Tichys Einblick
Paris, Brüssel, Nizza, Berlin, London, Stockholm und jetzt Manchester

Nicht mehr über den Verlust der Freiheit hinwegreden

Manchester ist erneut die traurige Erkenntnis, dass der Kampf um die Freiheit erst dann beginnen wird, wenn sie ihre Bedeutung für die Menschen Europas zurückerlangt hat. Dies scheint letztlich nur durch den sichtbaren und schmerzvollen Verlust möglich.

Emergency response vehicles arrive at the scene of a suspected terrorist attack during a pop concert by US star Ariana Grande in Manchester, northwest England on May 23, 2017.

© Paul Ellis/AFP/Getty Images

Ariana Grande will vorerst keine Konzerte mehr geben. Ihre Tour wird damit erst einmal nicht fortgesetzt. Das gab die Sängerin vor dem Hintergrund des Bombenanschlages auf ihrem Konzert in Manchester noch in der Nacht bekannt. Am kommenden Donnerstag hätte Grande in London gespielt, Anfang Juni war ein Konzert in Frankfurt geplant. Die weiteren Auftritte in Belgien, Polen und der Schweiz fallen demnach auch aus. Damit ist Grande eine der ersten Personen des öffentlichen Lebens, die nach einem derartigen Anschlag die Reißleine zieht und nicht einfach zur Tagesordnung übergeht. Es ist genau das Zeichen, was wir in einer westlichen Welt brauchen, die nicht aufhören will, sich selbst zu belügen.

Ja, viele haben es mittlerweile satt. Das ewige Weiter-So, die Durchhalte-Parolen und Lügen darüber, dass man sich die eigene Freiheit nicht nehmen lassen würde, während sie einem zeitgleich schon unter den Füßen weggerissen wird. Das so tun, als sei nichts gewesen am morgen danach, die emotionslose Rückkehr zum Alltag und die ewig gleichen Reden der Politiker, die ihren Sinn allein dadurch schon verloren, dass sie die Werte, von denen sie sprechen, nicht mehr gewillt sind zu verteidigen.

Die Wahrheit ist nämlich, dass mit dem Weiter-So die Freiheit nicht erhalten wird, sondern stattdessen dafür gesorgt, dass die Bürger sich an den Terror gewöhnen. Dass mit jedem weiteren Anschlag sich auch die Zeit verkürzt, in der noch jemand empört und schockiert darüber ist, bis die Mehrheit den Wahnsinn, der da mit uns passiert, eines Tages nur noch mit einem Achselzucken zur Kenntnis nehmen. Damit lassen wir uns unsere Freiheit nicht nur nehmen, wir verlieren auch das Bewusstsein dafür, was Freiheit eigentlich ausmacht, bis am Ende einfach nur noch ein Wort ohne Bedeutung im Raum steht. Etwas, was alle vorgeben zu verteidigen, aber die Meisten nicht mehr imstande sind, in seinem eigentlichen Sinne zu begreifen. Denn die Angst und der Zweifel sind trotzdem da. In jedem von uns. Und sie wachsen mit jeder weiteren Tat, beschränken unser Handeln ganz unabhängig davon, wie lange wir weiterhin so tun, als würde all das nichts mit uns machen. Als würden uns diese Attentäter nicht Stück für Stück alles nehmen, was unsere freien Gesellschaften ausmacht.

Ein Weiter-So in diesem Sinne führt dementsprechend also nur zu einer Verlängerung der Ignoranz und damit zur Verhinderung von Lösungen. Erst wenn genug erkennen, dass man ihnen ihre Freiheit nimmt, das Problem benennen, können wir aktiv an Lösungen arbeiten. Insofern ist Ariana Grandes Entscheidung die einzig Richtige, denn sie macht den Preis, den wir unabhängig von den unmittelbaren Opfern für das Appeasement gegenüber dem radikalen Islam und seiner Anhänger zu zahlen haben, sichtbar. Der Unterschied liegt darin, dass man sich mit Opfern und ihren Angehörigen identifizieren kann oder auch nicht. Gemeinhin fällt es vielen Menschen schwer, sich mit Personen zu identifizieren, die sie nicht kennen. Andere wiederum sind mittlerweile geistig und moralisch derart verroht, dass sie mehr Mitgefühl mit einem ihnen unbekannten Bootsmigranten empfinden als mit dem eigenen unmittelbaren Umfeld. Nein, Opfer sind schnell vergessen. Zumal wir, zumindest in Deutschland, auch dazu übergegangen sind, ihnen zumeist gar kein Gesicht mehr zu geben, um die Identifikation so gering wie möglich zu halten.

Was es also braucht, sind Entscheidungen wie die von Ariana Grande, die deutlich machen, dass nicht nur bestimmte Menschen, an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit, einen Preis für unsere Politik des Appeasements zu zahlen haben, sondern wir alle. An jedem einzelnen Tag und ganz konkret, dadurch, dass uns etwas weggenommen wird, was uns als Gesellschaften ausmacht: Spaß, Freude, Musik. Dass das Appeasement gegenüber dem radikalen Islam eben nicht nur eine mentale Einschränkung der Freiheit im Kopf bedeutet, sondern auch ganz reale Einschränkungen im Leben von uns allen. Dass nicht alles immer weiter läuft, wie bisher, sondern gewisse Dinge, die unsere Gesellschaften ausmachen, einfach nach und nach verschwinden und dass sie eben für uns alle verschwinden und nicht nur für diejenigen, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren.

Die Anschläge von Paris, Berlin, London, Stockholm und jetzt Manchester haben eindeutig gezeigt, dass das Weiter-So der westlichen Welt kein Zeichen von Stärke, sondern vielmehr ein devotes Verharren im Ist-Zustand darstellt. Dass erst der Cut, der Ausstieg aus dieser Spirale der Durchhalteparolen, das Sichtbarmachen der allmählichen Abschaffung dessen, was unsere Gesellschaften ausmacht, die Wut und damit den Druck zu erzeugen imstande ist, den es braucht, damit unsere Regierungen handeln.

Dabei ist die Erkenntnis, dass wir Dinge erst sichtbar verlieren müssen, sehr schmerzlich. Die mentale Einschränkung, die Angst im Kopf allein reicht bis dato nicht aus. Es bedarf der sichtbaren Lücken innerhalb der Gesellschaften, die durch den Terror entstehen. Es dedarf der abgesagten Stadtfeste, aufgrund zu hoher Sicherheitsauflagen, genauso wie der abgesagten Konzerte von Stars wie Ariana Grande, die deutlich machen, dass eben nicht alles wie immer ist und so weitergeht.

Kurzum: Es bedarf nicht nur der Konsequenz des mulmigen Gefühls auf einem Konzert, sondern auch der, auf kein Konzert mehr gehen zu wollen, auch nicht mit einem mulmigen Gefühl. Es ist dies nichts anderes als die traurige Erkenntnis, dass der Kampf um die Freiheit erst dann beginnen wird, wenn sie ihre Bedeutung für die Menschen Europas zurückerlangt hat. Und dies scheint letztlich nur durch den sichtbaren und schmerzvollen Verlust möglich.