Tichys Einblick
Fall Nawalny

Schäuble hielt Brief der russischen Duma an den Bundestag zurück

Vertreter des russischen Parlamentes schrieben an die deutschen Abgeordneten zum Fall Alexei Nawalny. Die Parlamentarier in Berlin erfuhren davon nur durch Zufall.

imago Images/photothek

Im Fall des Anschlags auf den russischen Regierungskritiker Alexei Nawalny schrieben russische Duma-Abgeordnete am 24. September 2020 einen fraktionsübergreifenden Brief an den deutschen Bundestag, den sie – wie international üblich – an Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble richteten.

Zu den Unterzeichnern gehören der Vorsitzende des Ausschusses für Sicherheit und Korruptionsbekämpfung und Parlamentarier der Regierungspartei Einiges Russland, der Partei Gerechtes Russland, der Liberaldemokratischen und der Kommunistischen Partei. In ihrem Brief schlagen die russischen Abgeordneten eine gemeinsame Arbeitsgruppe des Bundestages und der Staatsduma vor, um den Fall Nawalny aufzuklären.

Von dem Schreiben erfuhren die Bundestagsabgeordneten allerdings zunächst nichts – denn Schäuble reichte den Brief nicht an sie weiter.

Die Existenz des Schreibens wurde zufällig publik, als Journalisten des russischen TV-Senders Telekanal Zvezda den AfD-Bundestagsabgeordneten Hansjörg Müller nach seiner Meinung dazu fragten. Müller konnte nur sagen, er kenne das Schreiben nicht. Er fand den Brief dann auf der Internetseite der Duma. Der Vorsitzende der deutsch-russischen Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag Robby Schlund (AfD) stellte auf Nachfrage fest, dass es nicht nur keine Weiterleitung durch Schäuble an die deutschen Abgeordneten, sondern auch keine Antwort durch den Bundestagspräsidenten an die Russen gegeben hatte.

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Die AfD-Fraktion wirft Schäuble vor, gegen „diplomatische Gepflogenheiten“ zu verstoßen, und Abgeordneten den Brief eines anderen Parlaments vorzuenthalten. Andere Bundestagsfraktionen äußerten sich zu dem Brief selbst – allerdings erst, nachdem die AfD nachgefragt hatte. „Völlig abwegig“ nannte der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Nils Schmid den Duma-Vorschlag für eine gemeinsame Kommission. Es sei Moskaus Aufgabe, die Vergiftung Nawalnys aufzuklären. Er habe allerdings „erhebliche Zweifel am Aufklärungswillen der russischen Seite“.

FDP-Außenpolitiker Bijan Djir-Sarai nannte das Schreiben einen „billigen Versuch, Mitglieder des Bundestages zu beeinflussen“. Wobei von Einfluss durch die Nichtweitergabe des Briefes ja zunächst keine Rede sein konnte.

Auch wenn es Gründe gibt, das Duma-Schreiben kritisch zu sehen – für die Aufklärung von Straftaten sind Ermittlungsbehörden zuständig, nicht Abgeordnete – bleibt es ein merkwürdiger Vorgang, dass ein Schreiben von einem Parlament zum anderen von dem adressierten Parlamentspräsidenten zurückgehalten wird. Wer immer eine antirussische Schlagseite in den öffentlichen Äußerungen von deutschen Spitzenpolitikern vermutet, kann sich bestätigt fühlen.

TE fragte Schäuble, wie er den russischen Brief bewerte – und bat ihn um Stellungnahme zu den Vorwürfen. Ein Sprecher antwortete: „Zur Korrespondenz des Präsidenten geben wir keine Erklärungen ab.“

Mehrere Tage nach der TE-Anfrage ergänzte eine Schäuble-Sprecherin dann, der Bundestagspräsident habe den Brief an den Auswärtigen Ausschuss weitergereicht – teilte aber nicht mit, wann.

TE dokumentiert das Schreiben im Original und der Übersetzung.

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