Tichys Einblick

Neuköllner Anwohner in Angst und Sorge: Randale ist nicht Ausnahme, sondern Regel

Die Entwicklung in Berlin-Neukölln zeigt, wie sehr sich Randalierer schon von einem noch irgendwie inhaltlich nachvollziehbaren Anliegen entfernt haben.

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Freitag vor einer Woche zogen etwa fünfzig, teilweise mit Fackeln, Pyrotechnik und Steinen ausgestattete Krawallmacher von der Richardstraße über die Karl-Marx-Straße bis zum Bezirksrathaus und hinterließen eine Schneise der Verwüstung an den anliegenden Geschäften.

Die Polizei war zu dem Zeitpunkt zwangsläufig mit sich selbst beschäftigt und versuchte gerade eine Idee davon zu entwickeln, wie man auftragsgemäß die Sicherheit der Bürger noch gewährleisten soll, wo einem auf der anderen Seite von der rot-rot-grünen Senatsregierung mit einem Generalverdacht jede Festnahme oder Strafverfolgung potentiell als Diskriminierung ausgelegt werden kann. Dann jedenfalls, wenn man eine der Haupttätergruppen für Kriminalität ins Visier nimmt – oder in Neukölln überhaupt jemanden ins Visier nimmt, denn der Ausländer- und Migrantenanteil bildet dort bereits eine Mehrheitsgesellschaft.

Aber was hat der Tod bzw. die Ermordung des US-Bürgers George Floyd mit Neukölln zu tun? Und wie begründen diese vermummten Randalierer Gewalt nicht nur gegen Fielmann und Co, sondern wohl auch gegen Geschäfte von Migranten, die sich in Berlin-Neukölln eine Existenz aufgebaut haben?

Das ist neu: Wie sehr hier auch gelernte Stereotype durcheinander kommen, zeigt in Berlin-Neukölln jetzt ein Aufbegehren gegen den Zerfall der Sicherheitsarchitektur insbesondere auch von Seiten der ansässigen Neuköllner mit Migrationshintergrund. Geschäftsleute und Anwohner sind hier nicht mehr bereit, sich weiter nur im Stillen mit denn realen Verhältnissen in ihrem Stadtteil auseinanderzusetzen – Klagen über Übergriffigkeiten gegen alles und jeden suchst sich jetzt eine Öffentlichkeit.

Sicher gehört auch Mut dazu. Aber wer die Nase voll hat, wer immer wieder den Scherbenhaufen auffegen muss, den andere verursacht haben, der sammelt Druck unter dem Ventil. Bei Ladenbesitzer Hakan Demir ist der jetzt gegenüber der BZ Berlin explodiert. Der Neuköllner mit seinem Modegeschäft hatte den Zerstörungszug der Chaoten hautnah miterlebt. „80 bis 100 Menschen waren das“, erzählt er der BZ. Für ihn aber nichts Besonderes. Solche Gewalt und Zerstörung sei für Neuköllner Verhältnisse „fast normal“.

Und der sportliche Geschäftsmann fügt an: „Nach 22 Uhr ist es gefährlich und man sollte nicht mehr alleine auf die Straße gehen.“ Auch der Gang spätabends nach Feierabend in sein favorisiertes Fitnessstudio sei schon von einem Gefühl des Unwohlsseins begleitet: Immer häufiger würden sich „Grüppchen versammeln.“

Unterstützung bekommt er beispielsweise von einer Verkäuferin der von den Zerstörungen betroffenen Rossmann-Filiale nur wenige Meter neben seinem Geschäft: „Mittlerweile habe ich auch Angst, rauszugehen. Nicht, dass man da noch einen Stein vor den Kopf kriegt. Es ist ja fast schon wie am 1. Mai.“

Die Neuköllner wussten also bisher, wann sie die Köpfe einziehen müssen. Offensichtlich war dieser Karneval der Gewalt auf der Straße für einen bestimmten Tag inoffiziell legitimiert und etabliert. Aber jetzt wollen die Neuköllner keine weiteren Randale-Tage mehr. Der Todestag von George Floyd wird sich da in Zukunft sicher anbieten. Und die Randalier bezogen sich in einem Bekennerschrieben auch auf den unter einem Polizeiknie erstickten Amerikaner.

Was das eine mit dem anderen zu tun hat, bleibt allerdings vollkommen schleierhaft. Es gibt hier kaum eine erkennbare politische Botschaft, die überzeugender wäre, als die Annahme, dass sich hier nur Lust an Zerstörung breitgemacht hätte. Unter anderem auf Kosten von Ladenbesitzer Hakan Demir aus Berlin-Neukölln.

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