Tichys Einblick
Bundestagswahl 2017

Merkel-Dämmerung

Dieses Ergebnis ist nicht die Folge einer Rechtsverschiebung der Republik, sondern einer Linksverschiebung der Union.

© Odd Andersen/AFP/Getty Images

Der 24. September 2017 wird in die bundesdeutsche Geschichte eingehen als der Beginn des Endes der Kanzlerschaft Angela Merkels. Oder etwas brachial-poetisch ausgedrückt: Jetzt hat die Merkeldämmerung, die vor zwei Jahren noch von der Gutmenscheneuphorie einer „Willkommenskultur“ überlagert war, endgültig begonnen. Und zwar ganz rasant. Merkel als früherer „shooting star“ – ein Begriff, den die anglizismensüchtigen Deutschen ja immer falsch als „aufsteigenden Star“ übersetzt haben – bekommt jetzt seine wahre Bedeutung: es ist nämlich im Englischen ein verglühender Komet.

Merkel mag womöglich noch einmal Kanzlerin werden. Vorübergehend. Die von Merkels angeblicher „Alternativlosigkeit“ lange paralysierte Lämmerschar des CDU-Parteitages wird Vergangenheit sein und die Messer wetzen. Deshalb meine Prognose: Spätestens zur Halbzeit der Legislaturperiode 2017/2021 wird bzw. muss Merkel abtreten. Der Kampf um ihre Nachfolge hat begonnen. Vorerst hinter den Kulissen, bald wird er öffentlich sein. Denn ab sofort denken die gut zweihundert noch einmal zum Zuge gekommenen Unionsabgeordneten und die fast hundert nicht mehr zum Zug gekommenen an 2021, wenn nicht sogar an baldige Neuwahlen oder vorgezogene Wahlen im Jahr 2019.

Merkels im „pluralis majestatis“ verkündetes „Wir schaffen das“ (sie meinte wohl: „Ich schaffe das schon!“) ist vorbei. Die Union wird für 2021 oder auch früher eine(n) andere(n) brauchen, der das traumatische Ergebnis von 2017, das schlechteste der Union seit 1949, wenigstens halbwegs vergessen lässt.

Verlierer GroKo
Bundestagswahl 2017: Wie im Lehrbuch - Die GroKo stärkt die Ränder
Vor allem die bayerische CSU wird – unter welcher Führung auch immer – kräftig hinlangen. Denn mit der aktuellen Bundestagswahl ist der Kampf um die bayerische Landtagswahl im Herbst 2018 eingeläutet. Eine CSU, die nicht zuletzt wegen Seehofers Pirouettenkünsten auf rund 38 Prozent abgesackt ist, man stelle sich das vor! Ein Desaster für die CSU! Deshalb wird die schärfste Opposition gegen eine wie auch immer geartete Koalition im Bund aus Bayern kommen. Es steht ihre absolute Mehrheit im Bayerischen Landtag nicht nur auf dem Spiel, sondern auf der Kippe.

Da spielt es fast schon keine Rolle mehr, mit wem Merkel – oder deren möglicher Nachfolger – koaliert. Am besten könnte die CDU noch mit einer Neuauflage der GroKo klarkommen. Falls die SPD das mitmacht. Das kann die SPD eigentlich aber nicht, wenn sie sich nicht restlos suizidal in die Umarmung eines ebenfalls Ertrinkenden begeben will. Also bleibt der SPD nichts anderes übrig, als sich als heftige Oppositionspartei zu gerieren, um Stimmen von der Links-Partei und der AFD zurückzuholen.

Gefährlicher als eine GroKo ist für die CDU/CSU freilich „Jamaika“. Denn die FDP und die überraschend doch relativ starken „Grünen“ werden sich einen „Dreier“ teuer abkaufen lassen. Die CDU wird noch mehr „ergrünen“.

Selbst baldige Neuwahlen sind nicht ausgeschlossen. Für die CDU/CSU freilich wäre es am besten, sie könnte sich jetzt schon – etwa mit einem Übergangskanzler Schäuble – neu sortieren und darauf besinnen, dass sie nicht straflos Millionen konservativ-bürgerlicher Wähler in eine bestimmte Ecke drängen darf. Sie muss herunter vom hohen Ross der Kauders und Taubers und kapieren, dass dieses Ergebnis nicht die Folge einer Rechtsverschiebung der Republik, sondern einer Linksverschiebung der Union ist.

Bei aller Genugtuung, die nun manchen bei diesem Ergebnis beschleicht, muss man freilich bedenken, dass diese Republik in nächster Zeit nicht mehr regiert, sondern nur noch verwaltet werden wird. Das kommt davon, wenn man als Wähler zwölf sehr lange Jahre meinte, sorglos „gut und gern“ in Deutschland vor sich hin leben zu können.