Tichys Einblick
Kulturell unverträglich

Saudis verweigern Schweigeminute für Terroropfer

Beim WM-Qualifikationsspiel Australien gegen Saudi-Arabien verweigerten die Gäste eine Gruppenaufstellung zur Gedenkminute für die Terroropfer von London - kein Einzelfall.

World Cup football Asian qualifying match between Australia and Saudi Arabia at the Adelaide Oval in Adelaide on June 8, 2017

© Brenton Edwards/AFP/Getty Images

Ach Quatsch, ist doch völlig egal. Sagen viele, wenn deutsche Fußballspieler der „Mannschaft“, das ist die, die vorher noch „Nationalmannschaft“ heißen durfte, die deutsche Nationalhymne nicht mitsingen, also die Hymne sollte die nun auch nicht mehr heißen dürfen, wie sie heißt. Wahrscheinlich aber wird demnächst sowieso nur noch „You’ll never walk alone!“ gesungen, dann braucht es vor den Länderspielen nur noch einen Song für beide Mannschaften bis zum Anpfiff.

In letzter Zeit immer häufiger folgt auf die gesungene oder eben nicht mitgesungene Hymne noch eine Schweigeminute für Terroropfer. Bei Schweigeminuten könnte man denken, kommen nun die Nichtmitsinger endlich zum Zuge.

Sie ahnen es bereits, es geht im Folgenden um saudi-arabische Fußballer, die uns auf besondere Weise vorgeführt haben, was wirklich zu halten ist von der Lauterkeit saudi-arabischer Anti-Terrorbekundungen, die ja nichts weiter sind, als der Versuch, den unliebsamen Konkurrenten und Iran-Freund Qatar aus der Allianz der schützenden Hand über dem Weltbösen zu verdammen, die schon viel zu lange über den Saudis selbst ruht.

Was war passiert? Anlässlich eines eigentlich läppischen WM-Qualifikationsspiels der Australier gegen die (National-)Mannschaft von Saudi-Arabien, das nach dem Abpfiff in Adelaide mit 3:2 für die Australier entschieden wurde, hatten die Gäste eine Gruppenaufstellung zur Gedenkminute für die Terroropfer von London verweigert und mehrheitlich unbeirrt ihr Aufwärmprogramm fortgeführt.

Oder begriffen sie einfach nicht, was da gerade vor sich geht? Eigentlich kaum vorstellbar, wenn man bedenkt, wie penibel solche Veranstaltungen auf internationaler Ebene organisiert werden. Dagegen spricht auch, dass zwei oder drei der saudi-arabischen Fußballspieler immerhin ihre Arme hinter dem Rücken verschränkten, während die Kollegen weiter Dehnübungen machten.

Irritation oder Eklat – auf jeden Fall ein Statement zur ungünstigen Zeit. Und sicher auch Beleg dafür, dass Nationalspiele doch mehr sind, als nur Fußballspiele von Spielern verschiedener Länder gegeneinander. Der australische Fußballverband meldete später, die Saudis hätten sich zwar generell zu so einer Schweigeminute bereit erklärt, aber, wie man den Eklat später erklären wollte: in ihrer eigenen kulturellen Art und Weise. Denn eine Schweigeminute stände nicht im Einklang mit ihrer Kultur.

So etwas kann man sich nicht ausdenken. Waren es beim Spiel der Türkei gegen Griechenland 2015 in Istanbul nur die türkischen Fans, welche die Schweigeminute für die Opfer des Attentats in Paris massiv störten, gaben in Adelaide die Spieler selbst das Initial. In Ermanglung einer ausreichenden Anzahl von saudi-arabischen Fans im Stadion? Laut einem Bericht der Welt sollen einige Stadionbesucher in Istanbul „die Märtyer sind unsterblich, das Vaterland unteilbar“ gebrüllt haben. Auch „Allahu-akbar“-Rufe sollen zu hören gewesen sein, so wie es die Attentäter von Paris gerufen hatten.

Ausgerechnet der Coach der Griechen, der deutsche Michael Skibbe, verteidigte das Verhalten der türkischen Fans in Istanbul. Gegenüber der BILD erklärte er damals: „Ich vermute, dass es Pfiffe aus Unwissenheit waren, keine Verhöhnung der Opfer von Paris. Ich möchte die Zuschauer da in Schutz nehmen.“

Warum Australien überhaupt eine Schweigeminute für die Opfer von London vor dem Spiel angesetzt hatte? Sicher auch deshalb, weil zwei Australierinnen unter den Opfern waren. Frauen. Die sind bei saudischen Fußballveranstaltungen allerdings bisher außen vor geblieben, wenn es Einheimische waren. Erst 2012 wurde berichtet, dass saudische Frauen überhaupt eine Tribüne in Begleitung ihres Vaters im in Saudi-Arabien vorgeschriebenen schwarzen Gewand plus Kopftuch als Zuschauerinnen betreten durften. Qatar, wo 2022 die Fußballweltmeisterschaft stattfinden soll, bürgerte in den letzten Jahren marokkanische Spieler ein, damit Qatar überhaupt auf einem irgendwie nicht völlig blamablen Niveau an der eigenen WM teilnehmen kann. Fußball ist in Qatar neben Kamelreiten eine beliebte Sportart, wusste der Tagesspiegel schon 2010. Die Zeitung wusste damals auch Positives zu berichten: „Vor wenigen Jahren noch hingen die Gewänder wie Kartoffelsäcke an den Frauen, jetzt sind die Kleider figurbetont und mit aufgestickten Muster geschmückt.“ Und Wikipedia weiß, dass in Qatar der Religionsaustritt als ein Kapitalverbrechen gilt, aber es seien immerhin keine Hinrichtungen dessentwegen bekannt.

In Saudi-Arabien werden Männer bei öffentlichen Hinrichtungen geköpft und Frauen erschossen. Eine der beiden Australierinnen, die beim Attentat in London starb, eine 21-Jährige, hatte als Au-pair in London gelebt und gearbeitet. In London verweigerten 130 Imame den Attentätern das Totengebet. Im australischen Adelaide verweigerten nun elf saudi-arabische Fußballnationalspieler einer 21-jährigen ermordeten Australierin den Respekt. Shame on. Aber Scham ist offensichtlich nur dann eine saudi-arabische Kategorie, wenn es um einen Quadratzentimeter nackte Frauenhaut geht, um ein vor Männern sichtbares Haarbüschel, um einen Fuß. Solche Gliedmaßen, wie sie Männern abgehackt werden, gemeinsam mit einer Hand in einer so genannten Kreuzamputation: linker Fuß, rechte Hand. „Walk on, walk on, with hope in your heart. And you’ll never walk alone.“

Die Bild-Zeitung berichtete  2015, noch unter dem Diktator König Abdullah wäre ein 24-jähriger Messerstecher zur Querschnittlähmung verurteilt worden, ein anderer zur Augenamputation. Der IS hätte es wohl nicht eindrucksvoller erledigen können.

Immerhin: Noch hat die FIFA keine Fußballmannschaft des Kalifats zugelassen. In Mosul schauten 2015 Kinder ein Fußballspiel Irak gegen Jordanien im Asia-Cup. Im Fernsehen. Dreizehn der fernsehschauenden Kinder wurden erst verprügelt und später von einem aus Deutschland stammenden IS-Terroristen in einer Sportarena erschossen. Willkommen in der Champions League des Grauens.