Tichys Einblick
Mögiches Wahlergebnis

Sachsen-Wahl: Gericht stärkt CDU und letztlich AfD, schwächt SPD und FDP

Der Gerichtsentscheid des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs beeinflusst den Wahlkampf, das Wahlverhalten und das Wahlergebnis in Sachsen. Es ist maßgeschneidert für einen Sieg der CDU - aber auch FDP und SPD könnten verlieren, so Gastautor Dieter Schneider.

Sächsischer Landtag, Dresden

imago images / ddbd

Der Sächsische Verfassungsgerichtshof hat am 16. August endgültig (bis zum Ende der Wahlhandlungen am 1. September) entschieden, dass die AfD nicht nur mit 18 Kandidaten, sondern mit 30, aber auch nicht wie von der AfD aufgestellt, mit 61 Kandidaten auf ihrer Landesliste antreten kann. Damit wurde die vorläufige Entscheidung vor Beginn der Briefwahl nun während der schon über zwei Wochen laufenden Wahl bestätigt. Weil die Wahl mit immer mehr Briefwählern schon läuft, konnte das Gericht die Liste der AfD gar nicht mehr ändern. Das hätte mit ziemlicher Sicherheit die Wiederholung der Wahl zur Folge gehabt.

Treffen die aktuellen Wahlprognosen für das Zweitstimmen-Ergebnis ein, hätte die AfD Chancen auf 33 bis 34 Mandate. Das wiederum bedeutet, dass ihr bei den entscheidenden Zweitstimmen nach dem Verhältniswahlrecht 3 bis 4 Mandate verloren gehen würden. Das kann aber durch Wahlkreisgewinne von Kandidaten ausgeglichen werden, die nicht auf der AfD-Liste der zugelassen 30 Kandidaten stehen. 27 von den 30 zugelassenen Listenkandidaten sind auch Wahlkreiskandidaten der AfD. Wenn die ihren Wahlkreis gewinnen, ändert sich nichts an der Gesamtzahl der AfD-Mandate.

Sachsen
AfD darf zur Landtagswahl mit 30 statt 18 Listenkandidaten antreten, aber nicht mit allen 61
Erst wenn von den anderen 34 Kandidaten, die nicht auf der jetzt endgültigen AfD-Liste stehen, jemand das Direktmandat in seinem Wahlkreis gewinnt, steigt die Zahl der AfD-Mandate über die 30 hinaus. Nach den Prognosen für das Zweitstimmenergebnis müsste die AfD 3 bis 4 der zuvor genannten 34 Wahlkreise zusätzlich gewinnen. Um das abzuschätzen, müssen diese Wahlkreise genau angeschaut werden. Das wird die AfD versuchen – also massiven Wahlkampf in jenen Wahlkreisen und für jene Kandidaten, die nicht auf der Liste stehen: Gewinnen sie ein Direktmandat, wächst die AfD-Fraktion. Dabei hilft das noch nicht so lang zurückliegende EU-Wahl-Ergebnis in Sachsen mit nur einer Stimme pro Wähler als Orientierung mehr als die Berücksichtigung der Ergebnisse der sächsischen Landtagswahlen mit zwei Stimmen vor fünf Jahren. 

Bei dieser letzten Landtagswahl 2014 errang die AfD „nur“ knapp 10 Prozent der Zweitstimmen. Trotz damals geringer Chancen auf einen Wahlkreisgewinn, bekam die AfD, dort, wo sie mit einem Direktkandidaten in zwei Drittel aller Wahlkreise antrat, genauso viel Erststimmen wie Zweitstimmen. Im Saldo sind AfD-Wähler für Stimmensplitting bisher nicht zu haben gewesen. Das ist nicht nur bei der Landtagswahl in Sachsen so gewesen. Sondern auch bei der letzten Bundestagswahl und auch bei vielen anderen Landtagswahlen in anderen Bundesländern.

Das alles berücksichtigt, könnte die AfD etwa 9 der beschriebenen 33 Wahlkreise gewinnen. Dann würde nicht nur die AfD aufatmen, weil ihr kein Mandat durch die Kürzung ihrer ursprünglichen  Liste verloren geht. Die Wahl wäre also insofern gelaufen; die Frage ob die AfD mit oder ohne Gerichtshof Mandate erhält, gegenstandslos. Aber so wird es nicht kommen. Sorge um das Wahlergebnis müssen sich auch die Damen und Herren des sächsischen Verfassungsgerichtshofes machen. Denn es kann anders kommen – und dann haben sie mit ihrer Entscheidung das Wahlergebnis manipuliert.

Denn da sind noch drei andere Probleme!

1. Überhangmandate und Ausgleichsmandate

Würde die AfD so viele Wahlkreise gewinnen, dass die Partei Überhangmandate zugesprochen bekommt, wäre das kein großes Problem, weil sie vollständig durch Ausgleichsmandate für die anderen Parteien einschließlich der CDU ausgeglichen werden können. Ein unlösbares Problem entsteht aber, wenn durch die CDU Überhangmandate entstehen, die durch Ausgleichsmandate für die anderen Parteien einschließlich der AfD auch ausgeglichen werden müssten. Dafür hat aber dann die AfD keine Kandidaten, denn diese Kandidaten sind gesperrt.

