Tichys Einblick
Grenzkontrollen

Nicht flexibel, nicht stationär – sondern zurückweisen

Nach großem EU-Spektakel kehren die Staaten zu ihren Problemen zurück. Die Bundespolizei müsste eigentlich zum Grenzschutz werden, damit zumindest ein rudimentärer Schutz gegen illegale Einreisen möglich wird. Bei „Markus Lanz“ hatte man gestern wieder einmal gar nichts davon verstanden. In Berlin will man das aber ohnehin nicht.

IMAGO
Es gibt zwei Dinge: Das geplante Asylsystem der EU (kurz GEAS genannt), das noch lange nicht unter Dach und Fach ist, und die EU-Krisenverordnung, die seit ihrer Vorstellung im September 2020 ein integraler Teil des Systems war. Sie wurde nun unter Ausklammerung eines Satzes zu den Mittelmeer-NGOs beschlossen. Rom sieht das als „italienischen Sieg“ an. Die deutsche Seite war es gewesen, die eine Ausnahme für die sogenannten Nichtregierungsorganisationen (NGO) in die Verordnung hineinschreiben wollte: Die Einsätze der NGOs sollten, da „humanitär“ und „nach europäischen Standards“ durchgeführt, nicht als „Instrumentalisierung von Migranten“ angesehen werden.

Italien sah das als „Rückschritt“ in der Frage der NGOs und bestand darauf, dass dieser Satz nicht so stehen bleiben könne, weil auch die NGO-Einsätze zur Destabilisierung eines Mitgliedslandes beitragen könnten. Klar ist: Neben Nachbarländern wie Tunesien oder der Türkei kann man auch die Offene-Grenzen-NGOs als Akteure bei der Instrumentalisierung von Migranten betrachten. So hat es schon die Staatsanwaltschaft im sizilianischen Trapani vor drei Jahren gesehen. Laut den Gerichtsakten hatten es die Beschuldigten „auf die Erreichung nützlicher und wirtschaftlicher Zwecke“ abgesehen, „getarnt hinter humanitären Zwecken oder dem Wunsch, Migrationskorridore zu schaffen“ (TE berichtete).

Italien ist also zufrieden mit dem erreichten Kompromiss – andere Mitgliedsländer keineswegs. Polen und Ungarn konnten auch der EU-Krisenverordnung nicht zustimmen, so, wie sie den EU-Asylpakt insgesamt in seiner derzeitigen Form ablehnen. Auch Österreich und Tschechien enthielten sich. Hier verbirgt sich ein veritables Demokratiedefizit, denn die Legitimität eines zwischenstaatlichen Gremiums wie des Europäischen Rates hängt eigentlich am Handeln im größtmöglichen Konsens. Aber ohne die Mehrheitsentscheidungen wäre diese EU wohl gar nicht mehr handlungsfähig. Der Beschluss der Krisenverordnung kam mit einer qualifizierten Mehrheit von 55 Prozent der Mitgliedsstaaten zustande, die zudem mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten müssen.

Krisen- und Höhere-Gewalt-Verordnung: Was Europa darf und was nicht

Das nächste Problem wird sein, die Verordnung auch tatsächlich anzuwenden. Denn das will die deutsche Ampel nicht, während andere es vielleicht schon jetzt für dringend erforderlich halten. Die Feststellung einer Migrationskrise wird auch künftig beim Rat liegen, in dem dann wiederum eine Mehrheit gefunden werden müsste. Ob das dann leicht oder schwer wird, lässt sich heute nicht prophezeien. Es wird von den Umständen abhängen und natürlich von den gewählten Regierungen der Einzelstaaten.

