Tichys Einblick
TE 01-2020

Politologe Weidenfeld: Die politische Mitte ist hohl und inhaltsleer geworden

Die Traditionsparteien behaupten, ihr eigentliches Feld der Bewährung sei die politische Mitte. Allerdings fehlt ihnen die konzeptionelle Kraft für eine überzeugende Definition, was die Mitte denn ausmacht. Die Sehnsucht der Bürger nach strategischen Perspektiven bleibt unbeantwortet.

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Der Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld sieht den Parteienstaat in Deutschland aus den Fugen. Die politische Mitte sei inhaltsleer und diene nur noch der politischen Ausgrenzung. Die Wahlerfolge der AfD in Ostdeutschland seien ein Einschnitt. „Dieser Parteienstaat weist nun eine andere machtpolitische Komposition auf als alle Vorgängerepochen. Die Republik wird nicht nur deutlich bunter, sie bebt geradezu“, schreibt Weidenfeld in einem Gastbeitrag für das Monatsmagazin Tichys Einblick. Und Weidenfeld glaubt auch nicht, dass die AfD bald wieder verschwindet wie etwa die Republikaner. „Das ist nicht mehr ein Phänomen, das man früher unter „kleine Protestpartei“ einordnete, die dann an ihren eigenen internen Konflikten scheitern würde. Das sind nun Stimmenanteile von einer Größenordnung, die früher in die Rubrik „Volkspartei“ gerückt wurden.“

Den bisherigen Volksparteien macht Weidenfels den Vorwurf, sich nicht mehr um die großen Linien zu kümmern. „Das Bild von der Zukunftsgesellschaft, die Konzeption des künftigen Zusammenlebens, die Beschaffung von Legitimation, die Regelung der neuen weltpolitischen Risikostrukturen – alle diese Megathemen bleiben ohne präzise Behandlung.“ Stattdessen kümmere sich die Politik um Details und betreibe situatives Krisenmanagement. Den großen Herausforderungen begegne sie mit Ratlosigkeit. „Sprachlosigkeit ist ebenso wie Ratlosigkeit festzustellen, wenn die Frage aufgeworfen wird, was denn diese Gesellschaft überhaupt noch zusammenhält. Mit politischen Details wie Mindestlohn, CO2-Werten, Grundrente, Plastiktütenverbot, Mütterrente, Europäischer Einlagensicherung, Bienenschutz oder Gemeindeverkehrsfinanzierung ist eine in sich stimmige, kompakte Grundorientierung für die Zukunftsgesellschaft nicht zu liefern.“

Statt Inhalten werde nun die politische Mitte beschworen, um auszugrenzen. „Die Traditionsparteien behaupten, ihr eigentliches Feld der Bewährung sei die politische Mitte. Diese Kategorie ist zur Definitionshilfe der Abgrenzung und Ausgrenzung politischer Gegner geworden. Was aber die Mitte, die bürgerliche Mitte, definitorisch ausmacht, da fehlt den Parteien die konzeptionelle Kraft zur überzeugenden Auskunft“, stellt Weidenfeld fest. Die Mitte bleibe ohne Inhalt. „Die Mitte selbst ist gesellschaftlich erodiert; sie ist hohl geworden. Sie wird nicht mehr gefunden.“


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