Tichys Einblick
Ulrike Guérot als Kandidatin umworben

Sahra Wagenknecht rekrutiert – und Oskar Lafontaine auch

Die Pläne für eine Wagenknecht-Partei werden konkret. Derzeit sprechen Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine Personen an, die als führende Mitglieder in Frage kommen. Darunter die Politikprofessorin Ulrike Guérot.

IMAGO - Collage: TE

Der 9. Juni 2024 ist der entscheidende Termin für die Gründung einer Wagenknecht-Partei. Dann findet in Deutschland die Europawahl statt. Bis dahin soll die neue linke Partei stehen. Derzeit rekrutiert die Partei mögliche Mitglieder, die eine führende Rolle spielen könnten. Was sie vereint: Es sind politisch Aktive, die regierungsnahe Medien gerne mit dem Beiwort „umstritten“ diskreditieren.

Darunter Ulrike Guérot. An der Universität Bonn hat sie den Lehrstuhl für Europapolitik inne, ist derzeit aber suspendiert. Der Universität haben die politischen Äußerungen der Politikwissenschaftlerin nicht gefallen. Ein juristisches Verfahren dazu läuft. Deswegen will sich Guérot auch nur vorsichtig äußern. In einer Recherche hat TE erfahren, dass in den Planspielen der Wagenknecht-Partei Guérot als Spitzenkandidatin für die Europawahl vorgesehen ist.

"Professionelle Zersetzungskampagne"
Universität Bonn trennt sich von „umstrittener“ Professorin Ulrike Guérot
Gegenüber TE sagt sie: „Ich hätte durchaus Interesse, Europa-Politik zu machen, ob das kommen wird, ist aber noch offen.“ Von ihrer Biographie wäre die Professorin die ideale Besetzung. Zum Thema Europa hat sie mehrfach publiziert, sie gilt als Anhängerin der Idee, Europa zu einer Republik vergleichbar mit den USA auszubauen.

Damit war Guérot lange ein Liebling des woken Deutschlands. Der NDR berief sie etwa zur Jurorin für einen Sachbuchpreis. Doch dann äußert sich die Wissenschaftlerin zu Themen wie Corona, Einwanderung oder dem Ukraine-Krieg. Die Professorin äußert sich differenziert, das woke Deutschland verlangt Linie. Allmählich beginnt eine Hetzjagd gegen Guérot wie gegen alle, die nicht stramm auf Linie sind. Die Probleme mit der Uni Bonn sind eine Folge, der NDR wirft sie aus der Sachbuchjury. Vorgeschützt werden ältere Vorwürfe gegen Guérot zu unsauberem wissenschaftlichen Arbeiten – die aber kein Problem waren, solange sie noch auf Linie war.

Guérot hat das „Manifest für Frieden“ unterschrieben, das unter anderem Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer verfasst haben. Die Friedenspolitik wird ein Thema sein, mit dem eine Wagenknecht-Partei mobilisieren wird. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Diether Dehm sieht vier weitere Themen: die „Übergriffigkeit“ der EU stutzen, Sozialstandards im Nationalstaat stärken, den Mittelstand retten und die Meinungsfreiheit retten.

Klaus Ernst
Ex-Chef der Linkspartei über Kollegen: „Politikunfähige Clowns“
Der ehemalige Linken-Vorsitzende Klaus Ernst hat in „Cicero“ gesagt: Der Vorstand der Linken versuche derzeit „einen Teil der Mitglieder aus der Partei (zu) drängen“. Und zwar „jene Mitglieder, denen die Veränderung der Partei hin zu einer öko-radikalen Umweltpartei nicht passt“. Dehms Äußerungen passen dazu. Die Linie der Wagenknecht-Partei zeichnet sich ab, den Kurs der Linken nicht mitzumachen, zu den grüneren Grünen zu werden. Stattdessen eine linke Partei im klassischen Sinn zu werden.

Dehm sagt dazu: „Der völkische Faschismus wird allmählich von einem kosmopolitischen abgelöst. Bereits im Kommunistischen Manifest steht die Dialektik, wie proletarischer Internationalismus nationalstaatliche Formen benötigt. Und Menschen, die sich an regionale Kulturen und Heimat als ihren Rettungsanker klammern, dann als halbe Nazis niederzumachen, ist unmenschlich und elitär!“

Auf Dehms Internetseite wirbt er derzeit für Wagenknecht, zeigt Bilder von ihr und ihrem Mann Oskar Lafontaine. Er selbst strebe in der neuen Partei aber keine Funktion an. Er traut der Partei aber ein zweistelliges Potenzial in Niedersachsen zu, wo er lebt, und in Hessen, wo der ehemalige Bundestagsabgeordnete lange gewirkt hat. Als Lafontaine 2008 ins Saarland zurückkehrte, warb er verstärkt Gewerkschaftsfunktionäre von der SPD für die Linke ab. Diese scheinen dieses Mal nicht zu seiner Zielgruppe zu gehören, wie eine TE-Recherche ergab. Dehm begrüßt das: „Ich weiß gar nicht, ob es so sinnvoll ist, SPD-Aristokraten in der DGB-Spitze demütig zu umwerben.“

Stattdessen sind es eher Bürger wie Guérot, die Wagenknecht und Lafontaine umwerben: die selber mitten in der Gesellschaft standen, bevor sie wegen unwoker Äußerungen in Ungnade fielen. Ob daraus dann eine schlagkräftige Partei entsteht, muss sich zeigen. Derzeit ist Wagenknecht abgetaucht. Die Bild spekuliert, ob das mit ihrer Burn-Out-Krankheit im Zusammenhang steht. Die Linke trifft sich Ende des Monats zur Klausur. Dann könnte es sich entscheiden, wie viele aus ihrer alten Partei Wagenknecht folgen werden.