„Crisis and force majeure Regulation“ wird das Reglement in einem EU-Dokument auf Englisch genannt. „Krisen- und Höhere-Gewalt-Verordnung“ müsste sie also auf Deutsch heißen. Es geht darum, Migrationskrisen als außerordentliches Geschehen, als „höhere Gewalt“ im Rechts- und Asylsystem der EU zu verankern. Beim integrierten Asylsystem der EU ging es also schon von Anfang darum, dass man in Krisensituationen nicht genauso handeln soll, wie man es als „Ampel-Europäer“ eigentlich will. Es gibt aber noch andere Begriffe von Europäertum als den hier vom obersten ‚Ölfilm‘ der EU gepflegten.

Bei „Markus Lanz“ erklärte gestern eine Deutschlandradio-Journalistin, warum das so sein könnte. Ihr Name tut hier nichts zur Sache, da sie kaum eine Koryphäe des Diskurses ist. Aber sie meinte, frei zusammengefasst, dass die EU-Staaten eben nicht so mit schutzsuchenden Menschen umgehen könnten wie „Diktatoren“ anderswo und dass deshalb das Asylwesen in vielen europäischen Staaten so komplex und überlastet sei. Dieser Diskurs scheint sich langsam einzubrennen, dass es außerhalb Europas praktisch nur noch Unfreiheit und Diktatur gibt, egal mit wie großen Mehrheiten die Präsidenten (sei es Erdogan, Saied oder ein anderer) gewählt sind.

Das von Sabine Ader bezeichnete ist also das Problem, das damit auf der offiziellen Couch des deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramm angekommen ist. Dort, wo alle Probleme, die wir so haben, so lange zerkaut werden, bis man sie gar nicht mehr wiedererkennt. Immerhin hat sich nun auch in diesen Kreisen herumgesprochen, dass Nancy Faeser eine grottenschlechte Arbeit als Innenministerin leistet. Als hessische Spitzenkandidatin der SPD ist sie allerdings auch nicht viel besser (aktueller demoskopischer Stand: 16 Prozent für ihre Partei).

Noch immer lehnen sie echte Grenzkontrollen ab

Norbert Röttgen (CDU) meinte, dass Faeser – im Gegensatz zu ihm in seiner Amtszeit als Umweltminister – deutliche Schwierigkeiten bei der Handhabung ihres Ressorts habe. Die Radiojournalistin pflichtete bei, dass es das monatelange Gezerre um die Grenzkontrollen nun wirklich nicht gebraucht hätte, da es ja nun einmal das sei, was die Leute wollen. Komisch, dass man davon in all den Monaten nie etwas im Deutschlandradio gehört hat.

Zu dumm auch, dass es noch immer keine echten Grenzkontrollen – mit der Möglichkeit zurückzuweisen – sind, die nun an der Grenze zu Polen und Tschechien betrieben werden. Das schien Lanz zwar zu wissen, nur Röttgen wollte von dem Unterschied, der ein ganz einfacher ist, nichts hören. Für den CDU-Außenpolitiker sind Grenzkontrollen eben Grenzkontrollen. Aber das sind sie eben nicht: Entweder man notifiziert den Grenzabschnitt, dann kann ein Bundespolizist dort offenkundig illegale Migranten zurückweisen, oder man tut das nicht, dann geht nur noch Durchwinken. Über dieses Detail wird auch von höchster Stelle gelogen, nämlich von der Innenministerin höchstpersönlich, wenn sie behauptet, das Zurückweisen gelinge in der Schweiz. Und wenn das so wäre, dann wäre es nur ein juristischer Winkelzug, der sich alsbald durch erneutes Anlaufen der Grenze rächen wird. Man delegitimiert nicht folgenlos den eigenen Grenzschutz und degradiert ihn zu einem Aufnahmeprogramm für illegale Wirtschaftsflüchtlinge.

