Tichys Einblick
Politologe Werner Weidenfeld:

Politische Ratlosigkeit trifft auf tiefe Wirtschaftskrise

Der Parteienstaat verödet, wenn Parteien keine Antworten mehr auf Sinnfragen liefern wollen – Die Konjunktur für Extremisten wird dadurch noch besser.

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Eine düstere Analyse der Zukunft Deutschlands zeichnet der Politologe Prof. Werner Weidenfeld. Politische Führungslosigkeit in beiden großen Parteien treffe auf die größte ökonomische Krise der Nachkriegszeit. Fehlende politische Orientierung und wirtschaftliche Krise führten zum Niedergang des Parteienstaats, analysiert Weidenfeld in einem Gastbeitrag für das Monatsmagazin Tichys Einblick.
Beide Volksparteien seien nicht mehr in der Lage, Sinnfragen zu diskutieren und zu beantworten. „Wie weit hat sich die SPD von der großen Epoche eines Willy Brandt entfernt? Wie weit die CDU von ihrer Ära eines Konrad Adenauer, eines Helmut Kohl? Und die FDP von ihrer Erfolgsgeschichte des Hans-Dietrich Genscher? Allein diese knappen Hinweise zeigen das Ausmaß der geistigen und strategischen Verödung des Parteienstaats.“ Die Besetzung der Spitzenämter von CDU und SPD in langen Kandidatenrennen bezeichnet Weidenfeld im Fall der SPD als „Parteitragödie“. Weidenfeld: „Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans stehen für eine SPD ohne flächendeckenden programmatischen Aufbruch, ohne Zentrum, ohne politische Kraft.“ Bei der CDU sieht Weidenfeld eine „politische Lähmung“, und die Situation sei nicht besser als bei der SPD.

Nun komme „in dieser Zeit politisch-kultureller Indisponiertheit und strategischer Konfusion“ mit der Coronapandemie auch noch eine schlimme Wirtschaftskrise hinzu. „Die unübersehbare Erosion der politisch-kulturellen Grundlagen trifft nun zusammen mit einer Wirtschaftskrise ungekannten Ausmaßes.“ Weidenfeld sieht „tektonische Verschiebungen, die die Republik ins Wanken gebracht haben“. Der suchende Bürger werde jedoch allein gelassen. „Die bisherigen Interpretationshilfen von rechts und links, von konservativ und progressiv helfen nicht mehr weiter.“ Weidenfeld: „Der Markt für populistische Einfach-Slogans, auch mit extremistischer Zuspitzung, bekommt da hohe Konjunktur.“

Auf die zentralen Fragen der Bürger wie Digitalisierung, terroristische Gefahren, Migration und weltpolitische Risiken sowie dem Wunsch nach strategischen Zukunftsperspektiven reagiere die Politik derzeit nur „mit situativem Krisenmanagement oder mit Ratlosigkeit“. Das Führungsdilemma der Parteien und ihr Autoritätsverlust führten zu einer Legitimationskrise. „Der Traum vom Aufbruch in eine neue historische Epoche mit erfüllender Sinnstiftung sieht anders aus.“


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