Tichys Einblick
BILD-Leser wissen eben mehr

Merkels Flüchtlingskurs hat keine Mehrheit, nicht einmal in der BILD-Gemeinde

Medien können gegen die Mehrheit anschreiben, sie aber nicht drehen. Die alte Weisheit der Medienforscher wird erneut bestätigt: Die Leser haben sich längst ihre Meinung geBILDet.

In der Flüchtlingsdebatte verfolgt BILD seit Wochen einen eindeutigen Kurs: Pro Merkel („Wir schaffen das“) und Contra Seehofer („Mehr geht nicht“). Das spiegelt sich in jeder Ausgabe wider: Bewegende Reportagen über wahre Dramen, die sich zwischen Syrien und der deutscher Grenze abspielen, viel Lob für die Willkommenskultur, Appelle an die Mitmenschlichkeit der Deutschen, Empörung über widerliche Gewalttaten gegen Flüchtlinge, sehr zurückhaltende Berichterstattung über Gewalt unter Flüchtlingen und über Übergriffe muslimischer Schutzsuchender gegen christliche, lange Zeit keine Erwähnung der deutlichen AfD-Zuwächse.

Jetzt rief BILD „das Volk“ in Gestalt seiner Leser zur Abstimmung auf: Für oder gegen Merkels Kurs der offenen Grenzen? Das Ergebnis: Rund 90 Prozent lehnen Merkels Politik ab – und damit auch die Linie des Blattes. Interessant: Unter den BILD-Lesern fällt die Ablehnung der Politik Merkels und der Großen Koalition beim Thema Zuwanderung noch schroffer aus als in der gesamten Bevölkerung. Doch auch laut ZDF-Politbarometer hat sich die Stimmung gedreht: Eine Mehrheit glaubt nicht, dass wir den Zustrom von 10.000 Flüchtlingen pro Tag verkraften. Was wieder einmal bestätigt, dass Medien gegen die Mehrheit anschreiben, sie aber kaum drehen können. Das haben Kommunikationsforscher schon immer gesagt. Doch die meisten Edelfedern glauben das bis heute nicht, viele weniger edle Federn ebensowenig.

Wie geht BILD nun mit der Tatsache rum, dass ihre Leser ihr nicht folgen. Sie bejubelt das „Riesen-Echo“ auf ihre Aktion, was bei 340.000 Teilnehmern durchaus berechtigt ist. Und versucht im Kommentar schönzureden, was aus BILD-Sicht eigentlich nicht schönzureden ist: Dass die Leser sich ihre eigene Meinung geBILDet haben. Die Antwort des Kommentators: „Ansporn für die Kanzlerin“. Und weiter heißt es: Wer Zweifel daran, ob wir es wirklich schaffen können, nicht ausspreche, „schließt die Augen vor der Wirklichkeit“. Und wie sieht die neue BILD-Wirklichkeit aus: Plötzlich darf JU-Chef Paul Ziemiak in BILD für eine Obergrenze von 250.000 Flüchtlingen pro Jahr plädieren. Da fragt man sich als Leser: Soll das ein Ansporn für Merkel sein – oder für Seehofer? Wie heißt doch ein schöner BILD-Slogan: „BILD-Leser wissen mehr“.