Tichys Einblick
Kritische Parteijugend war einmal

Merkel wie Junge Union: Parteienstaat zur Karrierebeförderung

Angela Merkel passt an die Spitze einer entunionisierten Union als Sammelbecken für populistischen Strömungen aller Parteien, die keine Parteien mehr sind, sondern Gewerkschaften der Berufspolitiker und ihrer Mitarbeiterschar.

A delegate holds up a poster reading 'Restructuring in terms of personnel and content - now!' as German Chancellor Angela Merkel delivers a speech during a congress of the Junge Union Deutschlands (JU, the joint youth organisation of the two conservative parties CDU and CSU) in Dresden on October 7, 2017

© Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Standing Ovation für Angela Merkel auf dem Deutschlandtag der Jungen Union nach ein bisschen Grummeln, das die Delegierten selbst ausbuhten. Mehr Unterwürfigkeit war nie. Nicht wenige TE-Leser meinen in ihren Kommentaren, wenn Merkel abträte, blieben da ja die Unzähligen, die diese Kanzlerin trugen – innerhalb und außerhalb der Union. Recht haben sie. Merkel ist nicht die Ursache, sondern das Produkt der politischen Krise namens Parteienstaat. Die Junge Union wie alle anderen Jugendorganisationen der Parteien sind Teil dieser Krise. Wo sie sich versammeln, wird nicht neue Politik formuliert und von den Mutterparteien verlangt. Da stellen sich bloß Bewerber im Assessment-Center für die Karriere als Berufspolitiker an.

Die Jugendorganisationen der Frommen

Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS), die Jungsozialisten (Jusos), der Liberale Studentenbund (LSD) und die Deutschen Jungdemokraten (DJD) waren einmal aufsässige, oppositionelle Jugendorganisationen von SPD und FDP. Die Junge Union Deutschlands, anders als CDU und CSU nicht getrennt, war von Anfang an parteifromm, nur in der Oppositionszeit der Union auf Bundesebene gab es programmatische Auseinandersetzungen mit den Mutterparteien.

Der SDS wollte eine sozialistischere SPD, als die beiden sich schon getrennt hatten, wollten das die Jusos noch recht lange. LSD und DJD wollten eine liberalere bis liberalistische bis linksradikale FDP. Wo die JU gegen die Union opponierte, wollte sie eine weniger konservative und weniger christliche Union. Die aus der JU in CDU und CSU Karriere machten, trieben die Union weg von ihrer Tradition. Helmut Kohl hat das nicht aufgehalten, Angela Merkel passt an die Spitze einer entunionisierten Union als Sammelbecken für alle populistischen Strömungen aller Parteien, die im Parteienstaat keine Parteien mehr sind, sondern Gewerkschaften der Berufspolitiker, Agenturen eines günstigen Lebensverlaufes für alle Funktionäre und ihre Dienerschaft in Staat und Gesellschaft im Parteienstaat.

Deswegen wird ja auch die derzeit sich anbahnende Jamaika-Koalition so wahrscheinlich: Natürlich passen FDP und Grüne in keinem inhaltlichen Thema zusammen. Die Grünen wollen noch mehr „Flüchtlinge“ – die FDP weniger. Die FDP will mehr Markt – die Grünen lieber mehr Beamte. Und so lässt sich die Liste der Unvereinbarkeiten verlängern und mit Hinweis auf die CSU auch noch verkomplizieren. Aber Programme sind ja nur der Lendenschurz, um gerade noch zu kaschieren, dass es den Funktionären um ihre persönliche Karriere geht. Da wissen wir seit Franz Müntefering: „Opposition ist Mist“. Mist, das heißt kein Dienstauto. Mist, das heißt keine Pöstchen für Partei-Staatssekretäre, Abteilungsleiter und Behördenchefs. Mist, das heißt weniger Steuergelder für die eigene Kasse und die der Parteispezln in einem Land, das im Parteienstaat längst von den Parteien durchsetzt ist bis hin zum letzten Grundschuldirektor.

Es ist auch nicht so, dass Merkel Jamaika will. Es ist Merkel und ihrer Entourage komplett egal, mit wem sie koaliert, so lange sie regiert. Sie will keine Jamaika- oder sonstige Koalition führen, sondern von irgend einer auf den Kanzlersessel gehoben werden. Dann macht sie ohnedies, was sie will.

Ob rot, ob schwarz oder grün ob gelb – wartet, wartet nur ein Weilchen, und auch die derzeit so inbrünstig beschworene Ausgrenzung von blau löst sich in himmelblauem Wohlgefallen auf. So hat es die Linke geschafft, in Thüringen den Ministerpräsidenten zu stellen und so haben es die Grünen geschafft, sich in Baden-Württemberg die Schwarzen als Hausknechte zu halten. Das mag man begrüßen, weil ideologische Schranken fallen, alles möglich wird oder mit Jamaika „ganz was Neues entstehen wird“, wie die Begründung der Applausmedien derzeit lautet.

Was soll denn Neues entstehen? Es ist die Fortsetzung der bisherigen Politik Merkels mit neuen Farben, kaschiert mit ein paar verbalen Nuancen und etwa dem Verbot der Verbrennungsmotoren erst 2033 statt 2030, wie es die Grünen wollen, als „Erfolg“. Oder FDP und CSU erhalten ein, zwei Länder als „sichere Herkunftsländer“ zugestanden, während gleichzeitig über den Familiennachzug die Schleusen geöffnet werden (außerhalb jeder Statistik), damit die Grünen ihren Triumph haben – das ist dann Politik in der verlogensten und dysfunktionalsten Form.

Sie wollen gar nichts mehr. Nur eine Karriere

Das entspricht dann dem, was die Junge Union fordert. Denn inzwischen wollen alle Absolventen der Ausbildung in den Jugendorganisationen politisch gar nichts mehr, sie wollen bloß Berufspolitiker werden. Dorthin führt der Weg über den Mitarbeiter eines Abgeordneten auf Landes- oder Bundes- oder EU-Ebene längst sicherer. Die Parteien rekrutieren sich selbst. Es ist eine Kaste der Berufspolitiker entstanden; „Politik als Beruf“ in einer allumfassenden Ausprägung, die Max Weber sich 1919 nicht hat träumen lassen – damals erstmals formuliert, heute institutionalisiert.

In den USA sind weit über 90 Prozent der Berufssoldaten Kinder und Enkel von Berufssoldaten. Der „Rest“ der Amerikaner empfindet den Militärdienst nicht mehr als ihre Sache. In Deutschland sind weit über 90 Prozent der Berufspolitiker ehemalige Mitarbeiter von Berufspolitikern. Den „Rest“ des Volkes, also das Volk, kennen solche Berufsfunktionäre nicht. (Wie Gewerkschaftsfunktionäre keine Betriebe von innen kennen.) Sie verwechseln die Wirklichkeit mit dem, was ihnen ebenso abgehobene Journalisten in den meisten Medien servieren. Der „Rest“ des tatsächlichen Volkes empfindet die Berufsfunktionäre konsequenterweise nicht als ihre Vertreter. Selbst dann oft nicht, wenn sie sie aus Gewohnheit, Verlegenheit und wegen der Nachbarn wählen gehen.

Und sollten die Berufsfunktionäre in Politik, den Gewerkschaften von Arbeit und Kapital, in Verbänden, Kirchen, NGOs und Medien auf Akzeptanz bei älteren und jüngeren Immigranten setzen, lasst alle Hoffnung fahren. Deren Loyalität gehört den Eigenen, ihren Institutionen und Traditionen: realistische Leute.