Aber all dieses Gezerre dient natürlich nur einem Zweck: Man will die mühsam in „Binnengrenzen“ umgewandelten nationalen Grenzen innerhalb des Schengenraums nicht zurück, was wiederum nichts mit wirtschaftlichen Erwägungen zu tun hat. Denn niemand wird sagen, dass der Warenverkehr nach Dänemark oder Schweden erschwert ist oder der Weg über die bayrisch-österreichische Grenze ein Spießrutenlauf. Dennoch wehrt sich die Ampel mit Händen und Füßen gegen eine Ausweitung der echten, notifizierten Grenzkontrollen, so übrigens auch die Chef-Lobbyistin der Ukraine in Deutschland, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), die nebenbei so tat, als seien solche Kontrollen dem Zusammenhalt mit den östlichen Nachbarn abträglich. Das Gegenteil ist der Fall. Man will nicht spekulieren, dass es Strack-Zimmermann um die kuriosen Bus- und Autofahrten der Ukrainer in ihr Heimatland und wieder zurück nach Deutschland geht, die sie nicht behelligen will. Aber es könnte so sein. Auch Strack-Zimmermann betont die Notwendigkeit legaler Migration in die EU.

Seufzer des EU-Ölfilms: O wenn sie nur legal kämen…

Es geht also nicht einfach um Kontrollen. Es geht darum, dass die Bundespolizei endlich wieder Bundesgrenzschutz wird, damit ein zumindest rudimentärer Schutz Deutschlands vor illegalen, unberechtigten Einreisen möglich wird. Und in diesem Punkt sind sich auch die beiden größten Polizeigewerkschaften vollkommen einig, die eindeutig für stationäre Grenzkontrollen eintretende Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) und die Gewerkschaft der Polizei (GdP), die eher für flexible Kontrollen an der Grenze ist. Doch beide sind für die Notifizierung der Grenzen, weil nur das ihnen Handlungsmöglichkeiten geben würde.

Nancy Faeser macht auch an anderer Stelle deutlich, dass sie kein Problem mit illegaler Migration hat. Sie will mit ihren „erweiterten flexiblen Grenzkontrollen“ vor allem gegen die Schleuser angehen. Deshalb braucht und will sie auch keine „temporären stationären“ Kontrollen, auch wenn das nun wieder in vielen Medien so stand. Ein ZDF-Moderator hatte sich versprochen, und alle druckten es: Doch Faeser ist nicht für stationäre Kontrollen.

Tatsächlich nutzt sie das angebliche Vorgehen gegen kriminelle Schlepper, um den Begriff „Grenzkontrollen“ von überschüssigem Sinn zu befreien und gründlich zu entkernen. Denn der Ausdruck bedeutet eigentlich, dass man solche Kontrollen auch notifizieren muss, um irgendeinen Effekt im Sinne von Zurückweisungen zu erzielen. Doch im Brüsseler Innenressort weiß man zwar von den verlängerten Kontrollen Frankreichs an allen Landesgrenzen (auch zu Deutschland) ab 1. November bis ins nächste Frühjahr, aber von einem deutschen Antrag ist bisher nichts zu lesen.

Und so macht Faeser in Wort und Tat deutlich, dass sie nicht gegen die illegale Zuwanderung kämpft, sondern allein gegen die Schleuser. Bräuchte es diese schlimmen Kriminellen nicht, dann gäbe es also für Faeser auch kein Problem. Das ist eigentlich alles, was die Hessen beim Gang zum Wahllokal über die SPD wissen müssen.

Man lege nun nur noch die Rede Ursula von der Leyens, gehalten am 17. September auf Lampedusa, daneben: „Die wirksamste Maßnahme gegen die Lügen der Schleuser sind legale Wege und humanitäre Korridore. Wir werden den Migranten durch die humanitäre Aufnahme echte Alternativen bieten. Das ist sehr wichtig, um das bösartige Narrativ der Schmuggler zu durchbrechen. Denn eines ist sicher: Je besser wir bei der legalen Migration sind, desto strenger können wir bei der irregulären Migration vorgehen.“ Dann hat man dieselbe Einstellung in EU-groß: O wenn sie nur legal kämen… dann gäbe es kein Problem.

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