Tichys Einblick
Ökonomische Auswirkungen

Die Sanktionen schaden Russland – aber zwingen es nicht in die Knie

Putins Reich ist weniger verletzlich, als viele in der EU meinen. Seine Wirtschaftskraft liegt zwar unter der von Italien. Auf der anderen Seite stehen geringe Schulden und üppige Devisenreserven. Und der größte Handelspartner befindet sich nicht im Westen.

Hauptsitz der Rossiya Bank in St. Petersburg, gegen die in Großbritannien bereits Sanktionen verhängt wurden

IMAGO / ITAR-TASS

Mit dem „härtesten Sanktionsregime“, verkündete die britische Außenministerin Liz Truss, werde der Westen auf den russischen Angriff auf die Ukraine antworten. Das „Sanktionspaket“, assistierte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, könnte auch noch einmal „verschärft“ werden. „Russland wird einen Preis zu zahlen haben, und Putin muss seinen Leuten erklären, warum dieser Preis so hoch ausfällt“, meinte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Zu diesem Paket, das Putin empfindlich treffen soll, gehören Sanktionen gegen den russischen Finanzsektor, der vorläufige Stopp für die noch nicht in Betrieb genommene Erdgasleitung Nord Stream 2 und wahrscheinlich auch das Einfrieren russischer Auslandsguthaben.

Große Armee – aber vergleichsweise geringe Militärausgaben

Allerdings dürften diese ökonomischen Schläge Russland weniger hart treffen, als es die Rhetorik aus Brüssel suggeriert. Denn Putins Reich ist wirtschaftlich weniger verletzbar, als viele im Westen meinen. Zwar steht das größte Flächenland der Erde mit seinen 142 Millionen Einwohnern, das fast über alle Arten von Bodenschätzen von Öl bis Gold und Uran verfügt, in seiner Wirtschaftskraft weit unter anderen Großmächten wie den USA und China. Russlands Bruttoinlandsprodukt (BIP) rangiert laut Währungsfonds mit nominell 1,7 Billionen US-Dollar hinter dem von Italien (2,27 Billionen Dollar).

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Was das relativ wirtschaftsschwache Riesenreich trotzdem einigermaßen unempfindlich vor allem gegen Sanktionen auf dem Banken- und Kreditsektor macht, ist seine vergleichsweise geringe öffentliche Verschuldung. Die Schuldenquote zum BIP lag 2021 laut Internationalem Währungsfonds bei 17,9 Prozent. Zum Vergleich: Für Italien meldet der Währungsfonds im Jahr 2021 eine Staatsschuldenquote von 154,8 Prozent. Außerdem zählt Russland dank seiner Öl- und Gaseinnahmen zu den Staaten mit den üppigsten Währungsreserven. Die summieren sich auf etwa 630 Milliarden Dollar. Diese strategische Kasse füllte sich in den letzten Jahren beträchtlich: Im Jahr 2015 lagen diese Reserven noch bei 368 Milliarden Dollar.

Russlands geringe Schuldenquote rührt zum einen daher, dass es traditionell nur über ein sehr schwaches Sozialsystem verfügt. Daran änderte sich auch unter Putin nicht viel. Jenseits der Ober- und der bescheidenen Mittelschicht, die sich vor allem in den Metropolen Moskau und St. Petersburg konzentriert, dominieren im Vergleich zu Westeuropa sehr bescheidene Lebensverhältnisse. Die durchschnittliche Rente lag 2021 bei 212 Dollar monatlich.

Zum anderen unterhält das Riesenreich zwar eine der größten Streitmächte der Welt – gibt aber verglichen mit den unmittelbaren Rivalen deutlich weniger dafür aus.
An Mannstärke und Feuerkraft kann die russischen Armee deutlich mehr aufbieten als alle angrenzenden Länder mit Ausnahme Chinas: 850.000 Soldaten, etwa 12.400 Panzer und 30.000 gepanzerte Fahrzeuge, 4.100 Flugzeuge, eine weltweit operationsfähige Flotte, ein Arsenal an Interkontinentalraketen – und neuerdings auch avancierte Waffen wie Hyperschallraketen. In seine Streitkräfte investiert Russland trotzdem weniger als ein Zehntel dessen, was die USA für ihre Armee aufbringen.

