war sie nicht. Und es zeugt von wenig Größe, dass Merkel offenbar zugelassen hat, dass die Veranstalter, also hoffentlich die Frauenhofer Gesellschaft den immerhin geladenen Zwischenrufer, hat, „abführen“ lassen. Immerhin der Zwischenrufer war mit seinem Zwischenruf fertig und machte keine Anstalten, tätlich zu werden oder sonst zu stören.

Souverän wäre es gewesen, wenn Merkel die eilfertigen Abführer an ihrem Tun gehindert hätte und dem Zwischenrufer die Möglichkeit angeboten hätte, ihr weiter zuzuhören und ihre Einwanderungspolitik vielleicht zu verstehen. Stattdessen verhielt sich die Kanzlerin so kleinkariert wie die Abführer und die Claqueure aus dem Publikum, die Merkels, wie gesagt, sehr kleinliches Statement gleich artig beklatschten.

Wenn Merkel und die Demokratie derlei Zwischenrufe nicht aushalten, die zu den Gummibärchen der gewalttätigen 68er-Bewegung gehört hätten, die das Recht der Meinungsfreiheit mit überbordender Kriminalität durchgesetzt haben will, dann Gute Nacht, Merkel, gute Nacht Deutschland.

Merkellager rudert zurück

Der extra angereiste Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt Reiner Haseloff … hat sich inzwischen mit diesem Statement in die Debatte eingeklinkt. „So ist Demokratie. Ab und zu gibt es da auch Zwischenrufe. Dafür sind wir schließlich auf die Straße gegangen“. Gemeint ist sicher die friedliche Revolution, die die Meinungsdiktatur der DDR beendete. Das ist ein klares Signal, dass das Merkellager inzwischen zurückrudert. Natürlich möchte das Merkellager jetzt, wo erste Solidarität mit dem Chemieprofessor aufkommt, am liebsten Torf und Mulch über die Sache streuen und am liebsten keine Diskussion auslösen. In der Sache stehen der Unirektor und Merkel klar auf verlorenem Posten. Merkel bleibt die politische Antwort und die Erklärung der Zukunft in Sachen ihrer Einwanderungspolitik schuldig und der Uni-Vormann ist zu eilfertig zu weit vorgeprescht.

Wissenschaftsminister des Wahllandes Sachsen-Anwalt, Hartmut Möllring (CDU) will ebenfalls nicht eingreifen: „Für schlechtes Benehmen ist jeder selbst verantwortlich(…) „Man muss sich manchmal wundern, wer alles einen Professorentitel bekommt.“

Die kurz über dem Professor schwebende Drohung einer Entlassung, für die dieser keinen Grund geliefert hat, ist offenbar schon wieder vom Tisch. Die böse Absicht der politisch korrekten Uniführung ist jedoch sichtbar geworden. Merkels kleinkarierte Reaktion bleibt ebenfalls festzuhalten. Kritik an einem Regierungschef ist in jeder Art und Weise und in jedem Härtegrad zulässig, solange die Kritik nicht die Grenze der Strafbarkeit überschreitet.