Die Forderung des Bundesverfassungsgerichtes, dass Überhangmandate einer Partei in einem Bundesland (sowohl bei Bundestagswahlen als auch bei Landtagswahlen) so ausgeglichen werden müssen, dass Ergebnis genau dem Zweitstimmen-Ergebnis entspricht, kann nicht erfüllt werden! Der Sächsische Staatgerichtshof hat dann eine Situation geschaffen, die dem Bundesverfassungsgericht widerspricht und damit das Wahlergebnis manipuliert.

2. Nachrücker

Es ist immer damit zu rechnen, dass Abgeordnete während der 5-jährigen Legislaturperiode ausscheiden. Die AfD kann in einem solchen Fall keinen direkt gewählten Abgeordneten ersetzen und hat auch keinen Listenkandidaten zur Verfügung, wenn schon vorher die 30 Abgeordneten der Liste gewählt sind.

Das Bemerkenswerte ist dann, dass bei einem Wahlergebnis für die AfD deutlich unter 30 Prozent, die AfD durch direkt gewonnene Wahlkreise die Landesliste bis zu 30 Mandaten auffüllen kann, dann aber jedes Mal ein Mandat verliert, wenn ein Abgeordneter der AfD aus dem Landtag in den nächsten 5 Jahren ausscheidet. Der Fall ist damit noch nicht erledigt, wen die AfD bei der Mandatsverteilung direkt nach der Wahl kein Mandat verliert.

3. Der Sächsische Verfassungsgerichtshof beeinflusst die Wahlentscheidung

Aufgrund dieser Entscheidung werden in vielen Wahlkreisen die Erststimmen an Bedeutung gegenüber den Zweitstimmen gewinnen, weil informierte Wähler erkennen, dass sie auch mit den Erststimmen die Mandatsverteilung, ja sogar die Regierungsbildung beeinflussen können – und zwar zu Lasten der AfD. Vor allem die anderen Parteien außer der CDU werden mehr oder weniger offen zum Stimmensplitting auffordern, also Zweitstimme für die eigene Partei und Erststimme fast überall in Sachsen für den CDU-Kandidaten. Die Hoffnung ist, dass die Liste für die eigene Partei (Zweitstimme) zählt; der CDU-Kandidat das Direktmandat erhält und über Überhang- und Ausgleichsmandate sogar die eigene Fraktion vergrößert wird. Nur die AfD profitiert nicht davon, siehe Punkt 1.

Damit hat der Verfassungsgerichtshof der CDU und den anderen Parteien (ohne AfD) einen Weg gezeigt, wie sie die Wahl zu ihren Gunsten gestalten können. Da, wo die Grünen schon bei der EU-Wahl stark waren, wie z. B. in Leipzig und Dresden, kann ein Stimmensplitting zu Gunsten des CDU-Direktkandidaten nützlich sein. Beispiel: Splitten Wähler der Grünen ihre Stimme und geben ihre Erststimme dem CDU-Kandidaten, dann hat das Urteil in seiner Wirkung die Wahl beeinflusst, weil die CDU so ein Mandat erhält, das ihr möglicherweise sonst nicht zugestanden hätte. Das wird dadurch verstärkt, dass so entstehende Überhangmandate der CDU nicht zu Gunsten der AfD ausgeglichen werden können, weil deren Liste dafür nach der Kürzung nicht mehr ausreicht. Auf diese Weise würde der Landtag per Überhang- und Ausgleichmandaten künstlich aufgebläht – und die AfD benachteiligt, die daran nicht partizipieren kann. Das Wahlergebnis hängt damit stark von den Folgen des Urteils des Staatsgerichts ab, der es in letzter Konsequenz zu Lasten der AfD und zu Gunsten der CDU maßgeschneidert hat.

Verlierer der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes

Es mag überraschend klingen: Verlierer dieser alles andere als salomonischen Entscheidung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes werden höchstwahrscheinlich nicht CDU und AfD sein, sondern die anderen Parteien, deren Direktkandidaten ohnehin keine Chance haben, einen Wahlkreis zu gewinnen. Denn klar ist auch, dass diese Art der Vorwegnahme von Wahlergebnisse bei der Bevölkerung auf Ablehnung stossen kann, die sich an frühere Methoden erinnern könnte. Es käme zu einem Wahlkampf der anderen gegen die AfD, die ihrerseits einen Mitleidsbonus und Demokratieverteidigungsbonus einfahren kann. Die Polarisierung auf CDU/Grüne und AfD kann vor allem für die FDP böse enden, die bei den Wahlprognosen bisher bei 5 Prozent liegt, was dann bei der Wahl 4,99 oder 5,0 bedeuten kann. Der FDP können dann jene paar Hundert Stimmen fehlen, die sie zum Einzug braucht. Denn es ist nicht auszuschließen, dass Wähler jetzt aus Protest gegen die offenkundige Benachteiligung der AfD aus Trotz gerade AfD wählen. Auch bei der SPD könnte es dazu führen, dass sie die 8-Prozent-Prognose noch deutlich unterbietet. Sie wird dann in noch gefährlichere Nähe zur 5-Prozent-Hürde gedrückt. Denn es gilt die Erfahrung: Die Entscheidung für die „Erststimme“ zieht auch die „Zweitstimme“ mit – einfach weil der Unterschied oft nicht verstanden wird. Das kann bitter werden für die beiden Mini-Parteien in Sachsen.

Auch diese Parteien hätten dann gute Gründe, eine Wiederholung der Wahl anzustreben, deren Regeln und Ergebnisse durch das Gerichtsurteil verändert wurden. Dazu dieser Beitrag

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