Die russischen Budgetzahlen unterscheiden sich zwar etwas je nach Quelle: Der Nachrichtenagentur Tass zufolge lagen sie 2021 bei 50 Milliarden Dollar, nach den Zahlen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI bei 61,7 Milliarden Dollar. Aber selbst diese Summe übertrifft nur leicht den Haushalt der Bundeswehr für 2021 mit 47 Milliarden Euro, die kein Atomraketenarsenal unterhält, keine strategische Bomberflotte und keinen Flugzeugträger, aber auch deutlich weniger Panzer und Kampfflugzeuge als Putin. Moskau kann sich viel Schlagkraft für relativ wenig Geld leisten, weil es seine Kämpfer verglichen mit westlichen Armeen kurz hält: Ein Offizier muss mit einem durchschnittlichen Sold von etwa 82.000 Rubel oder 970 Dollar im Monat auskommen.

Öl- und Gasexporte füllen auch künftig die Kasse

Langfristig kann Russland trotz der Sanktionen weiter mit Deviseneinnahmen rechnen, vor allem angesichts der stark gestiegenen Öl- und Gaspreise. Allein der russische Konzern Gazprom verfügt über 72 Prozent der russischen Gasvorräte – die größten weltweit. Und auf die gut 56 Milliarden Kubikmeter Erdgas, die Russland jährlich nach Deutschland pumpt, kann die Bundesrepublik nicht verzichten. Mehr als die Hälfte seines Gases bezieht Deutschland von Putin und füllt ihm damit die Kassen. Der Brennstoff kommt durch zwei ältere Trassen in den Westen. Die nicht in Betrieb genommene Leitung Nord Stream 2 braucht Gazprom für sein einträgliches Exportgeschäft nicht. Gut 55 Prozent des deutschen Gasbedarfs stammt aus der russischen Föderation. Und durch die Entscheidung zum Atom- und Kohleausstieg dürfte sich dieser Anteil in den kommenden Jahren zumindest nicht verringern. Außerdem bezieht Deutschland 42 Prozent seines Erdöls von der östlichen Supermacht. Für diesen Energieimport flossen aus der Bundesrepublik 2021 insgesamt gut 20 Milliarden Euro in die Gegenrichtung.

Zeit für eine kühle Kosten-Nutzen-Rechnung
Betrug und Selbstbetrug der Sanktionen gegen Russland
Putins größter Außenhandelspartner ist China – und zwar mit deutlichem Abstand zur Nummer zwei Deutschland. Von dem russischen Außenhandelsvolumen entfallen gut 18 Prozent auf den strategischen Partner im Südosten, 7,3 Prozent auf die Bundesrepublik und nur 4,4 Prozent auf die USA. Die Sanktionen der USA und der EU werden die russische Volkswirtschaft auch wegen dieser Gewichtsverteilung schwächen, aber nicht ins Mark treffen. Zumal Putin auf den wachsenden Energiehunger Chinas setzt. Schon jetzt steht sein Land auf Rang drei der Erdgasexporteure, die nach China liefern. Im vergangenen Jahr schickte Russland 16,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas dorthin. Nach der russisch-chinesischen Planung soll das Volumen bis 2025 auf 38 Milliarden Kubikmeter steigen.

Als kalter Rechner weiß Putin also: Eine begrenzte Aggression und die dadurch ausgelösten Maßnahmen des Westens kann er sich leisten. Ernsthafte Opposition durch Parteien und Gewerkschaften muss er nicht fürchten, selbst wenn sich der Lebensstandard für normale Russen verschlechtern sollte.

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